Erwin Keller (Bild: zVg)

Interview

Erwin Kel­ler blickt zurück auf die gemein­same Zeit mit Joseph Ratzinger

Der St. Gal­ler Diö­ze­san­pries­ter Erwin Kel­ler hat von 1974 bis 1977 Theo­lo­gie in Regens­burg stu­diert. Dabei galt sein pri­mä­res Inter­esse den Vor­le­sun­gen des nach­ma­li­gen Paps­tes Bene­dikt, der zu jener Zeit in Regens­burg als Pro­fes­sor wirkte. Auch dar­über hin­aus stand Erwin Kel­ler in regel­mäs­si­gem Kon­takt mit Papst Bene­dikt. Im fol­gen­den Inter­view mit einem befreun­de­ten Pries­ter schil­dert er, was ihn am Leben und Werk die­ser aus­ser­ge­wöhn­li­chen Per­sön­lich­keit ganz beson­ders beeindruckte.

Wie kamen Sie als Schweizer nach Regensburg? Hatten Sie damals schon vor, Priester zu werden?
Ich hatte schon das Gymnasium am Kollegium St. Antonius in Appenzell bei den Kapuzinern besucht mit der Absicht, Priester zu werden. Nach der Matura begann ich das Theologiestudium in Chur. Da war es üblich, dass man nach dem zweiten Jahr zwei sogenannte «Freisemester» an einer anderen Hochschule/Uni absolvierte. Für diese Freisemester kam ich im Wintersemester 1974/75 nach Regensburg, weil ich Professor Ratzinger hören wollte, wobei ja auch etliche andere Fächer von guten Professoren doziert wurden. Ich hatte schon als Gymnasiast mit grösstem Interesse und Begeisterung Joseph Ratzingers «Einführung ins Christentum» gelesen. Die Begeisterung für Joseph Ratzinger und dieses Buch wurde noch zusätzlich dadurch gesteigert, dass ich zu dieser Zeit einen Deutschlehrer (Kapuziner) hatte, der auch total von Joseph Ratzinger und seinem Buch fasziniert war und wir miteinander darüber einen regen Austausch pflegten. Nach zwei Jahren an der sehr kleinen Theologischen Hochschule Chur, wo es sehr familiär zuging, fiel dann meine Wahl fürs Freisemester auf Regensburg, aber bereits mit dem Gedanken, dass ich den ganzen Rest des Theologiestudiums dort absolvieren möchte, sofern die zwei Jahre in Chur in Regensburg voll anerkannt würden. Schon in dieser Frage setzte sich Professor Ratzinger, der damals Dekan war, für mich ein. Und so blieb ich dann von 1974 bis 1977 in Regensburg. Ich wohnte im Priesterseminar und war dort gut integriert.

Welche Lehrveranstaltungen (Vorlesungen, Seminare) haben Sie damals bei Joseph Ratzinger belegt? Ist Ihnen daraus noch ein wichtiger Gedanke in Erinnerung? Was war das Besondere an seinen Vorlesungen im Vergleich zu seinen Kollegen?
Leider hatte Professor Ratzinger in dieser Zeit einmal ein Sabbatsemester, weswegen er für ein Semester ausfiel, und im Sommersemester 1977 erfolgte seine Ernennung und Weihe zum Erzbischof von München. Deshalb waren in diesem Semester nur noch ganz wenige Vorlesungen. Aber er hat noch die Diplom-Prüfungen durchgeführt. In meiner Regensburger Zeit habe ich alles belegt, was Joseph Ratzinger angeboten hat. Das waren die Vorlesungen zu Ekklesiologie, Eschatologie, Allgemeine Sakramentenlehre, Christologie, Schöpfungslehre; ferner die Hauptseminare zu Lumen Gentium, Sterben und Tod, Das sakramentale Amt. Was mir von seinen Vorlesungen besonders in Erinnerung geblieben ist (im Unterschied zu anderen Vorlesungen), ist sicher die «meditative Atmosphäre». Sie waren immer höchst wissenschaftlich und zugleich voll tiefer Spiritualität. Geblieben sind mir auch seine steten Bezüge zu Bibel und Liturgie, zur Ostkirche und zur Ikonographie. 22 Jahre lang leitete ich die Schweizerische Sakristanenschule. Wenn ich da viel über Liturgie und Kirche zu unterrichten habe, dient mir nach wie vor als wichtigste Quelle, was ich damals von Professor Ratzinger mitbekommen habe. Das gilt auch für meine übrige priesterliche Tätigkeit. Und dafür bin ihm heute noch sehr dankbar.

Wie kam es dazu, dass Sie im Sommersemester 1976 das Vorlesungsskript für die «Allgemeine Schöpfungslehre» verfasst haben?
Es gab eine Gruppe von Studenten, die die Vorlesungen verschiedener Professoren mitgeschrieben (Stenografie und/oder Tonbandaufnahmen) und dann mit der Schreibmaschine auf Wachsmatrizen gebracht haben. Dazu gab es im Priesterseminar so eine Art kleine «Druckerei», in welcher diese Skripten dann für alle interessierten Studenten vervielfältigt wurden. Diese Druckerei habe ich zusammen mit einem Kollegen eine Zeit lang «geführt», da ich eine ähnliche Aufgabe schon in Chur wahrgenommen hatte. Neben dieser Aufgabe des Vervielfältigens habe ich in allen Semestern auch ein Skriptum geschrieben, etwa dreimal sicher die Vorlesungen von Professor Mussner und dann eben im Sommersemester 1976 die Vorlesung von Professor Ratzinger über die Schöpfungslehre.

Ist es richtig, dass Sie Ihre Diplomarbeit bei Professor Ratzinger über Hans Urs von Balthasar geschrieben haben? Wie kamen Sie zu dem Thema? Haben Sie Balthasar auch persönlich erlebt?
Ich hatte gleich zu Beginn meiner Regensburger-Zeit mit Professor Ratzinger persönlichen Kontakt im Zusammenhang mit der oben genannten Klärung meines Studiengangs (Chur – Regensburg). Seither hatte ich immer wieder persönliche Kontakte mit ihm. Da ich mich sowieso für Dogmatik besonders interessierte, war für mich klar, dass ich die Diplomarbeit in dieser Disziplin und bei Professor Ratzinger schreiben möchte. Mit der Wahl des Themas war es so: Da Professor Ratzinger rege Beziehungen hatte zum grossen Schweizer Theologen Hans Urs von Balthasar und ich eben auch Schweizer bin, hat er mir geraten, etwas zu Hans Urs von Balthasar zu schreiben. Das Thema lautete dann: «Amt und Geist in der Ekklesiologie Hans Urs von Balthasars. Der existentielle Anspruch des Amtes an den Amtsträger.» Hans Urs von Balthasar kannte ich bereits in dem Sinn, dass ich während des Studiums schon verschiedene Bücher und Artikel von ihm gelesen hatte. Während der Arbeit an der Diplomarbeit konnte ich ihn zweimal in Basel besuchen und habe ihn so auch persönlich kennengelernt.

Sind Sie Joseph Ratzinger in Regensburg auch ausserhalb der Universität begegnet z. B. bei Gottesdiensten, Vorträgen, in der Stadt?
Ja, Professor Ratzinger war fast jeden Sonntag mit seiner Schwester beim Hochamt im Dom (Regensburger Domspatzen). Auch ich habe am Sonntag den Gottesdienst immer im Dom mitgefeiert und habe häufig als Seminarist Ministrantendienst geleistet. So haben sich öfters nach dem Gottesdienst kurze Kontakte ergeben. Wenn Joseph Ratzinger in der Stadt oder in der näheren Umgebung einen Vortrag hielt, war es für uns «Joseph Ratzinger-Fans» klar, dass wir zu diesen Vorträgen gingen. In schöner Erinnerung sind auch die Schluss-Sitzungen der Hauptseminare in einem Regensburger Restaurant geblieben.

Hatten Sie nach 1977 noch einmal zu Joseph Ratzinger Kontakt gehabt, z. B. ihm Ihre Dissertation über «Eucharistie und Parusie» zugeschickt und hat er darauf (brieflich) reagiert?
Ja, öfters. Professor Ratzinger hat mir schon während des ordentlichen Studiums empfohlen zu doktorieren. Ich wollte aber zuerst das Pastoraljahr in der Diözese St. Gallen absolvieren. 1978 wurde ich zum Priester geweiht und war dann vier Jahre tätig als Vikar in der Dompfarrei St. Gallen. Während dieser Zeit war ich zweimal in München bzw. Freising an Priesterweihen von einstigen Kollegen in Regensburg und habe so auch Joseph Ratzinger wieder getroffen. Als dann 1982 mein Weiterstudium anstand, durfte ich Kardinal Ratzinger in München besuchen und er hat mich gut beraten und mir Professor Christoph Schönborn, der damals in Fribourg dozierte und heute Erzbischof von Wien ist, als «Doktorvater» empfohlen. Selbstverständlich habe ich ihm dann auch die Dissertation geschickt, ebenso mein späteres Buch «Vom grossen Geheimnis der Kirche. Betrachtungen zu Lumen Gentium» und öfters auch den «Katholischen Bibelkalender», der seit 1990 von mir redigiert wird. Ich habe auch jedes Mal eine briefliche Antwort bekommen. Seit über 30 Jahren organisiere und leite ich immer wieder Kultur- und Pilgerreisen nach Rom. Und so bin ich fast jedes Jahr nach Rom gekommen, mit Gruppen oder auch privat. In diesem Zusammenhang habe ich meistens auch Kardinal Ratzinger wieder getroffen, nach der heiligen Messe am Donnerstagmorgen im Campo Santo oder in der Glaubenskongregation oder dann, wenn er auf dem Weg war über den Petersplatz. Immer nahm er sich Zeit für ein kleines Gespräch. Selbstverständlich habe ich auch alle Bücher und Artikel gelesen, die von ihm geschrieben wurden.  

Was ist Ihnen sonst noch besonders in Erinnerung geblieben? Was hat Sie besonders beeindruckt?

  • Seine fundierte und umfassende Kenntnis und Gesamtschau der Bibel, der Kirchenväter und der ganzen Theologiegeschichte
  • Sein Interesse und seine Anteilnahme am Leben (an den Sorgen und Nöten) jedes einzelnen Studenten
  • Wie schnell und bleibend er alle mit Namen kannte
  • Seine Einfachheit
  • Seine Freundlichkeit und Güte (das pure Gegenteil eines «Panzerkardinals»)
  • Was ich von ihm für meinen Glauben und für mein Wirken theologisch und spirituell empfangen und ihm zu verdanken habe!

Redaktion


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