Don Camillo und Peppone.

Kommentar

Don Camillo und Pep­pone – ratlos

Wer einst irgendwo in Ita­lien über­nach­tete, wurde unwei­ger­lich vom Schep­pern der Kir­chen­glo­cken geweckt. Mich erfreute das jeweils unge­mein, denn mir wurde damit bewusst­ge­macht, dass ich nicht zuhause, son­dern eben im Bel­pa­ese war. Und schlief danach meis­tens glück­lich wie­der ein. Tempi pas­sati! Heute schwei­gen auch in Ita­lien, wie in so vie­len Städ­ten und Dör­fern der Schweiz, die Kir­chen­glo­cken. Aber nicht nur sie: Die Kir­che schweigt und zieht sich zurück. Grossflächig.

Dieser Beitrag von Gottlieb F. Höpli erschien zuerst auf nebelspalter.ch

Nicht, dass die allermeisten Glocken italienischer Kirchtürme unseren Ohren durch besonderen Wohlklang schmeicheln würden. Nein, sie scheppern – so sie denn irgendwann erklingen – eher wie eine Banda von Dorfmusikanten, die eine stramme zweitaktige Melodie aus einer Verdi-Oper intonieren. Nello Santi, der während vierzig Jahren am Pult des Zürcher Opernhauses das italienische Genre dirigierte, soll das Orchester einmal lautstark beschimpft haben, weil es so notengenau und klangrein spielte, wie es der neue Konzertmeister verlangt hatte. Falsch! Verdi müsse falsch klingen wie von einer italienischen Dorfmusik gespielt, empörte sich der von den Zürchern bejubelte Maestro.

Der Kirche geht auch hier das Personal aus
Es ist nicht der Wohlklang eines niederländischen Glockenspiels, den ich vermisse. Ich vermisse die eindringliche akustische Standortmeldung vom Kirchturm: Hier bin Ich! Der profane Grund für das Schweigen am frühen Morgen ist wohl der, dass es keine Frühmesse mehr gibt. Weil es eben keinen Priester mehr gibt, der sie läse. Und auch nicht mehr viele Menschen, die sich zu diesem Zweck in der Kirche versammelten. Manchenorts scheint man sich jetzt damit zu behelfen, dass das traditionelle Rosenkranzgebet in der Kirche ab Tonband läuft und von den wenigen versammelten Gläubigen nachgesprochen wird.

Tatsächlich fehlt der katholischen Kirche auch in ihrem Herzland, wo der Papst residiert – ich weiss, es gibt noch den Kirchenstaat – das Personal. Im Städtchen Mittelitaliens, in dem ich so gerne meine Zeit verbringe, gibt es zwei Kirchen plus ein weiteres Gotteshaus beim Friedhof ausserhalb der Stadtmauern – aber keinen Priester mehr. Der letzte, Don Giuseppe, ist vor drei Jahren verstorben. Er hatte ausgeharrt bis fast zum Tod, weil er wohl wusste, dass er keinen festen Nachfolger mehr haben würde. Vorbei die Zeit, da er mir beim Weg auf die Piazza, wo er inmitten der alten Männer ein Glas mittrank, freundlich das Pfarrblatt in die Hand drückte. Die Gemeinde wird nun regional versorgt, wie andernorts auch. Ein alter Einheimischer erzählte mir einmal, wenn auch ohne Begeisterung, dass in seiner Jugend im Städtli noch drei Priester wirkten. Tempi passati.

Kühles Kulturerbe
Ja, die Kirchen stehen noch. Prachtvolle architektonische Zeugnisse einer anderthalbtausendjährigen geistigen und geistlichen Vergangenheit. Viele davon aufwendig erhalten und länger geöffnet als mancher Kirchenbau in der Schweiz. Von Menschenmassen manchmal förmlich überschwemmt. Auch wenn es sich dabei fast nie um Gläubige, sondern um Touristen handelt. Was auch der bleiche Gesundheitsminister Lauterbach aus Berlin gemerkt hat, der seinen deutschen Schäfchen in der Sommerhitze den Aufenthalt in einem solchen religiösen Bauwerk empfahl. Der Kühle wegen. Im übrigen aber dem italienischen Tourismus den Untergang voraussagte. Von wegen Klimaerwärmung. Die pikierte Reaktion der Römer Tourismusministerin wäre eigentlich nicht nötig gewesen, wenn diese sich einmal die Trefferquote der Lauterbach’schen Prognosen in Sachen Covid angesehen hätte. Dies aber nur nebenbei.

Abdankung als Hauptgeschäft
Der Rückzug der Kirche aus dem Alltag der Italiener ist offensichtlich und unwiderruflich. Aufgehalten noch durch die vielleicht letzte wirklich umfassende Dienstleistung: die Abdankung, die kirchliche Beerdigung am Ende des Lebens. Weil Italiens Gesellschaft schnell altert, weil die Menschen immer älter werden und immer weniger Babys geboren werden (nur in Ungarn ist die Geburtenrate noch tiefer), scheppern die Kirchenglocken doch noch relativ häufig. Aber diese Totenglocken läuten jedesmal auch ein Stück vom Ende eines katholischen Landes ein.

Doch nicht nur Don Camillo gehört mehr und mehr der Vergangenheit an, sondern auch sein Gegenspieler, der kommunistische Bürgermeister Peppone. Auch in Italien tut sich die politische Linke schwer mit ihren traditionellen Glaubensinhalten. Der altgediente und stets zerstrittene sozialdemokratische Partito democratico (PD) versucht sich seit kurzem ebenfalls mit den neuen Themen der Linken (Gender, Antirassismus, gegen Diskriminierung jeder Art und Minderheit), geradezu idealtypisch repräsentiert von der neuen Parteivorsitzenden Elly Schlein, einer in Lugano aufgewachsenen 38-jährigen Professorentochter mit drei Staatsangehörigkeiten (Italien, Schweiz, USA) und mindestens zwei sexuellen Präferenzen, einer progressiven Juristin und Aktivistin, politisch vergleichbar den Jusos an der schweizerischen SP-Spitze.

Don Camillo und Peppone stehen heute nur noch am Spielfeldrand der politischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen Italiens. Und fragen sich beide ratlos, wie es weitergehen wird. Das fragen sich viele Italiener wohl auch. Aber erst nach Ferragosto – nach den Sommerferien.

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    Martin Meier-Schnüriger 04.08.2023 um 12:31
    Um das Verstummen der Kirche zu betrachten, brauchen wir nicht nach Italien zu gehen, wir erleben es hautnah in unserer nächsten Umgebung. Dabei sind es oft die Verantwortlichen in der Kirche selbst, die sich vornehm zurückhalten, wenn es darum geht, Farbe zu bekennen. Don Camillo wurde seinerseits von seinem Bischof in die Verbannung geschickt, weil er sich recht unpriesterlich benahm, indem er sich an einer Schlägerei beteiligte. Heute schicken Bischöfe Priester ins Exil, obwohl oder gerade weil diese ihre priesterlichen Pflichten ernst nehmen. Don Camillos Gegner beknieten anschliessend den Bischof, er möge ihnen ihren Don Camillo zurückgeben. Heute werden die Priester, die in abgelegenen Bergtälern oder vom Aussterben bedrohten Frauenklöstern ihr Exil verbringen, weder von Freunden noch von Feinden zurückgerufen; man ist froh, die lästigen Mahner losgeworden zu sein.
  • user
    Claudio Tessari 02.08.2023 um 08:38
    Wenn man die Zahlen der Christen analysiert, sieht man das in Europa sich 40% weniger als Christen bezeichnen als noch vor 40 Jahren. Die 68er Revolution zeigt ihre Früchte. Der verstorbene Papst Benedikt hat schon prophetisch zu dieser Zeit vorausgesagt, dass wir in einem Neuheidentum leben werden, unter getauften Heiden, oder halt Atheisten oder wie sie sich heute alle nennen. Nun was aber ist die Lösung? Ich zitiere den grossen Kirchenvater den Heiligen Augustinus der bereits im 4. Jahrhundert sagte: Wollen wir uns über die Zeiten beklagen? Nicht die Zeiten sind gut oder schlecht. Wie wir sind, so sind auch die Zeiten. Jeder schafft sich selber seine Zeit! Lebt er gut, so ist auch die Zeit gut, die ihn umgibt! Ringen wir mit der Zeit, gestalten wir sie! Und aus allen Zeiten werden heilige Zeiten.

    Es liegt an uns, ob wir pessimistisch den Kopf in den Sand stecken, oder ob wir uns selber heiligen, und dadurch das Licht, dass Jesus Christus ist, in die Welt tragen. Jede Kirchenreform kam nicht durch Synoden oder Änderungen der Doktrin, sondern durch die Heiligen.
    • user
      Daniel Ric 03.08.2023 um 09:02
      Sehr richtig. Man darf nicht pessimistisch in die Zukunft blicken. Zudem sehe ich die Situation in Ländern wie in Italien oder Frankreich gar nicht so gravierend wie in den deutschsprachigen Ländern. Dass es aufgrund weniger Priester eine Zentrierung des kirchlichen Lebens geben wird, ist nicht aussergewöhnlich. Diese Glaubenszentren werden eine Neuevangelisierung einleiten können. In den Schweizer Bistümern ist hingegen das Problem, dass viele Menschen nicht einmal mehr den Unterschied zwischen einem Priester und einem Laientheologen oder zwischen einer Eucharistiefeier und einem Wortgottesdienst kennen. Es braucht in der Deutschschweiz einen wirklichen Sinneswandel bei den Bischöfen, um eine Kehrtwende einzuleiten.
      Noch ein Wort zu den Ursachen: Oft wird das Konzil oder die Alt-68er für den momentanen Niedergang der Kirche verantwortlich gemacht. Ich erachte dies für falsch. Die Gründe für die Krise sind älter. Persönlich habe ich die Hoffnung, dass sich die Menschen, nachdem seit 300 Jahren versucht wird, das Glück ohne Gott zu finden, zu Christus bekehren werden, da sie realisieren, dass die Verheissungen der Moderne auf vielen Lügen basierten.