Ökumenische Taufvesper im Hildesheimer Dom 2014. (Bild: Werner Kaiser, CC BY 3.0 via Wikimedia Commons)

Kommentar

Echte Öku­mene

Kürz­lich durfte ich an der Amts­ein­füh­rung eines von mir hoch­ge­schätz­ten refor­mier­ten Pfar­rers teil­neh­men, den ich auf­grund sei­ner tie­fen Bezie­hung zu Chris­tus und sei­ner Bereit­schaft, die Katho­li­sche Kir­che gegen ihre Angrei­fer zu ver­tei­di­gen – halb im Scherz, halb im Ernst – als einen der zehn katho­lischs­ten Men­schen bezeichne, die ich kenne.

Es ist eine unserer Aufgaben als Katholiken, darüber zu reflektieren, wie wir die Ökumene mit unseren reformierten Mitschwestern und Mitbrüdern leben wollen. Dabei dürfen wir keine Zerrbilder als Grundlage für unsere Wünsche und Ideen nehmen, sondern die realen Umstände, in welchen die katholische und die reformierte Kirche wirken.

Beide Landeskirchen verlieren seit Jahren massiv an Mitgliedern, wobei die Katholische Kirche lange davon profitierte, dass die Austritte durch katholische Migrantinnen und Migranten ausgeglichen wurden. Durch den Mitgliederschwund und die zunehmende Überalterung der praktizierenden Gläubigen werden ökumenische Anlässe nun immer mehr zur Alibiübung, die nur noch wenige Menschen anziehen und keine Strahlkraft besitzen. Es braucht daher einen Neuanfang in den interkonfessionellen Beziehungen. Dieser Neuanfang kann nur reüssieren, wenn kritisch hinterfragt wird, welche Fehlentwicklungen den Sinkflug des institutionalisierten Christentums in der Schweiz verursachten.

Leugnung der Ursachen
Die grösste Schwäche beider Schweizer Landeskirchen liegt in der Weigerung bzw. Unfähigkeit, die hausgemachten Probleme zu erkennen und diesen entgegenzusteuern. In der Katholischen Kirche ist man sich vor allem in der Deutschschweiz gewöhnt, Rom für den Niedergang verantwortlich zu machen. Tabuisiert wird, weshalb es der reformierten Kirche gleich ergeht wie der katholischen und weshalb auch die meisten ökumenischen Bemühungen keine Früchte zeitigen. Die reformierte Kirche hingegen hat keinen Sündenbock im Ausland, dem man die Schuld in die Schuhe schieben könnte, trotzdem kümmert man sich wenig um den Fakt, dass der prozentuale Anteil der Reformierten an der Gesamtbevölkerung innerhalb von 50 Jahren von 50 % auf 20 % gesunken ist. Solange die Steuereinnahmen noch nicht auf ein existenzbedrohendes Minimum eingebrochen sind und immer noch die Möglichkeit besteht, durch Immobilienbewirtschaftung neue Geldquellen zu erschliessen, erkennen die katholischen und reformierten Verantwortlichen fatalerweise keinen Handlungsbedarf.

Der Fakt, dass die reformierte Kirche in den letzten Jahrzehnten noch mehr Mitglieder verlor als die katholische, entzieht allen Vorwürfen sogenannt progressiver Kreise, die lehramtliche Positionen des Vatikans für die hiesige pastorale Misere verantwortlich machen, den Boden. In der reformierten Kirche gibt es Pfarrerinnen, kein Zölibat und auch keine am Naturrecht orientierte Sexualmoral. Die Hoffnung, die Katholische Kirche löse ihre Probleme, indem sie die Weihevoraussetzungen und moralphilosophischen Positionen ändert, widerspricht daher jeglicher tatsächlichen Erfahrung.

Verlust der eigenen Identität
Es gibt sicherlich verschiedene Gründe, welche die Erosion in den beiden Landeskirchen begünstigt haben. Die Individualisierung und die damit zusammenhängende Abneigung, sich an Institutionen zu binden, wird oft von Soziologen ins Feld geführt. Persönlich habe ich angesichts der Tatsache, dass die Gesellschaft in wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fragen die Konformität zum obersten Gebot erklärt, eher Mühe mit diesen Erklärungsansätzen. Die gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Strukturen der Moderne basieren auf dem fortschreitenden Prinzip der Vermassung. Wer Bilder von Jugendlichen und Erwachsenen aus den 70er-Jahren, in denen noch fast 100 % der Schweizer Bevölkerung einer christlichen Konfession angehörten, mit denjenigen von heute vergleicht, wird schwerlich eine Individualisierung feststellen, sondern das pure Gegenteil. Vom Haarschnitt bis zu den Schuhen herrscht eine grosse Uniformität vor. Die Individualisierung als monokausale Erklärung für die Entchristlichung der Schweizer Gesellschaft zu bemühen, kann nicht überzeugen.
Wenn wir uns den hausgemachten Problemen zuwenden, scheint offenkundig, dass beide Landeskirchen mit der eigenen Identität hadern. Bei den Katholiken zeigt sich dies daran, dass die Sakramente ihre zentrale Bedeutung verlieren, allen voran die Feier der Eucharistie. Bei den Reformierten würde sich Zwingli im Grab umdrehen, sähe er, wie weit sich seine Nachfolger vom Prinzip sola scriptura und sola fide entfernt haben. In der reformierten Kirche tummeln sich vielerlei Auffassungen, die weit entfernt vom Wort Gottes und vom Glauben an Jesus Christus sind.
Bei ökumenischen Anlässen kommt diese Orientierungs- und Profillosigkeit besonders tragisch zum Vorschein. Anstatt das Verbindende beider Konfessionen zu betonen – den Glauben an das Evangelium, die Liebe zu Christus und die Hoffnung auf das ewige Leben – werden Veranstaltungen organisiert, die auch von zwei beliebigen säkularen Vereinen stammen könnten. Jeder metaphysische Bezug, der ein Bekenntnis zum christlichen Glauben erfordert, wird vermieden. Es wirkt meistens, als schäme man sich für Jesus Christus. Ist es daher verwunderlich, dass die beiden Landeskirchen ihren Versuch, eine eigene Kirche ohne Christus aufzubauen, mit dem Niedergang bezahlen und gerade die Ökumene, in der diese Relativierung und Verweltlichung ihren Höhepunkt erreichen, am meisten Schaden nimmt?

Ideen für eine Ökumene mit Zukunft
Ich glaube an die Ökumene, da ich – wie anfangs erwähnt – neben dem Gros an schlechten Erfahrungen auch sehr gute gemacht habe. Dort, wo wirklich gläubige Katholiken und gläubige Reformierte zusammenkommen, um gemeinsam Gott zu dienen, ist eine interkonfessionelle Gemeinschaft möglich, aus der beide Konfessionen gestärkt hervorgehen. Einige Ideen hierzu sollen skizziert werden.

Wichtig ist, den Fehler zu vermeiden, ökumenische Gottesdienste als Ersatz für die Heilige Messe anzubieten. Viele glaubenstreue Katholikinnen und Katholiken werden in einen unnötigen Gewissenskonflikt gebracht, wenn sie ihrer Sonntagspflicht nicht nachkommen können, da ein Gottesdienst mit den reformierten Geschwistern die Eucharistie verdrängt. Katholische Pfarreien scheuen sich oft davor, neben dem ökumenischen Gottesdienst noch eine Eucharistiefeier anzubieten, da sie dies als Konkurrenz missverstehen, die der Ökumene widersprechen würde. Genau das Gegenteil ist jedoch der Fall: Gerade der Verzicht auf die Heilige Messe löst dieses Konkurrenzdenken aus, da man die Ökumene als Bedrohung des spezifisch Katholischen interpretiert. Wenn beispielsweise um 10.30 Uhr ein ökumenischer Gottesdienst angesetzt ist, kann der Priester um 9 Uhr eine schlichte Messe feiern, in der bewusst nur eine kurze Homilie gehalten wird, was dadurch gerechtfertigt werden kann, dass die Bibelauslegung später im ökumenischen Gottesdienst erfolgt. Wenn der ökumenische Anlass in der katholischen Kirche erfolgt, lässt sich die Feier der Eucharistie integrieren bzw. die Ökumene in die Heilige Messe integrieren.
Dogmatiker mögen mir vorhalten, meine Ausführungen seien problematisch, aber als Gläubiger im Bistum Basel habe ich so viele lehramtswidrige Anlässe gesehen, dass ich mich gerne dieser Kritik stelle. Da die Hauptteile der Heiligen Messe aus einem Wortgottesdienstteil und der Eucharistie bestehen, sehe ich keinen Grund, weshalb ein reformierter Pfarrer bei einer Heiligen Messe mit reformierter Beteiligung nicht den Wortgottesdienstteil bestreiten und predigen kann. Eine fundierte Auslegung der Heiligen Schrift durch einen reformierten Pfarrer ist mir lieber als die Predigt eines Pastoralassistenten oder einer Pastoralassistentin, wie es in den deutschsprachigen Bistümern sehr häufig vorkommt. Beim Eucharistischen Teil wäre es dann wichtig, dass der reformierte Pfarrer sich sichtlich zurückhält, um den anwesenden katholischen und reformierten Gläubigen klarzumachen, dass theologische Unterschiede bestehen, die eine Abendmahlgemeinschaft verunmöglichen. Vor der Kommunionsausteilung sollte auch ausdrücklich darauf hingewiesen werden, welches die Voraussetzungen für den Empfang sind, wobei diese Worte nicht nur für die Reformierten gelten, sondern auch für die Katholiken. Der Empfang der Kommunion ist nicht ausschliesslich an die Frage gebunden, ob jemand auf dem Papier katholisch oder reformiert ist, sondern an seiner inneren Haltung und seinem Glauben. In der Praxis, da ein Priester unmöglich die Lebensumstände aller Anwesenden kennen kann, wird daher auch jeder Gläubige selbst immer wieder in seinem Gewissen überprüfen müssen, ob er zum Empfang der Kommunion berechtigt ist. Einzelne mir bekannte reformierte Pfarrer und Gläubige haben eine so grosse Hochachtung vor der Eucharistie und eine vorbildliche Bereitschaft, diese zu verteidigen, wie ich sie im Bistum Basel nicht ansatzweise von einem Kirchenrat oder einem Bistumsverantwortlichen erlebt habe. Wäre beispielsweise mein guter Freund, der oben genannte reformierte Pfarrer, Bischof oder Weihbischof im Bistum Basel, würde die priesterfeindliche und damit auch sakramentenfeindliche Politik in unserer Diözese schnell ein Ende nehmen. Diese Worte stellen keine Übertreibung dar, sondern meine persönliche Meinung: Unter einem glaubenstreuen Bischof reformierten Provenienz wäre das Bistum Basel viel katholischer als unter der jetzigen Führungsriege.

Wie oben erwähnt, ist mir bewusst, dass die Liturgie immer einen Zankapfel darstellt und es Katholiken wie Reformierte geben wird, die sich aus guten Gründen an gewissen Handlungen stören werden. Daher sollte man die ökumenischen Bemühungen nicht auf die sonntägliche Liturgie konzentrieren. Viel wegweisender wäre es, während der Woche gemeinsame Gebete durchzuführen. Neben den Gottesdiensten sollten Reformierte und Katholiken vor allem zusammenkommen, um sich in der Grundlage unseres Glaubens zu vertiefen bzw. diese neu kennenzulernen. Das Wissen rund um die Bibel ist sehr gering geworden. Worte voller Weisheit und mystischer Tiefe, die im Alten und Neuen Testament anzutreffen sind, werden nicht mehr gelesen. An der Einsetzungsfeier meines guten Freundes musste ich selbst wieder einmal die Erfahrung machen, wie erneuerungsbedürftig mein Bibelwissen ist. Ein Abschnitt aus der Apostelgeschichte wurde im Gottesdienst gelesen, den ich nicht kannte bzw. mir nicht mehr präsent war. Ein Neuanfang in der Ökumene muss meines Erachtens durch die Neuentdeckung der Heiligen Schrift entzündet werden. Dass die Bibel heute von beiden Konfessionen so stiefmütterlich behandelt wird, liegt natürlich in der Tatsache, dass in ihr für unsere heutige Welt sehr unbequeme Botschaften enthalten sind. Weder die christliche Sexualmoral noch die christliche Sozialethik sind Ideen alter weisser Männer, die sich an der Macht halten wollen, sondern abgeleitet vom Wort Gottes. Wer die Bibel genau liest, wird realisieren, dass ihr Inhalt eine unglaubliche revolutionäre Kraft besitzt, ohne dass sie eine gegen das Naturrecht gerichtete Sexualität und Genderideologie propagiert, sondern die Gleichheit unterschiedlicher Menschen dadurch erreichen will, dass jeder seinem Nächsten in Liebe diene. Christen, welche die Heilige Schrift ignorieren, besitzen kein Fundament.

Persönlich durfte ich zehn Jahre in einer ökumenischen Gruppe, die von einem katholischen Priester geleitet wurde, das Alte Testament in der Originalsprache lesen, nachdem wir uns zuerst mit der Hebräischen Sprache auseinandergesetzt hatten. Mit der Bildung solcher Gruppen könnten bildungsnahe Menschen angesprochen werden, die heute in den Pfarreien aufgrund der fortschreitenden Infantilisierung der Predigten, der Katechese und sonstigen Glaubensvermittlung fehlen. Dies wäre dann ein richtig verstandenes Kulturchristentum, das über ein vertieftes Sprach- und Kulturverständnis den Zugang zu den Glaubensinhalten öffnet.

Auch wenn die Diakonie hier nicht speziell erwähnt wird, so sollte klar sein, dass die tätige Nächstenliebe weder konfessionelle noch sonstige Grenzen kennen darf. Da die personellen Ressourcen bei der katholischen und reformierten Kirche immer dünner werden, ist es wichtig, dass sich die Christen unabhängig von den Pfarreien bzw. Kirchgemeinden organisieren, um Notleidenden zu helfen. Beide Landeskirchen haben in der Diakonie in den letzten Jahren mehr auf Schein als auf Sein gesetzt und bürokratische Institutionen aufgebaut und immer weiter aufgebläht, die jedoch weder effizient noch effektiv sind. Spontanes Handeln aus einer christlichen Nächstenliebe heraus ist viel zielführender als eine seelen- und herzlose Institutionalisierung, die vor allem gut bezahlte Arbeitsplätze für Mitarbeitende mit einer ausgeprägten Pfründenmentalität schafft.

Den eigenen Glauben reflektieren
Ein letzter Punkt, der diese Betrachtung über die Zukunft der Ökumene abschliessen soll, ist die Wichtigkeit des gegenseitigen Austausches und des Sprechens über den Glauben. In früheren Zeiten wurde eine gegenseitige Abschottung betrieben, da man Angst hatte, dass die Ökumene das spezifisch Katholische und Reformierte verwässert. Tatsächlich besteht aber heute die Gefahr, dass dem Frieden zuliebe Positionen relativiert werden. Die Alternative wäre jedoch eine Art Sektierertum, das in einer säkularen Gesellschaft keine Leuchtkraft besitzt, sondern zu einer geschlossenen Gemeinschaft führt. Das Gespräch mit anderen Konfessionen öffnet die grosse Chance, den eigenen Glauben zu reflektieren und schlussendlich zu stärken. Wir alle sind auf der Suche nach einem authentischen Christentum und wir alle wissen, dass nicht alles, was in den letzten 2000 Jahren im Namen Jesu getan wurde, seinem Willen entsprach. Das Ziel dieser Reflexion ist nicht, das katholische Glaubensleben dem protestantischen anzugleichen, sondern bei allen Handlungen das Ziel vor Augen zu haben, Jesus nachfolgen zu wollen. Papst Benedikt XVI. hat es auf den Punkt gebracht, als er noch als Kardinal sagte, das Christentum sei nicht in erster Linie ein intellektuelles System, ein Bündel von Dogmen oder ein Moralismus, sondern eine Begegnung, eine Liebesgeschichte, ein Ereignis. Wir lieben und folgen Jesus. Bei einem wahren Neuanfang in der Ökumene werden wir unseren Glauben nicht verwässern, sondern diesen stärken, da sich die Christen untereinander auf diesem Weg der Nachfolge in Liebe stärken.

Gastkommentare spiegeln die Auffassungen ihrer Autorinnen und Autoren wider.


Daniel Ric


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Bemerkungen :

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    A.Eilinger 17.11.2023 um 11:37
    Ich sage dazu nur AMEN und DANKE. ( leider kann ich den Namen des Autors nirgends sehen)
  • user
    Claudio Tessari 16.11.2023 um 11:42
    Ich denke das Hauptproblem der Ökumene ist das man nicht ehrlich ist. Wahre Ökumene heisst, die getrennten Brüder zurück zur Mutter Kirche zu den Heilsquellen führen. Wenn dieser Wahrheitsanspruch ausgeblendet wird, (leider praktisch immer) wird Ökumene nie gelingen. Es nützt nichts wenn man immer von dem spricht, was uns eint, aber das was uns trennt (und das sind praktisch alle Sakramente) ausser dem Blickwinkel führt. Im KKK 1766 heisst es, Lieben heißt jemandem Gutes wollen“ (Thomas v. A., s. th. 1–2, 26,4). Und damit ist vor allem das Seelenheil gedacht, oder anders ausgedrückt: die grösste Tat der Nächstenliebe ist es: EINEN IRRENDEN ZUR WAHRHEIT ZU FÜHREN. Beten wir zur Muttergottes, dass sie ihre getrennten Kinder zurückführen mag.
  • user
    Stefan Fleischer 13.11.2023 um 17:10
    Was unsere Kirche heute braucht, ist ein neuer Aufbruch, einen neuen Aufbruch zu Gott, zu einer neuen, tiefen Gottesbeziehung, zu einer Rückbesinnung auf das erste und wichtigste Gebot: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft."
    Solange Gott als Gott immer weniger ernst genommen wird, wird die Ökumene immer mehr zu einem leicht durchschaubaren "Tun als ob", das uns nicht weiter bringt. "Kehrt um zu ihm, Israels Söhne, / zu ihm, von dem ihr euch so weit entfernt habt." (Jes 31,6)