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Kirche Schweiz

Der Gift­schrank des Bischofs von Basel

Die Medien der Wan­ner­presse war­ten mit einem Pri­meur auf: «Exklu­si­ver Blick in den ‹Gift­schrank› des Bischofs: Diese Pries­ter haben gesün­digt» (wat­son vom 10. Dezem­ber 2023). Bei der Lek­türe des besag­ten Arti­kels wird schnell ein­mal klar, dass die­ser «Gift­schrank» schon seit län­ge­rem gar nicht mehr exis­tiert. Des­sen Akten sind viel­mehr öffent­lich zugäng­lich. Dazu gehö­ren auch die Akten jener 145 Pries­ter, die von der Bis­tums­lei­tung als pro­blem­be­las­tet ein­ge­stuft wurden.

Der Autor des Artikels, Andreas Maurer, rechnet vor: Im fraglichen Zeitraum (1935–1980) waren etwa 2500 Priester im Amt. Jeder zwanzigste Priester, sprich 5 %, sei somit von der kircheninternen Klassifizierung als «Priester mit Skandalpotential» betroffen gewesen.

Journalist Maurer hat in seinem Beitrag fünf Fälle aufgelistet. Seine detaillierten Schilderungen fördern aufschlussreiche Tatbestände zu Tage: aufschlussreich, weil im Gegensatz zum herrschenden, von internen kirchlichen Kreisen und Mainstream-Medien kolportierten Narrativ stehend. Dieses Narrativ besagt, dass der Missbrauchsskandal in erster Linie darin bestehe, dass die verantwortlichen Kirchenleitungen auf sexuelles Fehlverhalten von Priestern einfach mit Vertuschungen und Versetzungen reagiert hätten.

Sozusagen der idealtypische Repräsentant dieser ideologisch gesteuerten Pönalisierung der kirchlichen Obrigkeit ist Daniel Kosch, langjähriger Generalsekretär der römisch-katholischen Zentralkonferenz. In der Neuen Zürcher Zeitung wurde er mit Blick auf die sexuellen Missbräuche gefragt, ob es denn wirklich so schlimm gewesen sei, da doch die «Weltwoche» nach eingehender Analyse zum Schluss gekommen war, dass es pro Kirchgemeinde und Jahr nur 0,004 potenzielle Straftäter gegeben hat. Kosch war diese Frage offensichtlich lästig, weil nicht in sein ideologisches Konzept passend. Statt auf den von der «Weltwoche» errechneten Fakt einzugehen, reagierte Koch mit einem Ablenkungsmanöver: Der Skandal sei vielmehr, dass vertuscht worden sei und fehlbare Priester «einfach in andere Gemeinden versetzt wurden.»

Die nun von Andreas Maurer detailliert beschriebenen Fälle taugen nun auffallenderweise nicht als Beleg für die Behauptung von Kosch – im Gegenteil. So wurde der Burgdorfer Pfarrer Paul Lachat, der mit einer Coiffeuse vor Ort ein intimes Verhältnis eingegangen war, vom damaligen Bischof Franziskus von Streng mit der Frage zu sich zitiert: «Sie wissen wohl, warum wir Sie kommen lassen.» Als dieser nach anfänglichem Kopfschütteln doch noch sein Fehlverhalten eingesteht und um Versetzung bittet, entgegnet ihm der Bischof: «Mit einem Stellenwechsel ist es nicht gemacht. Sie sollten auch jedes Jahr Exerzitien machen. Es muss eine innere Umwandlung stattfinden.» In keinem der andern vier Fälle erfolgte eine Versetzung. Zwei der fehlbaren Priester wurden nach kirchlichem Recht bestraft, wovon jener mit der schwersten Verfehlung vom Priestertum ausgeschlossen wurde. Der Dritte, ein deutscher Priester, floh nach der ausgesprochenen Suspendierung ins Ausland. Der vierte Priester entging einer kirchlichen Bestrafung, weil sein grenzwertiges Verhalten (obsessive Fixierung auf das Fotografieren von Frauen) als kirchenrechtlich nicht strafbar taxiert wurde.

Auch der pauschale Vorwurf von Kosch, wonach Mütter kaltgestellt worden seien, die anprangert hatten, was ihren Kindern angetan worden war, lässt sich in diesen fünf Fällen nicht verifizieren. So beschwerte sich die Mutter von zwei Buben, die vom Ortspfarrer sexuell missbraucht worden waren, bei der Bistumsleitung. In der Folge wurde der Pfarrer, ein deutscher Priester, in seinem Amt suspendiert, worauf er ins Ausland flüchtete. Auch hinsichtlich des pauschal erhobenen Vorwurfs, in aller Regel sei den beschuldigten Priestern mehr geglaubt worden als den Opfern, zeichnet dieser Beitrag ein anderes Bild: Der Einsiedler Pater Leo Helbling hatte die ihm zur Last gelegten Missbrauchsvergehen abgestritten. Aussage gegen Aussage also. Wem sollte der Bischof glauben?

Autor Andreas Maurer dazu: «Der Bischof fragt zwei Männer aus Ruswil über ‹die Sitten› der Frau aus. Der Gemeindepräsident und ein Kirchenrat bestätigen beide, sie habe ‹moralisch einen guten Ruf›, sei ‹eine ehrenwerte Person›. Die Männer bezeugen ihre Aussagen, indem sie die Bibel berühren. Deshalb glauben die Kirchenoberen der Frau und nicht Pater Helbling.»

Was ebenfalls auffällt: Journalist Andreas Maurer erweckt in seinem Beitrag zumindest indirekt den Eindruck, die von ihm geschilderten fünf Fälle seien unter den Oberbegriff «Sexuelle Missbräuche von Priestern» zu subsumieren. Dem ist aber nicht so. In einem Fall handelte es sich um eine intimes, im gegenseitigen Einverständnis eingegangenes Verhältnis eines Priesters mit einer Coiffeuse, das zwar kirchenrechtlich verpönt ist, aber nach staatlichem Recht keine Rechtsverletzung darstellt. Und in einem weiteren geschilderten Fall beschränkten sich die Vorwürfe gegenüber dem Priester auf dessen obsessives Bedürfnis, Frauen zu fotografieren. Auch dieser Sachverhalt stellt kein nach staatlichem Recht strafbares Verhalten dar.

Sollten sich Vorgänge wie die letztgenannten zwei Fälle auch unter den von der Pilotstudie genannten, aber nicht dokumentierten 1002 sexuellen Missbrauchsfällen befinden, müsste von einem eklatanten Missbrauch des Missbrauchs gesprochen werden.


Niklaus Herzog
swiss-cath.ch

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Lic. iur. et theol. Niklaus Herzog studierte Theologie und Jurisprudenz in Freiburg i. Ü., Münster und Rom.


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    Meier Pirmin 12.12.2023 um 08:12

    Verhältnis eines Priesters zu einer Coiffeuse - Episode beim vorreformatorischen Zwingli in Einsiedeln



    Für mich als katholischer Zwingli-Forscher seit 40 Jahren bleibt von höchstem Interesse, dass Zwingli, der in einem Brief vom 5. Dezember 1518 gegenüber dem Zürcher Chorherr Utinger, seinem späteren Anhänger und Gesinnungsfreund, eingestand, in Einsiedeln seinerseits ein Verhältnis mit einer Coiffeuse gepflegt zu haben, welche dann in der nicht nach Originalakten verfassten Zwinglibiographie meines langjährigen marxistischen Zürcher Kollegen Franz Rueb fälschlicherweise und verleumderisch als "Prostituierte" bezeichnet wurde, in einem Buch (2016), das ausgerechnet in dem sonst seriösen Verlag hier+heute meines Historikerkollegen Bruno Meier veröffentlicht wurde, wo ich meinerseits mit dem linken Altnationalrat über Kulturkampf 1841 - 2016 publizierte, übrigens aus unterschiedlicher Perspektive, gelte ich doch für die WoZ als "rechtskatholisch". Wie auch immer, Zwingli muss zugutegehalten werden, dass er in einmaliger Offenheit noch kurz vor seiner Wahl nach Zürich, die ohne den Kommandanten der Schweizergarde in Rom, Marx Röischt, und Kardinal Schiner, nicht zustandegekommen wäre, in einmaliger Offenheit in einem zwar nur lateinisch geschriebenen vertraulichen Brief über seine Zölibatsprobleme Auskunft gegeben hat. Die Coiffeuse von Einsiedeln war die Tochter des Einsiedler Stiftsammanns, was Zwingli von wegen Familienehre vor Ort Probleme machte, zumal äusserte er sich wenig schmeichelhaft über deren Ruf. Er selber, betont er, habe nie eine Jungfrau, eine Ehefrau, eine Nonne sexuell in Anspruch genommen, sondern wie die besagte Coiffeuse, solche, deren Ruf bereits beeinträchtigt gewesen sei, ein sündhaftes Verhalten, das gemäss Thomas von Aquin noch zu den leichteren unter den schweren Sünden zählte. Aus heutiger, z.B. feministischer Sicht, wirkt indes Zwinglis Brief im Macho-Sinne als belastend, wohingegen aus damaliger Sicht für das Verhalten von Klerikern leider landläufig. Zwingli war dies aber entschieden nicht recht, weswegen er dann als oberster Pfarrer von Zürich auch im Zusammenhang mit der neuen, dem Bistum Kontanz entrissenen Ehegerichtspraxis ein viel strengeres Regiment einführte, mit strengem Konkubinatsverbot, das in Zürich noch bis ca. 1970 gegolten hat, in Wirklichkeit eine Massnahme primär gegen die damaligen Priester, die er zur Heirat einschliesslich Anschluss an seine Reformation verhalten wollte, was ihm dann auch gelungen ist. Selber heiratete er bekanntlich 1522 die reiche Witwe Anna Reinhard, die mit einem Niederadligen Meyer von Knonau verheiratet gewesen war. Wie gesagt, war es für Zwingli eine schwere Sünde, ausserhalb der Ehe mit einer Jungfrau geschlechtlichen Umgang zu pflegen, weil eine Schändung von deren Familienehre, ein Gedanke, der sich auch schon bei Thomas von Aquin findet. Zwingli muss zugutegehalten werden, dass er als Reformator dann bedingungslos an der Heiligkeit der Ehe festhielt, ohne diese aber zum Sakrament zu erklären, im biblischen Sinn sind die Eheleute "ein Fleisch". Dies bedeutete eine strenge öffentliche Sittlichkeit, wofür die protestantischen Städte, siehe Genf, dann bekannt wurden, ein Ruf, der auch Zürich bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts anhaftete. Zwingli selber darf indes nicht als Puritaner eingeschätzt werden, erlaubte er doch in den ersten 6 Jahren seines Wirkens in Zürich zum Beispiel sehr lockere Badesitten, im See und in der Limmat, wie sie sein Schüler, auch Schüler seines Berner Lateinlehrers Heinrich Wölfflin, Nikolaus Wynmann, in seinem 1538 gedruckten Standardwerk "Über die Schwimmkunst" schildert, das erste Lehrbuch der Schweizer Sportgeschichte. Dies wurde erst abgestellt (1525) , als die Täufer die geltenden Badesitten für ihre Taufpraxis des vollständigen Eintauchens von Erwachsenen in Zürich zu praktizieren begannen, was vollständig Zwinglis Auffassung von der Taufe, incl. Kindertaufe, als Eintritt zumal auch der Kinder in die christliche Gemeinschaft, widersprach. Um über Zwinglis Intimleben im Bilde zu sein, sollte man übrigens seine lateinischen Briefe lesen können, die ihn im übrigen noch vielfach als humanistisch orientierten katholischen Priester aus der Schule von Erasmus kennzeichnen.

    • user
      Hansjörg 13.12.2023 um 13:35
      Jeder Priester darf mit einer erwachsenen Frau eine Liebesbeziehung haben, wenn die Beziehung auf Gegenseitigkeit beruht und das Macht Gefälle nicht ausgenutzt wird. Es muss nicht unbedingt eine Coiffeuse sein.
      • user
        Niklaus Herzog 13.12.2023 um 17:41

        Nicht ganz, Herr Hansjörg. Wer Priester in der katholischen (bzw. lateinischen) Kirche werden will, ist gehalten, sich an das Gebot der Keuschheit zu halten. Ein solcher Entschluss beruht auf Freiwilligkeit. Kein Mann ist gezwungen, Priester zu werden. Aber wir sind uns insofern einig, als die von Ihnen geschilderte Konstellation nichts mit sexuellem Missbrauch zu tun hat. Doch gerade dies wird von sog. innerkirchlichen Reformkreisen und deren medialen Wasserträgern tatsachenwidrig immer wieder behauptet.