In Ihrem neuesten Buch beschreiben Sie einen «afrikanische Ansatz» zum Verständnis der Gnade. Wodurch zeichnet sich dieser afrikanische Ansatz aus?
Eigentlich geht es mir in meinem neuen Buch um das Gnadenverständnis für Menschen in Afrika nach ihrem Menschenbild und ihrer Religion. So wie die Gnadenlehre in der westlich-klassischen Theologie heute noch vertreten wird, ist uns Afrikanerinnen und Afrikanern eine reine Spekulation, die uns nicht wirklich zutiefst berührt. Es handelt sich um westliche philosophische Konzepte, die sich meistens mit einem spekulativen Diskurs begnügen und nicht selten den Eindruck erwecken, es handle sich um eine Kasuistik. Ein afrikanisch zentrierter Ansatz hingegen geht davon aus, dass die ganze Existenz des Menschen eine Gabe, also eine Gnade des Schöpfers ist und dass es keine Dichotomie [Zweiteilung] zwischen profan und sakral bzw. natürlich und übernatürlich (supranatural) gibt.
Im afrikanischen Verständnis des Menschen gibt es drei Dimensionen: die Lebenden, die Toten und die «Noch-nicht-Geborenen». Der Gedanke einer Präexistenz des Menschen ist für westliche Ohren befremdlich …
Die Präexistenz heisst für Afrikanerinnen und Afrikaner, dass der Mensch seit aller Ewigkeit im kreativen Gedanken Gottes ist. In der Tat: Wenn Gott selbst ewig ist, hat er immer schon jeden Menschen in seinem Gedanken getragen. Daher wird von den «Noch-nicht-Geborenen» gesprochen. Für Kennerinnen und Kenner der mittelalterlichen Diskussion ist dieser Gedanken nicht so befremdlich. Ein Thomas von Aquin etwa hat seinerzeit eine Schrift verfasst mit dem Titel «De aeternitate mundi (contra murmurantes)», also die «Ewigkeit der Welt (wider die ‹Murrenden›)». Er vertrat die Meinung, dass es philosophisch nicht unakzeptabel sei, Gott, der ewig ist, habe von aller Ewigkeit her die Welt konzipiert. Dass diese Welt nun in der Zeit erschaffen wurde, weiss der an Gott glaubende Mensch nur von der Heiligen Schrift. Für Afrikanerinnen und Afrikaner, selbst wenn sie dies nicht explizit reflektieren, ist diese Feststellung selbstverständlich, beispielsweise in Anlehnung an Jer 1,5 (vgl. Eph 1,4). Gott kannte Jeremia schon bevor er im Mutterschoss war, und hat ihn zum Propheten für die Völker bestimmt. Im Zusammenhang mit den «Noch-nicht-Geborenen» muss hinzugefügt werden, dass die eine Gemeinschaft aus drei Dimensionen besteht: nämlich aus den Lebenden, den Toten und den «Noch-nicht-Geborenen», wobei Letztere nicht mit Ungeborenen gleich zu setzen sind: Es handelt sich zunächst um jene Kinder, die im Gedanken Gottes sind, aber natürlich auch um Kinder, die noch im Mutterschoss verweilen, bevor sie das Licht der Welt erblicken. An dieser Stelle ist festzuhalten, dass nach dem afrikanischen Verständnis von der Präexistenz die Kinder, die noch im kreativen Gedanken Gottes leben, vollständige Personen sind, deren Würde voll respektiert werden muss. Dies gilt dann auch für Kinder, die noch im Mutterleib sind. Ihr Würde ist unantastbar und jeder tödliche Angriff bedeutet eine Verstümmelung der Ganzen dreidimensionalen Gemeinschaft.
Die Missionare, die nach Afrika kamen, brachten ihre (westliche) Theologie mit. Was hatte dies für Auswirkungen?
Die Theologie, die von Missionaren gebracht wurde, war nicht nur ihre Theologie, sondern jene von der katholischen oder protestantischen Kirche westlicher Prägung, eine Theologie, wie schon gesagt, die nach der westlichen Philosophie und Denkweise konzipiert war. Trotzdem haben die Missionare viel Gutes geleistet. Leider haben sie in vielem die afrikanische Tradition nicht immer richtig verstanden und sich nicht bemüht, sie gründlich zu studieren. Die Ahnenverehrung etwa wurde mit Götzendienst gleichgestellt und die afrikanische Religion als Animismus bezeichnet. Um den richtigen Glauben zu vermitteln, haben die Missionare mancherorts den afrikanischen Gottesnamen geändert und durch einen ihnen plausibler erscheinenden Namen ersetzt. In Ruanda und Burundi wurde der einheimische Gottesname Imana durch Mungu ersetzt. Mungu aber, ein Swahili Wort, bezeichnet für Menschen in Ruanda und Burundi einen Kornwurm. Solche und andere Missverständnisse afrikanischer Kultur und Tradition haben nicht dazu beigetragen, einen inkulturierten Glauben zu vermitteln. Das gilt auch für die Theologie, die sich kaum um afrikanische Denkweise gekümmert hat. Die Priesteramtskandidaten wurden nach dem westlichen Denkmodell gebildet. Als Priester haben sie ihre Pastoral dann ganz westlich konzipiert und redeten oft an den Menschen vorbei. Um gerecht gegenüber Missionaren zu sein, muss man allerdings sagen, dass es einige gegeben hat, die sich darum bemüht haben, das abendländische philosophisch-theologische Denken infrage zu stellen. Ein hervorragendes Beispiel ist der Franziskaner Placide Tempels mit seinem Epoche machenden Werk «La philosophie bantoue» (1945). Erwähnung verdienen auch u. a. Dominique Nothomb, Missionar in Ruanda, mit seinem Buch «Un humanisme africain» (31969) und John Baur, ein St. Galler Priester, der sehr lange in Ostafrika als Professor am Priesterseminar gewirkt hat. Sein monumentales Werk «2000 Years of Christianity in Africa» (1994) ist ein beredtes Zeugnis für sein Interesse an einem inkulturierten Christentum in Afrika.
Werden heute die positiven Ansätze der afrikanischen Religion anerkannt? Wenn nicht, was müsste sich ändern, damit dies möglich wird?
Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, vor allem mit dem Dekret «Ad gentes» und der Erklärung «Nostra aetate», wird die Traditionelle Afrikanische Religion (TAR) etwas stärker gewürdigt, obwohl man bei vielen – vor allem im Westen – eine gewisse Zurückhaltung beobachtet. So ist die Tendenz immer noch vorhanden, von «Animismus» in afrikanischer Religion zu sprechen. Im Grossen und Ganzen aber wird die Bemühung um eine genuin afrikanische Theologie begrüsst. Schon Papst Paul VI. hat unmittelbar nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1967) das Apostolische Schreiben «Africae terrarum» an den afrikanischen Kontinent gerichtet, in dem er die afrikanische Kirche dazu ermuntert, positive Werte in der Ahnentradition ernst zu nehmen und so das Christentum verständlicher für die Gläubigen zu machen. Zwei Jahre später in Kampala (Uganda) hat derselbe Papst in seiner Rede zu den Bischöfen Afrikanerinnen und Afrikaner dazu aufgerufen, sich um ein spezifisch afrikanisches Christentum zu bemühen. Sie sollen zudem ihre eigenen Missionare werden. Dieser Ansatz wurde von Johannes Paul II. weitergeführt, wenn er im Nachsynodalen Apostolischen Schreiben «Ecclesia in Africa» afrikanischen Theologinnen und Theologen empfiehlt, eine Ekklesiologie zu erarbeiten, die den ganzen Reichtum der afrikanischen Tradition integriert.Kurzum:Trotz mancher Skeptiker, die nicht an eine genuin afrikanische Theologie glauben, existiert diese Theologie schon, die sich nicht unbedingt nach dem westlich-klassischen Muster orientieren muss, um ihre Existenz zu beweisen.
Kommentare und Antworten
Bemerkungen :
Nach meinem laienhaften Verständnis ist die Realität der Erbschuld (wie auch des Turmbaus zu Babel) eine Glaubenswahrheit, welche uns den Schlüssel zum Zustand dieser Welt heute und in allen Zeiten der Weltgeschichte liefert. Wir wissen zwar naturwissenschaftlich nicht konkret, wie sich das alles abgespielt hat. Wir glauben aber, dass der Mensch von Gott dem allmächtigen und allwissenden Schöpfer und Herrn in einem Idealzustand geschaffen wurde. Er sollte aus freiem Willen seinem Herrn und Schöpfer anhangen im Vertrauen auf ihn, in der Liebe zu ihm leben. Der Mensch aber liess sich durch "die alte Schlange", den Lügner und Verwirrer von Anbeginn, dazu verführen, sein zu wollen wir Gott, selbst wissen, selbst entscheiden zu können, was gut und was böse ist. Damit handelte er sich jene Neigung zum Bösen ein, die sich an die Menschen aller Zeiten und Regionen et. weiter vererbte, und welche wir Erbschuld nennen. Um diese Schuld zu tilgen wurde Christus, Gottes Sohn, Mensch und starbt für uns am Kreuz. Durch seine Auferstehung erschloss er uns wieder das Paradies, zwar nicht mehr das irdische, aber das ewige, zu dem wir in Glaube, Hoffnung und Liebe unterwegs sind.
Eine eigene, europäische Theologie zu entwickeln müsste somit auch in unseren Breitengraden zugestanden werden.
Warum ist dieser Unterschied für so viele Leute nicht verstehbar?