Paul Martone. (Bild: zVg)

Kommentar

Die Kir­che am Boden

Es ist in die­sen Tagen schwie­rig, eine posi­tive Nach­richt zu schrei­ben, denn wenn man die Nach­rich­ten der ver­gan­ge­nen Wochen in der Presse ver­folgt hat, so kann man sich fra­gen, ob wir uns als Kir­che nicht bes­ser «abmel­den», schwei­gen und Busse tun sollten.

Dieser Beitrag von Paul Martone erschien zuerst in «Kirche und Welt» des «Walliser Bote»

Die Enthüllungen über sexuellen Missbrauch Minderjähriger und auch Erwachsener erschüttern das Selbstverständnis der Kirche und das Vertrauen in sie. Es wurde von Priestern berichtet, die in ihrer menschlichen Schwachheit Kinder und Jugendliche missbraucht haben. Was da an Gemeinheiten und Abgründen ans Licht kam, ist entsetzlich und nicht entschuldbar.

Besondere Verantwortung
Die Kirche und ihre Mitarbeiter haben eine besondere Verantwortung, diejenigen zu schützen und zu respektieren und ihre Würde zu achten, die auch am meisten verwundbar sind. Ich möchte nicht darüber spekulieren, was alles dazu geführt hat, dass Priester und auch andere kirchliche Mitarbeiter in einer Art und Weise handeln, die jedem einmal abgegebenen Versprechen zuwiderlaufen und die «die Gnade des Weihesakraments verraten haben», anstatt «das lebendige Evangelium, den auferstandenen Christus, weiterzugeben», wie es Bischof Jean-Marie Lovey in seinem Hirtenbrief vom 12. September 2023 umschrieben hat.

In zahlreichen Erklärungen haben die Päpste und die Bischöfe den Missbrauch verurteilt, ihn als «verabscheuungswürdiges Verbrechen» und «schwere Sünde» deklariert und die «tiefen Schmerzen und Leiden» beklagt, die verursacht wurden; sie haben Missbrauch «sündhaft und verbrecherisch» genannt. Und es ist auch wirklich eine Schande, was da unter dem Deckmantel der Religion getrieben wurde. Wir sind beschämt und tief bestürzt über die Fälle von sexuellen Übergriffen in der Seelsorge und auch über die Versetzungs- und Vertuschungspraxis, die in einigen Bistümern geherrscht hat. Wir können unsere Augen vor den Skandalen nicht mehr verschliessen, beschönigen oder kleinreden, vor allem vor dem grossen Leid, das den minderjährigen Opfern durch Männer und Frauen der Kirche zugefügt wurde. Dass Leute die Kirche aus Protest verlassen, geschockt über die Grösse dieser Untaten, ist manchmal verständlich, auch wenn jeder einzelne Austritt sehr zu bedauern ist. Hoffnung lässt sich nicht verordnen oder gar befehlen, doch lassen wir uns die Hoffnung nicht nehmen, lassen wir uns nicht lähmen. Wir haben diese Herausforderung, unsere Zeit anzunehmen, die genauso Gottes Zeit ist wie andere Zeiten der Kirchengeschichte auch. Wir haben uns auf Christus und seine Lehre zurückzubesinnen und ihn in das Zentrum unseres Lebens und unseres Alltags zu stellen und so zu handeln, wie er es uns vorgelebt hat.

Missbrauch mit dem Missbrauch
Langsam scheint es mir aber auch: Es wird Missbrauch betrieben mit dem Missbrauch. Das bittere Thema muss nun seit Wochen und Monaten dazu herhalten, Abneigung gegen die Kirche zu schüren. Der Katholizismus wird verteufelt, und es werden Pauschalverurteilungen vorgenommen; es werden alle Priester oder Ordensleute sexueller Vergehen verdächtigt. Deshalb meint man, die Kirche jetzt zwingen zu müssen, Massnahmen zu ergreifen, selbst wenn das nur durch das Vorenthalten von rechtlich zugesicherten Beiträgen geht, wie es etwa die Kirche in Luzern gerade tut.

Aber die katholische Religion lässt sich dafür ganz sicher nicht verantwortlich machen, auch wenn es derzeit versucht wird. Der Katholizismus ist eine in jeder Hinsicht spannende Religion. Sie ist grösser als der einzelne Priester, grösser als irgendeiner ihrer Päpste. Ja, sie hat gesündigt, sie hat Verbrecher hervorgebracht, vom Zeitpunkt ihrer Gründung an bis heute. Aber auch Heilige und Helden. Ich bin trotz allem stolz, diesem gesinnungsstarken und glaubensfrohen Verein anzugehören, besonders in Zeiten, in denen Grundüberzeugungen der modernen Gesellschaft gerade mal bis zur nächsten Frühjahrsmode halten. Die Kirche ist in einer ernsten Krise, das ja, aber nicht jeder Vorwurf ist damit gerechtfertigt. Es ist wichtig zu differenzieren sowie der Wahrheit, die frei macht, eine Chance zu geben.

Mich ärgert in diesem Zusammenhang auch die Scheinheiligkeit bestimmter Medien, die die Kirche als «Sündenbock» brauchen, um eine grundsätzliche gesellschaftliche Debatte über Gründe und Hintergründe zu umgehen. Dieselben Presseorgane, die mit grossen Buchstaben auf ihrer Titelseite die Kirche anklagen, zwei Seiten weiter aber mit viel nackter Haut den Star des Tages präsentieren und von Sexanzeigen überquellen, diese Medien sollten sich auch dreimal an die Brust schlagen und sich ihrer Verantwortung stellen. Mich ärgert die Verlogenheit mancher Fernsehsender, die breit und mitunter genüsslich über Missbrauchsfälle in der Kirche berichten und gleich danach in Filmen sexuelle Perversionen aller Art zur Unterhaltung anbieten.

Mich enttäuschen Mitbrüder, die scheinheilig meinen, sie seien berufen, die Kirche zu reinigen und zu retten und die dabei vergessen, sich vorher selbst an ihre sündige Brust zu schlagen.

Wie nicht anders zu erwarten, haben manche Leute keine Zeit verschwendet, um dem Zölibat die Schuld an der ganzen Misere zu geben und seine Abschaffung zu fordern, natürlich auch die Trennung von Kirche und Staat und damit einhergehend die Finanzierung des «Systems Kirche» und schliesslich auch das Priestertum der Frau. Diese Forderungen werden der Sache jedoch nicht gerecht. Klar ist jeder einzelne Fall einer zu viel! Klar müssen Verbrechen aufgeklärt werden, aber nicht jeder Priester und jeder kirchliche Mitarbeiter und jede Ordensfrau ist ein Missbrauchstäter!

Allen fair begegnen
Ich bitte Sie heute aber darum, nun nicht alle Priester und die gesamte Kirche in Bausch und Bogen zu verurteilen, so nach dem Motto: «Da sieht man’s wieder einmal! Ich hab’s ja immer schon gewusst, den Geistlichen kann man nicht trauen!» Dieser Pauschalverdacht tut den allermeisten Priestern, Ordensleuten und kirchlichen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen Unrecht. Versuchen Sie deshalb, allen Priestern fair zu begegnen, die treu und engagiert ihre Sendung leben. Dies auch zu sehen und entsprechend zu würdigen, ist eine Frage der Ehrlichkeit und der Gerechtigkeit. Wer vorurteilsfrei die Geschichte des Oberwallis studiert, wird feststellen können, wie segensreich die Kirche und ihre Priester und Ordensleute in der Vergangenheit gewirkt habe. Denken wir an die Schulen und Spitäler und auch an die Gründung von Banken und Versicherungen im Oberwallis, die oft von Priestern initiiert und mitgetragen worden sind. Ja, auch da ist nicht alles optimal gelaufen, aber es geschah viel Gutes, von dem wir auch heute noch profitieren! Das sollten wir, bei aller berechtigten Kritik, nicht vergessen.

Die Kirche ist sicher eine Gemeinschaft von Sündern, die in geradezu peinlicher und schmerzhafter Weise versagen kann. Trotz allem ist sie aber auch die «heilige» Kirche. Heilig, weil sie durch Gott, der heilig ist, begründet ist. Gott wird sie nie verlassen, sondern ruft sie immer neu ins Leben. Gottes Liebe ist immer stärker als die menschlichen Schwächen. Trotz allem Schmerzlichen, was in der Kirche passiert ist, werde ich die Überzeugung nicht aufgeben, dass Gott die Kirche gewollt hat zum Wohl der Menschen. Aber: Da, wo Menschen leben, menschelt es immer und leider können dort auch schreckliche Dinge geschehen.

Krise als Chance
Betrachten wir die Kirche wie unsere Mutter und diese alte Mutter mit vielen Runzeln und Falten schlägt man nicht. Wenn die Mutter krank ist, wenn meine Mutter etwa hinken würde, habe ich sie noch lieber. Dasselbe gilt für die Kirche: Auch wenn es in dieser Kirche Fehler und Mängel gibt – und die gibt es –, darf doch unsere Liebe zur Kirche niemals weniger werden. «Die Kirche ist unsere Mutter, deshalb müssen wir sie auch dann lieben, wenn wir auf ihrem Gesicht die Falten der Schwäche und der Sünde sehen», mein Papst Franziskus. Vielleicht würde sich viel ändern, wenn wir die Kirche unter diesem Aspekt betrachten würden. Die Kirche nicht als böse Stiefmutter, sondern als vielleicht alte und manchmal auch etwas schrullige Mutter, aber eben als meine Mutter. So kann wieder ein Klima des Vertrauens und des Gebetes entstehen, und gerade wir als Christen sollten darin Weltmeister sein.

Das Ansehen der Kirche liegt am Boden, sie steckt in einer schweren Krise. Doch in jeder Krise steckt ein ungeheures Kraftpotenzial, um den Durchbruch zu neuen Perspektiven zu gestalten. Voraussetzung dafür ist, dass wir sie nicht verdrängen, sondern uns mit ihr auseinandersetzen. So kann eine Krise im Nachhinein eine Chance sein, durch die wir wachsen, reifen und uns weiter entwickeln können. Packen wir diese Chance.


Walliser Bote


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    Auer Peter 04.12.2023 um 13:01
    Missbrauch mit dem Missbrauch. Noch fast schlimmer als die Missbräuche finde ich dass die ''normalen'' Vorgesetzten der Täter bei Bekanntwerden oder Vermutung nicht sofort handelten und die Täter durch Versetzen schützten, ihnen sozusagen die Gewisssheit gaben dass ihnen nichts passiert.
  • user
    Robert Wenger 24.11.2023 um 20:13
    " Ja, sie (die Katholische Kirche) hat gesündigt, sie hat Verbrecher hervorgebracht, vom Zeitpunkt ihrer Gründung an bis heute."
    Dies ist grundlegend falsch und darf so nicht stehen gelassen werden.
    Die Katholische Kirche ist der Heilige Leib Christi und kann gar nicht sündigen. Wer hier immer wieder sündigt sind seine Sachwalter, seine Berufenen, seine "Gläubigen", wir alle. Und zwar, weil die eindeutigen Gebote und die Verkündigung dieser Kirche eben nicht befolgt werden, ihre Heiligkeit verachtet wird und der Glaube nicht entsprechend gelebt wird.
  • user
    Stefan Fleischer 24.11.2023 um 14:31
    Ein kleiner Zwischenruf:
    Mit der heute weit verbreiteten Verharmlosung der Sünde lässt sich unter anderem auch der sexuelle Missbrauch nicht bekämpfen. Im Gegenteil.