Justizia (Bild: Tingey injury law firm/Unsplash)

Weltkirche

Die vati­ka­ni­sche Jus­tiz vor neuen Herausforderungen

Grosse Her­aus­for­de­run­gen an die Jus­tiz des Vati­kan­staats hat der neue vati­ka­ni­sche Gene­ral­staats­an­walt Ales­san­dro Diddi ange­kün­digt. Das zurück­lie­gende Gerichts­jahr sei bereits ein beson­de­res gewe­sen, sagte Diddi, der seit einem hal­ben Jahr im Amt ist.

Das vatikanische Gerichtsjahr 2022 war geprägt durch ein grosses, bisher nicht abgeschlossenes Wirtschaftsstrafverfahren gegen frühere vatikanische Funktionäre im Bereich Finanzen. Der Generalstaatsanwalt Alessandro Diddi äusserte sich anlässlich der Eröffnung des neuen Gerichtsjahres in Anwesenheit des Papstes und des italienischen Justizministers Carlo Nordio im Vatikan zur aktuellen Situation. Die wachsende Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit mache den Akteuren der vatikanischen Justiz bewusst, wie gross die ihnen anvertraute Verantwortung sei. Sie müssten ihre Aufgaben sehr gewissenhaft und unter Beachtung der Rechte der Angeklagten erfüllen.

Es gebe derzeit immer häufiger Ermittlungen in Dingen, die über die vatikanischen Staatsgrenzen hinausreichten. Deshalb habe seine Behörde jetzt häufig Kontakt mit ausländischen Justiz- und Polizeibehörden. Dem italienischen Justizminister dankte er für die Bereitschaft zur Zusammenarbeit, da es zwischen dem Vatikanstaat und der Italienischen Republik kein förmliches Rechtshilfeabkommen gebe.

Derzeit nähmen auch aus anderen Ländern die Anfragen an seine Behörde zu, Ermittlungsergebnisse über die Grenzen hinweg zu teilen, betonte Diddi. Dies zeige, wie wertvoll die Arbeit der Staatsanwaltschaft und der Polizei in dem kleinen Staat der Vatikanstadt sei.

Diddi hatte im Januar überraschend angekündigt, der Vatikan werde im Fall der 1983 spurlos verschwundenen Jugendlichen Emanuela Orlandi Ermittlungen aufnehmen. Dieser ungelöste Fall bewegt die Öffentlichkeit seit Jahrzehnten, die italienische Justiz hatte ihn im Jahr 1997 wegen fehlender Beweise zu den Akten gelegt.

Barmherzigkeit und Gerechtigkeit verbinden
Auch Papst Franziskus äusserte sich zur vatikanischen Justiz. Beim jährlichen Empfang für das Personal an den vatikanischen Zivil- und Strafgerichten von heute Samstag gab er zu: «In den letzten Jahren haben die juristischen Streitfälle und Prozesse zugenommen, und auch in etlichen Fällen die Schwere der Taten, die dort verhandelt werden. Dies gilt vor allem im Bereich von Vermögen und Finanzen.»

Das Problem seien aber nicht die Prozesse, sondern die Verhaltensweisen und Taten, die diese Prozesse leider unvermeidlich machten. Denn dieses Verhalten von Mitgliedern der Kirche beeinträchtige in schwerwiegender Weise die Fähigkeit der Kirche, das Licht Gottes und die Botschaft Christi zu verbreiten.

Zugleich erinnert Franziskus daran, dass die Kirche gegenüber Verurteilten barmherzig sein müsse. Am Ende brauche es eine konsequente Unterscheidung und nicht eine «kalte Schreibtisch-Moral», um die Prinzipien von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit miteinander in Einklang zu bringen. Diese beiden Prinzipien müssten zusammen gehen; sie seien kein Gegensatzpaar, vielmehr sei die Barmherzigkeit die Erfüllung der Gerechtigkeit.

Im Vatikan sind seit Monaten mehrere Wirtschaftsstrafverfahren gegen einst hochrangige Funktionäre sowie Berater im Bereich Vermögen und Finanzen anhängig. Prominentester Angeklagter ist die frühere Nummer zwei des vatikanischen Staatssekretariats, Kardinal Angelo Becciu.


KNA/Redaktion


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Bemerkungen :

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    Stefan Fleischer 27.02.2023 um 12:35
    @ Hansjörg
    Vielleicht habe ich mich nicht klar genug ausgedrückt. Für mich ist der Tatbestand die Gesamtheit aller relevanten Fakten unter Abstraktion von der Schuldfrage. Der Tatbestand eines Ladendiebstahls z.B. ist aus diesem Blickwinkel unabhängig davon, ob er aus einer persönlichen Notlage heraus oder aus der Absicht, den Geschäftsinhaber zu schädigen, erfolgt. Der erste Grund für die Tat erfordert dann eine grössere Barmherzigkeit des Urteils und der Strafe, der zweite Grund dagegen eine Verschärfung. Wie weit menschliche Gerechtigkeit dem gerecht werden kann, kann ich nicht beurteilen. Ich bin mir aber sicher, dass Gott hier ganz klar unterscheidet. Nur so nämlich kann verhindert werden, dass z.B. an sich schwer wiegende Taten, aus Barmherzigkeit mit den Tätern, immer mehr verharmlost werden, dass eine an sich schwere Sünde immer mehr zum «Gewohnheitsrecht» auch Gott gegenüber wird. Ich denke hier z.B. an die Abtreibung.
  • user
    Stefan Fleischer 26.02.2023 um 05:40
    "Am Ende brauche es eine konsequente Unterscheidung."
    Aus meiner Sicht muss es dabei um die Unterscheidung zwischen dem Tatbestand an sich und der Schuld der Täter gehen. Der Tatbestand muss klar und deutlich benannt und in jedem Fall gerecht beurteilt werden. Dann kann anschliessend gegebenenfalls auch das Prinzip "Gnade vor Recht" angewandt werden, ohne die Gerechtigkeit zu verletzen. Ich bin nicht Theologe. Aber ich glaube, dass auch Gott diese Unterscheidung macht. Ist Christus, der Herr, nicht am Kreuz gestorben, damit dies möglich sei, damit seine Urteile in jedem Fall wahr und gerecht bleiben, wie sie Schrift sagt, ohne an seiner unendlichen Barmherzigkeit zu rütteln? (vgl. Tob 3,2 und ähnliche)
    • user
      Hansjörg 26.02.2023 um 11:23
      Ein Tatbestand ist ein Zustand der von Tätern geschaffen wurde. Ein Tatbestand kann nicht schuldig sein, aber die Täter sind von einem Gericht entsprechend dem Tatbestand zu verurteilen, oder frei zu sprechen.