Patriarch em. Gregorios III. Laham. (Bilder: «Kirche in Not (ACN)»)

Interview

Der Nahe Osten und die Bedeu­tung der christ­li­chen Min­der­heit in der ara­bi­schen Welt – Inter­view mit Gre­go­rius III. aus Syrien

Seit dem Bür­ger­krieg, der seit 2011 in Syrien wütet, der Coro­na­pan­de­mie und dem Erd­be­ben im Februar die­ses Jah­res las­tet uner­träg­li­ches Leid auf der syri­schen Bevöl­ke­rung. Der bru­tale Über­fall der Hamas auf Israel und seine Fol­gen erschüt­tert den Nahen Osten erneut.

Der emeritierte Patriarch der mit Rom unierten melkitisch griechisch-katholischen Kirche im Nahen Osten, Gregorios III. Laham (*1933), kämpft unermüdlich für sein Volk und für den Frieden im Nahen Osten. Auf Einladung von «Kirche in Not (ACN)» reiste er einige Tage durch die Schweiz, um in verschiedenen Gemeinden die Heilige Messe zu feiern, über die Situation in Syrien zu informieren und zu Solidarität und Hilfe aufzurufen. Mit «swiss-cath.ch» sprach er über die Lage im Nahen Osten und die nicht unwichtige Rolle der Christinnen und Christen in der arabischen Welt.

Eure Seligkeit Patriarch Gregorios, wie wirkt sich der wieder aufflammende Israel-Palästina Konflikt auf das Leben in Syrien aus?
Wir dürfen nicht vergessen, dass die Golanhöhen, das sind syrische Gebiete, von Israel annektiert worden sind. Schon dadurch und durch die geteilte Grenze hängt Syrien in diesem Konflikt mit drin. Aber der ganze Nahe Osten ist in diesen Krieg verwickelt – Libanon, Jordanien, Ägypten und eben auch Syrien. All diese Länder sind miteinander verbunden; schon nur durch die vielen Flüchtlinge, die nun aus Palästina in diese Länder kommen werden. Das ist nicht bloss ein Krieg zwischen Israel und Palästina, sondern des ganzen Nahen Ostens, und die kommenden Generationen wachsen in dieser Atmosphäre des Hasses, Konfliktes und Krieges auf.
 


Wie geht es den Menschen in Syrien?
Es ist schrecklich. Vor dem Krieg, der 2011 begann, war Syrien ein gedeihendes Land. Alles war in Fülle vorhanden: Getreide, Öl, Benzin, Stoffe. Es gab die verschiedensten Wirtschaftszweige und Arbeitsmöglichkeiten. Schon im Römischen Reich war Syrien als Kornspeicher des Imperiums bekannt. Und bis zum Krieg haben wir am meisten Getreide nach Frankreich und Italien exportiert. Ohne uns gab es keine Makkaroni, sozusagen. Aber jetzt, nach dem Krieg, nach Corona, dem Erdbeben und den Sanktionen von Europa und Amerika sind wir zerstört. In Damaskus haben wir am Tag kaum eine Stunde Strom. Im Winter keine Heizmöglichkeit, im Sommer ist es brütend heiss. Man geht zum Brunnen, um Wasser zu holen, und er ist leer. Die Leute hungern. Alles ist stark rationiert. Wegen der Sanktionen ist die Wirtschaft zerstört. Die Sanktionen treffen die einfachen Menschen am stärksten. Es gibt zum Beispiel kaum Baumaterialien und vom Ausland darf nichts geliefert werden. Wie sollen wir die Städte nach dem Krieg und Erdbeben wieder aufbauen? Vor dem Krieg war Syrien ein Land, in dem alles vorhanden war, und nun gehören wir zu den ärmsten Ländern der Welt.

Welche Projekte sind besonders hilfreich? Wie können wir den Menschen in Syrien beistehen?
Es ist wichtig, dass die Schulen unterstützt werden. Katholische Schulen sind wertvolle Orte der Begegnung zwischen Muslimen und Christen. Wir brauchen auch neue Krankenhäuser. Ich baue im Süden des Landes gerade ein Krankenhaus auf. 14 Krankenhäuser wurden in diesem Gebiet im Krieg zerstört! Wichtig ist ebenfalls, die Arbeit der Klöster zu unterstützen. Dort entstehen viele Projekte in Wirtschaft und Gesellschaft. In den Klöstern wachsen und gedeihen solche Projekte. Wenn man den christlichen Institutionen im Nahen Osten hilft, hilft man der ganzen Gesellschaft.
Es wird bereits viel getan von Organisationen wie «Kirche in Not» und durch verschiedene Missionen. Aber das ist alles nur Hilfe für den Moment. Als erstes müssen die Sanktionen aufgehoben werden, und dann brauchen wir Frieden. Die wichtigste und nützlichste Hilfe ist, Frieden zu schaffen. Solange es Krieg gibt, ist es sehr schwer, irgendwie nachhaltig zu helfen. Nach jedem Krieg gibt es wieder eine Welle von Flüchtlingen. Das müssen die anderen Nationen endlich verstehen. Sie unterstützen heute Israel und morgen Palästina. Das bedeutet immer nur Krieg. Die beste Hilfe für den ganzen Nahen Osten ist Frieden. Die Zweistaatenlösung und Schluss! Damit ist den Muslimen und insbesondere auch den Christen geholfen, die es schon jetzt als kleine Minderheit schwer haben. Es ist unbedingt notwendig, dass die Christen nicht aus dem Nahen Osten verschwinden!
 


Warum ist es so wichtig, dass die Christen bleiben?
Zunächst ist der Nahe Osten der Geburtsort des Christentums. Das Christentum gehört zum Leben und der Kultur hier. Wir betreiben Krankenhäuser, Schulen, Kirchen. Wir bringen viel ein in die Gesellschaft. Selbst die Muslime wollen, dass die Christen bleiben. All diese wichtige Arbeit würde mit ihrer Auswanderung verloren gehen. Auch kulturell verdankt man den Christen viel. Die arabische Literatur war unter den Türken verboten; nur in den Kirchen war Arabisch erlaubt. Die Christen waren durch die Geschichte hindurch ein wichtiges Element der arabischen Kultur. Selbst die Übersetzung von griechischen Texten, wodurch die antike griechische Kultur nach Arabien kam, geschah durch die Christen.
Die Präsenz der Christen hat aber auch eine Bedeutung für das grosse Ganze. Ohne die Christen sieht es so aus: Die ganze arabische Welt – 500 Millionen Menschen – sind muslimisch. Diese sind verfeindet mit Israel. Der Westen unterstützt Israel und wird dadurch zum Feind der islamischen Welt. Das führt zu Konflikt und Krieg zwischen den Kulturen. Die Christen im Nahen Osten verhindern diese Blockbildung. Sie vermitteln zwischen den Kulturen. Der Dialog zwischen Christen und Muslimen ist nirgendwo so gut wie in Syrien. Es geht nicht bloss um diese kleine Gruppe von Christen, sondern um die Wirkung, die ihre Präsenz dort hat. Die Christen leben nicht für sich, so wie Christus nicht für sich gelebt hat. Wir sind Träger einer Botschaft. Und die Botschaft ist Jesus – durch uns und unser Handeln. Verschwinden wir, so verschwindet Christus aus dem Nahen Osten. Und es gibt Leute wie ISIS [Islamischer Staat], die genau das wollen, dass dieser grosse Krieg zwischen den Kulturen geschieht.


Silvan Beer

Silvan Beer studiert gegenwärtig Theologie und Philosophie in Freiburg i. Ü.


Kommentare und Antworten

×

Name ist erforderlich!

Geben Sie einen gültigen Namen ein

Gültige E-Mail ist erforderlich!

Gib eine gültige E-Mail Adresse ein

Kommentar ist erforderlich!

You have reached the limit for comments!

* Diese Felder sind erforderlich.

Sei der Erste, der kommentiert