Pro Life

Die Mär vom glück­li­chen, gekauf­ten Kind

«Warum soll man sich nur ein Auto oder eine Pizza bestel­len und lie­fern las­sen, wenn man das Ganze auch mit Kin­dern machen kann?», fragt Bir­git Kelle in ihrer gewohnt iro­ni­schen, poin­tier­ten Spra­che. Ihr neu­es­tes Buch «Ich kauf mir ein Kind» ist nichts für Zartbesaitete.

«Leihmütter» sind für Paare, die aus medizinischen Gründen keine eigenen Kinder bekommen können, oft die letzte Hoffnung. Doch inzwischen sind noch ganz andere Menschen «auf den Geschmack gekommen». Allen voran schwule Männer, die sich ihren Traum von einer «Familie» erfüllen wollen. Elton John und Lebensgefährte David Furnish haben zwei Kinder durch Leihmütter, Ricky Martin und Lebensgefährte gar vier Kinder. Doch auch heterosexuelle Paare, die eigentlich eigene Kinder haben könnten, nehmen das neue Geschäftsmodell «Leihmutterschaft» in Anspruch: Nicole Kidman, Cameron Diaz und Paris Hilton sind nur einige der zahllosen Beispiele, die Birgit Kelle in ihrem Buch auflistet. Dass mit diesem Geschäftsmodell etwas nicht stimmt, wird spätestens klar, wenn die Autorin von der 26-jährigen Millionärsgattin Christina in Georgien erzählt. Diese hat 21 Kinder: Eines hat sie selbst geboren, die anderen 20 Kindern kamen innerhalb von 12 Monaten durch Leihmütter zur Welt. Diese erhielten für ihr Kind je rund 8000 Euro (Seite 26).

Wieso soll Frau selbst ein Kind auf die Welt bringen, wenn sie «es sich leisten kann, dass eine andere Geschlechtsgenossin schwanger wird, Bluthochdruck bekommt und sich morgens übergibt»? (25). Gewisse Agenturen für Leihmütter bewerben erfolgreiche Frauen und zeigen Verständnis, dass eine Schwangerschaft nicht mit der Arbeit vereinbar ist. Unvorhergesehene Komplikationen, morgendliche Übelkeit usw. würden den Terminkalender durcheinanderbringen und ausserdem haben die Frauen doch so hart kämpfen müssen, bis sie ihre jetzige Position erreicht haben. Also muss eine Leihmutter her. «Nicht geklärt wird die Frage, ob all die erfolgreichen Arbeitsbienchen danach Zeit haben für das ganze Leben eines Kindes, wenn schon keine neun Monate für die Schwangerschaft da sind» (25).

Mythos der glücklichen gekauften Familie
In aktuellen Filmen wird Leihmutterschaft als etwas ganz Tolles dargestellt. Am Schluss sind alle glücklich und zufrieden. Inzwischen gibt es auch verschiedenste Kinderbücher zum Thema, nicht wenige davon von Betroffenen verfasst. Birgit Kelle stellt einige davon vor und zieht das Fazit: «Zahlreiche Kinderbücher thematisieren Eizellspende, als wären es Hühnereier, die man eben einfach nur ausbrüten muss, und zwar egal von wem» (40).

Leihmutterschaft ist eigentlich in den meisten Ländern verboten; in Europa verbieten sie 22 Länder, Portugal beschränkt sie auf medizinische Ausnahmefälle. Und doch blüht das Geschäft mit den Kindern – und den Frauen. Birgit Kelle berichtet in ihrem Buch schonungslos über die zahlreichen Fälle, in denen arme Frauen ausgebeutet wurden und werden. In Indien wurden z. B. Frauen von ihren Familien getrennt und in speziell angemieteten Wohnungen untergebracht. Ihnen wurden bis zu vier Embryonen eingepflanzt, die später zum Teil «reduziert», d. h. abgetrieben wurden. Bei Fehlgeburten übernahm niemand eine Haftung oder die Kosten für die medizinische Behandlung. «Für Besteller und Agentur endet die Verantwortung, sobald der Brutkasten seine Leistung erbracht hat» (77). Wirklich Geld verdient haben nur die Agenturen und Ärzte. Die Frauen konnten oft die Verträge nicht lesen, die sie unterschrieben. Trocken stellt Birgit Kelle fest: «Der Mythos der selbstbestimmten Reproduktionsarbeiterin kann in indischen Slums restlos beerdigt werden» (54). Früher konnte man Sex gegen Geld kaufen, heute auch Kinder. «Das Prinzip ist geblieben, dass es niemals um die Person geht, nicht um die Frau als Mensch, sondern nur um ihren Körper und seine Benutzbarkeit» (129).

Erfolgreiche Geschäftsmodelle interessieren sich nicht für Rechte
Birgit Kelle verweist auf die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen aus dem Jahr 1989. Diese sieht im Artikel 7 vor, dass ein Kind das Recht hat zu wissen, wer die eigenen Eltern sind und das Recht, von ihnen betreut zu werden. Art. 35 verpflichtet die Staaten, «die Entführung und den Verkauf von Kindern sowie den Handel mit Kindern zu irgendeinem Zweck und in irgendeiner Form zu verhindern». Damit ist auch kein Handel aus altruistischen Motiven erlaubt. Doch wenn es ums Geschäft geht, haben solche Rechte keine Bedeutung.

«Und da haben wir noch nicht einmal darüber gesprochen, welche Probleme erst entstehen, wenn das Kind von seinem neuen Besitzer gar nicht zum Liebhaben bestellt wurde, sondern zu ganz anderen Zwecken» 70). Stichworte: Kinderraub, Kinderhandel, Organhandel, Kinderpornografie. «Die Logik des Marktes ist erbarmungslos und fragt nicht nach Kinderrechten, Frauenrechten oder ethischen Grundsätzen, sondern nach Wachstum und Profit.»

Was verschwiegen wird
Das Geschäft mit Leihmüttern hat neben der Ausbeutung von (wirtschaftlich schlecht gestellten) Frauen auch noch andere Aspekte, die in den Hochglanzreportagen oder Hollywoodfilmen nicht erwähnt werden. Unter dem Titel «Hormone sind keine Bonbons» kommt Birgit Kelle auf die gesundheitlichen Nebenwirkungen und Folgen der Leihmutterschaft zu sprechen. Diese sind erwiesenermassen höher als bei einer normalen Schwangerschaft. Die Kosten muss die Frau selbst übernehmen – mit der Geburt endet der «Leistungsauftrag». Die Schwangerschaften von Leihmüttern haben aber auch Auswirkungen auf das soziale Umfeld der betroffenen Frau, was ebenfalls nicht thematisiert wird.

Aber auch für die auf diese Weise gezeugten Kinder gilt ein erhöhtes Gesundheitsrisiko, z. B. mit einem massiv erhöhten Risiko einer Frühgeburt. Dazu kommt, dass die Kinder keine Angaben über die Gesundheit ihrer leiblichen Mütter (z. B. betreffend Erbkrankheiten) haben. Behinderte Kinder werden abgetrieben oder in ein Waisenhaus gebracht. Wer so viel Geld für das einzige Kind ausgibt, will sich nicht mit Handicaps herumschlagen» (75).

Was es heisst, ein Kind einer Leihmutter zu sein, zeigt Birgit Kelle am Beispiel von Olivia Maurel. Diese erfuhr im Alter von 32 Jahren durch einen DNA-Test, dass sie von einer Leihmutter ausgetragen worden war. Sie litt seit ihrer Kindheit beständig unter der Angst, verlassen zu werden und hatte grosse Beziehungsschwierigkeiten. Nachdem sie von den Umständen ihrer Geburt erfahren hatte, wurde ihr klar, warum. Sie ist überzeugt, dass es keine «gute» Leihmutterschaft gibt und erklärt: «Ich habe ein Preisschild» (213).

Ein weiteres aktuelles Kapitel betrifft «Kinder in Kühlschränken». Was soll mit den überzähligen Embryonen geschehen? Wie brisant das Thema ist, zeigt die Tatsache, dass selbst der katholische Theologe Antonio Autiero, Mitglied der von der Bundesregierung eingesetzten Ethik-Kommission für Stammzellenforschung (ZES), sich zur Aussage versteigt, diese müssten doch der Forschung zugänglich gemacht werden können.

Birgit Kelle schafft es mit ihrem Buch «Ich kauf mir ein Kind», das schwierige Thema der Leihmutterschaft verständlich und übersichtlich darzustellen. Trotz ihres ironischen– zuweilen auch sarkastischen – Erzählstils bemächtigt sich einem angesichts des Geschäfts mit Leihmüttern am Schluss ein Gefühl tiefen Unbehagens. Die Autorin ist der Meinung, dass wir noch immer die falschen Fragen stellen.

«Es geht nicht um Ansprüche von Erwachsenen, sondern um die Rechte von Kindern, wie Menschen und nicht wie Sachen behandelt zu werden. Es geht nicht um Babyglück für einige, sondern um das Grauen für Tausende. Nicht um die Vermeidung von ein paar Erbkrankheiten durch die ‹Optimierung› von Genmaterial, sondern um die Ambition auf den perfekten Menschen. Nicht um das Glück gesunder Babys, sondern um die Wegwerfmentalität, mit der die kranken auf dem Müll landen oder auf dem Labortisch von Forschern mit kranken Machbarkeitsfantasien auf dem Weg zum Retortenmenschen aus dem künstlichen Brutkasten» (232).

 

Birgit Kelle, Ich kauf mir ein Kind. Das unwürdige Geschäft mit der Leihmutterschaft. Finanzbuchverlag 2024. 251 Seiten. ISBN 978-3-95972-770-9


Rosmarie Schärer
swiss-cath.ch

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Rosmarie Schärer studierte Theologie und Latein in Freiburg i. Ü. Nach mehreren Jahren in der Pastoral absolvierte sie eine Ausbildung zur Journalistin und arbeitete für die Schweizerische Kirchenzeitung SKZ.


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Bemerkungen :

  • user
    Michael Dahinden 09.04.2024 um 11:16
    Wenn die Sache so auf den Punkt gebracht wird wie von Birgit Kelle, ist das Gold wert.