Heilige Ostermesse in der St. Kyriakos Kirche in Batnaya 2022. Bild: «Kirche in Not (ACN)»

Hintergrundbericht

Der Kampf der Chaldäer um ihre Heimat

Zur Katho­li­schen Kir­che gehö­ren auch die 23 ori­en­ta­li­schen Teil­kir­chen, die in vol­ler Gemein­schaft mit Rom ste­hen, jedoch ihre eige­nen Riten pfle­gen. In unse­rer Serie stel­len wir heute die Chaldäisch-​katholische Kir­che vor.

«Die Füchse haben Höhlen und die Vögel des Himmels Nester; der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann» (Mt 8,20).

Die chaldäischen Christinnen und Christen werden ganz besonders mit diesen Worten des Herrn mitfühlen. Trotz ihrer langen Geschichte im Irak und anderen Gebieten des Nahen Ostens leben die meisten von ihnen nach Jahrzehnten der Diskriminierung und Verfolgung über die ganze Erde verstreut. Vor einigen Jahren lebten noch 1,5 Mio. Christinnen und Christen im Irak – der grösste Teil davon chaldäische Katholiken –, nun sind es weniger als 300 000. Rund 300 chaldäische Familien hat es auf ihrer Flucht auch in die Schweiz verschlagen. Geflüchtete werden oftmals, um die Integration zu fördern, in verschiedenen Kantonen angesiedelt. Was integrationspolitisch nachvollziehbar ist, erschwert das Gemeindeleben jedoch sehr. Pater Naseem Asmaroo ist ein irakischer Priester des lateinischen wie auch chaldäischen Ritus. Als einziger chaldäischer Priester kümmert er sich um seine verstreute Gemeinde in der Schweiz. Er bereist die verschiedenen Kantone, um sie seelsorgerlich zu betreuen und mit ihnen in ihrem Ritus, in dem sich ein Dialekt des Aramäischen – der Sprache Jesu – bis heute erhalten hat, zu feiern. «Als kleine Minderheit im Irak wie auch in der Diaspora ist unser Glaube nicht bloss eine religiöse Haltung. Er ist unsere existenzielle Identität, unsere Kultur und Sprache, die uns anvertraute Tradition», beschreibt Pater Naseem die Bedeutung der Kirche für die Chaldäer in der Schweiz und auf der ganzen Welt.

Ein genuin orientalisches Christentum
Die Chaldäisch-katholische Kirche bildet den katholischen Zweig der apostolischen Kirche des Ostens und steht in voller Union mit Rom, pflegt jedoch ihre eigenen Riten, Sprachen und Traditionen. Wie alle Stränge der apostolischen Ostkirche sehen auch die Chaldäer in den Aposteln Thomas, Thaddäus und Bartholomäus ihre Gründer. Unter der Herrschaft der Sassaniden, dem letzten vorislamischen Perserreich, riss der Kontakt zu der lateinischen Kirche grösstenteils ab. Das Christentum im Sassanidenreich entwickelte daher ein spezifisch eigenes Gepräge in Kult, Spiritualität und Glaubensleben, das sich bis heute gehalten hat. Insbesondere die syrisch-aramäische Liturgiesprache wird hochgeachtet und stellt bis heute eine Verbindungslinie in die Ursprungszeit des Christentums dar, auch wenn heute Gottesdienste oft zweisprachig (aramäisch/arabisch) gefeiert werden. Der chaldäische Ritus hat sich abseits des Einflusses des griechischen Kulturkreises entwickelt und gehört zu den ältesten in den Ostkirchen. Im Gegensatz zu anderen Ostkirchen waren die Chaldäische und Assyrische jedoch nie Staatskirchen. Eine grosse Einfachheit und Direktheit hat sich durch diese spezifische Minderheitenrolle entwickelt, in der auch viele jüdische Motive erhalten geblieben sind. Der Messritus stellt eine klare, fortlaufende Bewegung der Gläubigen zu Gott hin dar. Christus als der «gute Hirte», der die Menschen zurück zu Gott führt, ist zentral in der chaldäischen Liturgie. In der heiligen Messe wird diese kontinuierliche Prozession in die Einung mit dem Mysterium hinein vollzogen.

Seit der arabischen Eroberung von Persien und dem Untergang des Sassanidenreiches im Jahre 642 n. Chr. leben die Christinnen und Christen in Mesopotamien als Minderheit unter den Muslimen, doch der Faden der Überlieferung riss nie ganz ab. Erst im Spätmittelalter wurde die lateinische Kirche verstärkt aufmerksam auf die christlichen Brüder und Schwestern im Osten und seit dem 13. Jahrhundert gab es wiederholt Annäherungs- und Unionsversuche, die jedoch nie nachhaltig waren. Dies gelang auf Dauer erst im 17. Jahrhundert. Nun begann eine Zeit der intensiven Begegnung der lateinischen und der Chaldäischen Kirche, wodurch lateinische Einflüsse in den chaldäischen Ritus, die Spiritualität und insbesondere auch das Ordensleben kamen. Es folgte eine Zeit der Spannung zwischen den Chaldäisch-katholischen und den selbstständig gebliebenen Assyrischen Christen, da die Chaldäer stetig an Mitgliedern und Einfluss gewannen und schliesslich um 1900 sogar zur grösseren der beiden Kirchen herangewachsen war.

Verfolgung seit mehr als 100 Jahren
Heute betonen die beiden Kirchen ihre gemeinsamen Wurzeln und die liturgische und spirituelle Nähe. Doch diese Annäherung gelang erst nach dem geteilten Schicksal massiver Verfolgung durch die Osmanen im Ersten Weltkrieg. Denn 1915 geschah nicht nur der weit besser aufgearbeitete Völkermord an den Armeniern – auch 300 000 Christinnen und Christen in Nordmesopotamien, darunter assyrische, chaldäische, syrisch-orthodoxe und syrisch-katholische, fanden in den Massakern den Tod. Und damit begann ein Jahrhundert der Verfolgung und Unterdrückung. Unter Saddam Hussein (1979–2003) war die Situation nicht optimal, aber beruhigte sich etwas für die Christen im Land. Dennoch flohen bereits damals viele ins Ausland. Dieser Druck zur Flucht verstärkte sich während der Golfkriege und der amerikanischen Invasion 2003. Und hundert Jahre nach dem Massenmord an orientalischen Christen durch die Osmanen drohte das gleiche nochmals durch den sogenannten «Islamischen Staat» (IS) zu geschehen. Praktisch alle Christinnen und Christen mussten die Ninive-Ebene, das christliche Herz des Irak, verlassen. Der IS konnte mittlerweile zerschlagen werden, doch das Leben in der Diaspora und als kleine, politisch kaum berücksichtigte Minderheit im Irak lastet schwer auf der Chaldäischen Kirche.

Rückkehr in die Trümmer
Doch allmählich kehren die Chaldäer in die alte Heimat zurück. Zehntausende Christinnen und Christen, die wegen des IS das Land verlassen mussten, kehren mit Unterstützung von kirchlichen Hilfswerken zurück. Was sie dort vorfinden, sind geplünderte und zerstörte Wohnhäuser und Kirchen. Die Schergen des IS haben die Kreuze und Marienstatuen von den Kirchen geschossen, die Altäre entweiht und die Einrichtungen zerstört. Allein in Karakosch, einer Stadt im Norden des Landes, wurden 68 Kirchen zerstört. Ein langwieriger Prozess des Wiederaufbaus und der Rückkehr beginnt, der durch die immer noch bestehenden interreligiösen und politischen Spannungen im Land erschwert werden. Doch die schaurige Vision des IS, das jahrtausendealte Christentum im Irak auszumerzen, ging nicht in Erfüllung. 2021 besuchte Papst Franziskus als erster Papst überhaupt den Irak. Er bereiste die Gebiete, die noch vor Kurzem vom IS besetzt waren, sprach den Christinnen und Christen aller Konfessionen Mut zu und setzte sich für den interreligiösen Dialog ein. Ein ungemein wichtiges Ereignis für die Chaldäisch-katholischen Menschen im Land, das gemäss Erzbischof Bashar Warda im Irak und international ein neues Bewusstsein für die Bedeutung der irakischen Christenheit auslöste. Pater Naseem reist regelmässig in den Irak, um Kontakte zu pflegen und zu sehen, womit seinen Landsleuten im Wiederaufbau ihrer Existenz geholfen werden kann. Er sieht in der Präsenz der Christen im Land auch eine wichtige politische Funktion. «Das Christentum spielt eine wichtige Vermittlerrolle zwischen den verschiedenen religiösen Gruppierungen, insbesondere den Schiiten und Sunniten.» Der Wiederaufbau der Lebensräume der Chaldäer bedeutet also nicht nur die Rückkehr in ein Gebiet, das ihnen seit fast zweitausend Jahren Heimat und Schicksal war, sondern ebenfalls einen Beitrag zu einer friedlichen irakischen Gesellschaft, die allen ansässigen Bevölkerungsgruppen und Religionen sicherer Lebensraum ist.


Silvan Beer

Silvan Beer studiert gegenwärtig Theologie und Philosophie in Freiburg i. Ü.


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Bemerkungen :

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    Hansjörg 15.06.2023 um 13:24
    Ich freue mich für Pater Naseem Asmaro, dass er verheiratet sein, und trotzdem ein aktiver Priester der chaldäisch-katholischen Kirche, die zur katholischen Kirche gehört, sein darf.
    • user
      Hansjörg 16.06.2023 um 15:00
      Ich würde mich auch freuen, wenn alle anderen kath. Priester selbst entscheiden könnten, ob sie heiraten und Kinder haben möchten.