Foto der seligen Sr. Charitas Brader (Detail). (Bild: Ulises Hernandez Pino/Wikimedia Commons)

Hintergrundbericht

Die selige Cha­ri­tas Bra­der auf der ande­ren Bachseite

In Kalt­brunn SG auf­ge­wach­sen, habe ich erst sehr spät ver­stan­den und begrif­fen, wel­che Per­sön­lich­keit auf der ande­ren Seite des Dorf­ba­ches, in der «Dorf­brü­cke», einige Zeit gelebt hat.

Ich war schon längst Franziskaner, als ich die Franziskanerin Schwester Caritas Brader kennengelernt habe. Sie wurde offensichtlich am gleichen Taufstein wie ich in der Pfarrkirche Kaltbrunn, die ab 1821 benutzt wurde, getauft. Wer aber ist Schwester Charitas Brader?

In die Armut hinein geboren
Am 14. August 1860 in Kaltbrunn als Kind von Sebastian Brader und Maria Karolina Zahner geboren, wurde sie am Folgetag auf den Namen Maria Josefa Karolina in der Pfarrkirche getauft und in die katholische Kirche aufgenommen. Die junge Familie lebte in der «Dorfbrücke», im Zentrum von Kaltbrunn. Das 19. Jahrhundert aber war eine Zeit grosser Armut in der Schweiz. Viele Menschen hatten keine Arbeit und mussten von der Hand in den Mund leben. Das führte zu breiten Auswanderungen von Schweizern und von ganzen Familien nach Amerika. In den Vereinigten Staaten konnte man leicht Boden kaufen und einen Landwirtschaftsbetrieb eröffnen, der einen sehr guten Lebensunterhalt gewährte. So hoffte man, und einige haben das auch so erlebt. Allerdings starben viele Menschen auf der langen Reise oder glitten in Amerika in die Armut hinein. Sebastian Brader, der als Bäcker arbeitete, entschloss sich, als Maria Josefa Karolina noch ein kleines Kind war, nach Amerika auszuwandern, vielleicht mit der Absicht, später Frau und Kind nach Amerika zu holen. Aber er konnte sich aus unbekanntem Grund nicht mehr zurückmelden und gilt seit 1888 als verschollen. So mussten Mutter und Kind künftig selbstständig leben und die Mutter musste durch ihre Arbeit den Lebensunterhalt für zwei Personen verdienen. Der Mutter aber war es sehr wichtig, dass Maria Josefa Karolina eine gute Ausbildung machen konnte, um später ihr Leben gut führen zu können. Sie besuchte die Primarschule in Kaltbrunn, die Sekundarschule bei den Kapuzinerinnen in Altstätten SG, machte weitere Studien bei den Benediktinerinnen in Sarnen und im Internat der Schwestern von der Heimsuchung in Fribourg.


Gerufen in ein franziskanisches Leben
Ihre innere Beziehung zu Jesus Christus wurde immer tiefer und durch das Erleben vieler Ordensfrauen hörte sie den Ruf Gottes in ein franziskanisches Ordensleben hinein. Am 1. Oktober 1880 trat sie in das kontemplative Kapuzinerinnenkloster in Altstätten ein und bekam den Ordensnamen Sr. Maria Charitas von der Liebe des Heiligen Geistes. Aus politischen Gründen standen die Ordensgemeinschaften damals unter ziemlichem Druck: Sie durften nicht zu viele Mitglieder haben und wenn sie das vom Kanton festgelegte Fixum an Mitgliedern übertrafen, mussten diese das Kloster verlassen und durften nicht mehr bleiben. Die Berufungen bei den Kapuzinerinnen in Altstätten waren damals so zahlreich, dass viel zu viele Schwestern im Kloster waren. Sollten sie nun eine neue Klostergemeinschaft an einem anderen Ort gründen oder mit einer Gruppe in die im Moment äusserst beliebten und von der katholischen Kirche geförderten Missionen gehen? Über den Kapuzinerorden, dem sie zugeordnet waren, knüpften sie Kontakt mit Kapuzinern in den Missionen und konnten über Briefe und Besuche das Missionsleben genauer kennenlernen. Sie entschieden sich, sieben Schwestern zur Missionsarbeit nach Lateinamerika auszusenden.

Beginn der Missionsarbeit in Ecuador und Kolumbien
Unter Leitung der Oberin des Klosters Altstätten, Sr. Bernarda Bütler (Jahrgang 1848), die 2008 als erste Schweizerin überhaupt heiliggesprochen worden ist, zogen Sr. Charitas Brader, mit vier anderen Schwestern, von denen drei erst am 17. Mai 1888 die Profess abgelegt hatten, zusammen mit einer Novizin als Missionsgruppe aus. Ihre Reise, die nach dem Abschiedsbrief vom 19. Juni 1888 begann, war für die Schweizerinnen und Vorarlbergerinnen abenteuerlich. Während Sr. Charitas fröhlich und aufgestellt Neues erfahren konnte und dabei die Informationsbriefe an das Heimatkloster schrieb, litt Sr. Bernarda auf dem Schiff nach Amerika schwer unter Reisekrankheit und konnte kaum ihren Schlafraum verlassen. Auf dem Weg und an den Missionsorten wurden aus den kontemplativen Kapuzinerinnen aktive Missionsfranziskanerinnen. Schon auf dem Schiff konnten sie keine Eucharistie feiern, da kein Priester da war. Aber sie beteten treu gemeinsam das Stundengebet. In Chone (Ecuador) angekommen erwartete sie Bischof Peter Schumacher und gab ihnen einen Bauplatz für ihr Klösterchen.

Gründung von Schulen für Mädchen und Arbeit für die Armen
Die Schwestern begannen gleich, Mädchen zu unterrichten und gründeten eine Schule. Grundlegende Bildung war für sie eine der wichtigsten Formen der Arbeit für die Menschen, besonders für die Frauen und Mädchen in Chone. Sie versuchten sich auch in der Vermittlung des christlichen Glaubens an die Menschen vor Ort, nahmen sich besonders der Armen und Kranken an, die vorher oftmals keine Fürsorge finden konnten und unterstützten Familien. Die intensivste Form des Gebetes war für die Schwestern aber die eucharistische Anbetung. Schon in Altstätten hatten sie diese intensiv gepflegt und haben diese Gebetsform nach Lateinamerika mitgenommen. Im Jahre 1893 wurde Sr. Charitas, auch aus politischen Gründen, nach Kolumbien geführt und musste sich von Sr. Bernarda trennen. So entstanden zwei neue Kongregationen von Franziskanerinnen: durch Sr. Charitas die «Franziskanerinnen von Maria Immakulata» und durch Sr. Bernarda die «Franziskaner-Missionsschwestern von Maria Hilf». Im Tausendtagekrieg Kolumbiens gründeten die Schwestern von Mutter Charitas Lazarette und dienten selbst Verwundeten. Da es zu der Zeit keine Ordensberufungen in Kolumbien gab, reiste Mutter Charitas mehrmals eigens in die Schweiz, hielt Vorträge über die Mission und begegnete vielen Menschen, sodass sie nach jeder Reise ein Grüppchen junger Frauen aus der Schweiz nach Lateinamerika bringen konnte, die in die Gemeinschaft der Franziskanerinnen eintraten. Interessanterweise ist das heute gerade umgekehrt: Es gibt nur noch wenige ganz alte Schwestern in der Schweiz, vor allem in Oberriet, und alle jungen Schwestern treten in Lateinamerika in die Gemeinschaft der Franziskanerinnen ein. Die Quellen der Berufungen haben sich umgekehrt. Die Schweiz ist jetzt zum Missionsland geworden, in dem es nicht wenige Ordensleute und Priester aus anderen Kontinenten gibt.
 


Betendes Dasein vor Christus in der Eucharistie
Im Verlaufe ihres Lebens wurde Sr. Charitas immer tiefer zu einer Anbeterin Jesu in der eucharistischen Anbetung. Am 22. August 1928 erhielt sie vom Papst die Erlaubnis zur ewigen Anbetung in der Mutterhauskapelle in Pasto (Kolumbien), an der sie selbst intensiv teilnahm und in der bis heute die Schwestern und Laien intensiv Anbetung besonders auch für ihre Dienste in Lateinamerika halten. Neben dem Dienst an den Armen, besonders aber an Frauen und Mädchen in Schulen und Krankenhäusern, hat die Gemeinschaft der Franziskanerinnen als Gegenzug sozusagen auch ein kontemplatives Charisma, das vor allem in der eucharistischen Anbetung gepflegt wird. Für Mutter Charitas, die (General-) Oberin ihrer Gemeinschaft, soll beides immer neu zusammenkommen: der Dienst an den Menschen, besonders an Frauen und Mädchen, und das intensive Gebet angesichts der Gegenwart Jesu Christi in der Eucharistie. Beides zusammen macht diese Berufung aus. Sr. Charitas Brader starb am 27. Februar 1943 im Alter von 82 Jahren in Pasto (Kolumbien).

Im Jahre 2003 seliggesprochen
Papst Johannes Paul II. sprach Sr. Charitas Brader am 23. März 2003 in Rom selig. In der Schweiz wird sie vor allem in Kaltbrunn verehrt, wo eine Reliquie in der Pfarrkirche steht und wo immer am 27. Februar ein Gottesdienst oder eine Gebetszeit zu Ehren der seligen Charitas gefeiert wird. Intensiv aber verehren sowohl Franziskanerinnen wie Laien die selige Charitas in Kolumbien, wo in Pasto ihr Grab ist.

Vor genau 20 Jahren wurde Sr. Charitas seliggesprochen. Eine Herausforderung für uns Schweizerinnen und Schweizer neu zu überlegen, was wir an christlichem Leben vor vielen Jahrzehnten in die ganze Welt zu tragen vermochten. Aber auch, was die Neuevangelisierung bei uns bedeuten könnte, ist eine wesentliche Frage, die uns die Schweizer Franziskanerin Sr. Charitas zweifellos stellt. Wie können Menschen vom Evangelium Jesu heute bei uns neu berührt werden? Nehmen wir diese Frage am 20. Jubiläum ihrer Seligsprechung besonders in unseren Alltag mit und lassen uns von dieser Missionarin für die Schweiz neu herausfordern.

 

Literatur
Karl Boxler, Die Reiter waren Frauen. Mutter Charitas Brader, Altstätten 1952.
Victor Conzemius, Brader Charitas, in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Bd. 2, Basel 2003, 641.
Paul Zahner, Vom Kapuzinerinnenkloster Altstätten nach Lateinamerika. Maria Charitas Brader und Maria Bernarda Bütler und der missionarische Aufbruch im Jahre 1888, in: Helvetia Franciscana 41 (2012) 177-210.
Paul Zahner, Ein Brief aus der Missionsreise des Jahres 1888 aus der Schweiz nach Lateinamerika von Sr. M. Bernarda Bütler und ihren sechs Mitschwestern, in: Michaela Sohn-Kronthaler/Paul Zahner OFM/Willibald Hopfgartner OFM (Hg.), Zwischen Gebet, Reform und sozialem Dienst. Franziskanisch inspirierte Frauen in den Umbrüchen ihrer Zeit (Theologie im kulturellen Dialog 29), Innsbruck-Wien 2015, 227-237.


Br. Paul Zahner OFM


Kommentare und Antworten

×

Name ist erforderlich!

Geben Sie einen gültigen Namen ein

Gültige E-Mail ist erforderlich!

Gib eine gültige E-Mail Adresse ein

Kommentar ist erforderlich!

You have reached the limit for comments!

* Diese Felder sind erforderlich.

Sei der Erste, der kommentiert