Es ist der erste richtige Regentag der Saison. Eigentlich ein Grund zur Freude – denn Regen ist im Heiligen Land ein Segen. An diesem Tag unterstreichen der graue Himmel und die dreckigen Pfützen jedoch die deprimierende Stimmung, den der seit Wochen anhaltende Krieg zwischen der Hamas und Israel über das Land gebracht hat. Auch im «Caritas Baby Hospital» im Bethlehemer Norden spürt man dessen Folgen. Statt Vorweihnachtsstimmung kämpft man auf den Stationen gegen die Schwierigkeiten der kleinen Patienten, das Krankenhaus überhaupt zu erreichen.
Bedrückende Lage in Bethlehem
Sonnengelb leuchtet die Eingangshalle zum Kinderkrankenhaus. Kräftige Farben und Tierbilder bilden einen Kontrast zum Regengrau vor den Glasschiebetüren mit dem Logo des Kinderspitals: zwei in Tücher gewickelte Babys mit fröhlichem Gesicht. Eigentlich würden sie jetzt mit den Kindern Weihnachtsbäume schmücken, auf jeder Station einen, sagt Chefärztin Hijam Marzuka. In diesem Jahr sucht man die Weihnachtsdekoration in der Kinderklinik ebenso wie in der gesamten Geburtsstadt Jesu vergeblich.
Ausser den Gottesdiensten wird es dieses Jahr keine Feiern zu Advent und Weihnachten geben; «seit ich denken kann, das erste Mal», sagt Hijam Marzuka. Damit folgt das Kinderspital im Schatten der Sperrmauer zwischen Bethlehem und Jerusalem den Aufrufen der Kirchen, die beliebten Weihnachtsbasare, Konzerte und andere Vorweihnachtsfeiern aus Trauer und Respekt vor den Kriegsopfern zu unterlassen. Vor allem aber: Keiner ist in Feierlaune.
«In Bethlehem herrscht im Moment allgemeine Depression; die Menschen haben keine Freude am Leben», erklärt Hijam Marzuka. Als Christin und Mutter erlebt sie die bedrückende Lage auch privat. Zum ersten Mal im Leben habe sie manchmal Angst: um ihre Kinder und um sich selbst, um die Zukunft in diesem Land. Ab fünf Uhr nachmittags gleiche Bethlehem einer Geisterstadt, sagt auch Schireen Khamis, die Kommunikationschefin der Klinik und ebenfalls aus Bethlehem. Die wenigen Geschäfte, die geöffnet haben, seien leer, Restaurants und Cafés geschlossen.
Ausgerechnet das Krankenhaus ist der Ort, an dem sie gerade Kraft schöpfen können; der Ort, an dem die schlechten Nachrichten und Bilder von Verletzten und Toten draussen bleiben. «Meine Arbeit ist meine Therapie», sagt die Chefärztin. Die Behandlung der Kleinsten und die gemeinsamen Erfolge lenken ab von der Welt draussen. Da ist zum Beispiel der kleine Mohammed aus Hebron mit einem Geburtsgewicht von 650 Gramm, kleiner als jedes andere Frühchen. Jede Woche dokumentieren das Krankenhausteam seine Fortschritte mit einem Foto und freuen sich mit den Eltern, die «voller Hoffnung» sind und ihre positive Stimmung auf das Krankenhausteam übertragen. «Alle beten für dieses Kind. Gestern habe ich in der Geburtskirche eine Kerze für ihn angezündet.»
Spital reagiert auf veränderte Bedingungen
Viele kleine Patientinnen und Patienten bleiben aufgrund der schwierigen Lage ganz weg, «weil sie nicht kommen können, weil die Eltern Angst haben, dass sie nicht wieder zurückkommen und weil die Menschen in dieser Zeit sich ungern länger von ihren Familien entfernen», so die Chefärztin. Das Resultat: Statt wie sonst um diese Jahreszeit überbelegt, ist das Krankenhaus derzeit deutlich weniger ausgelastet.
Das Spital reagierte schnell: Für Familien, die wegen Strassensperren mit ihren kranken Kindern nicht ins Spital gelangen können, wurde eine Hotline mit ärztlicher Beratung eingerichtet. Der Sozialdienst ist immer erreichbar, zudem ist dafür gesorgt, dass die kleinen Patientinnen und Patienten die nötigen Medikamente erhalten.
Man gehe noch sorgsamer mit Ressourcen um als sonst, «weil der Nachschub nicht garantiert ist». Noch ist die finanzielle Lage der Klinik in Ordnung, auch wenn 2022 ein Spendenrückgang zu verzeichnen war; «möglicherweise wegen des Ukraine-Kriegs». Fundraising in Europa wird zunehmend schwierig, wissen die Träger.
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