Keine Nachsicht darf die «Alte Dame» für ihre Unterstellung erwarten, Erzbischof Haas hätte «mit dem Rücken zur Gemeinde» gepredigt. Das ist natürlich blanker Unsinn. In der Katholischen Kirche wurde und wird seit jeher mit dem Gesicht zum Kirchenvolk gepredigt, sei es auf der Kanzel im klassischen Ritus oder am Ambo im nachkonziliaren Ritus. Der protestantische Pfarrerssohn Simon Hehli ging offensichtlich von der irrigen Annahme aus, die Hinwendung des Priesters zum Tabernakel während der Messfeier im klassischen Ritus müsse auch für die Predigt gelten ...
Doch damit nicht genug. 7000 Katholikinnen und Katholiken sollen nach Chur gereist sein, um gegen die Ernennung von Wolfgang Haas zum Bischof der Diözese Chur zu protestieren. Doch woher hat Simon Hehli diese Phantomzahl? Er hat sie seinem Redaktionskollegen, dem NZZ-Chefhistoriker Marc Tribelhorn in dessen Artikel «Hirt ohne Herde – wie die Berufung eines Bischofs die Schweizer Katholiken erzürnte» vom 15. Juni 2020 abgekupfert. Eine trübe Informationsquelle! Und nicht nur in dieser Hinsicht: Tribelhorn erwähnt darin zwar, dass Rechtsgutachten zum Schluss gekommen seien, die Einsetzung von Haas sei «in Verletzung völkerrechtlicher und innerkirchlicher Bestimmungen erfolgt». Er unterschlägt dabei, dass ein Gutachten des renommierten (Staats-)Kirchenrechtlers Franz-Xaver von Weber die Rechtmässigkeit der Ernennung von Wolfgang Haas zum Weihbischof mit Nachfolgerecht bestätigte. Befremdend ist auch der deplatzierte, alles andere als NZZ-konforme Jargon von Tribelhorn: «In einer öffentlichen Stellungnahme flötete (sic) der Vatikan ...»
Vorbei sind die Zeiten eines Christoph Wehrli, eines Zwinglianers der alten Schule, der mit wohltuender Sachlichkeit und hoher Kompetenz kirchliche Ereignisse, auch solche innerhalb der Katholischen Kirche, kommentierte. Paradebeispiel ist just sein NZZ-Beitrag vom 24. Mai 1988 zur Weihe von Koadjutor Wolfgang Haas mit dem Titel «Bekenntnis zu Standfestigkeit und ‹Kultur der Liebe›».
Ja, ja, Gott sei's geklagt: Wie bereits im Beitrag vom 15. Juli 2023 an dieser Stelle vermerkt werden musste: Die NZZ ist auch nicht mehr, was sie einmal war.
Kommentare und Antworten
Bemerkungen :
Vor Christoph Wehrli, meinem ehemaligen Studienkollegen, Sohn des grossen Germanisten Max Wehrli, gebührte der Respekt, der einem um Sachlichkeit bemühten Reformierten angemessen war. "Mit dem Rücken zum Volk" war natürlich metaphorisch gemeint, wobei aber immerhin bei meinen Besuchen christkatholischer Gottesdienste noch vor 20 Jahren dies im Fricktal immer noch Brauch war. Bei volkskundlichen Studien in jener Region ist mir aufgefallen, wie ungeschickt die früher Altkatholiken Genannten mit dem christlichen Brauchtum (mit Ausnahme des Pestsingens in Rheinfelden) umgegangen sind, etwa der Abschaffung der höchst eindrücklichen Muttergottesprozession zur Gesegneten Eiche bei Magden. Auf dem Gebiet der Volksfrömmigkeit hat sich übrigens weit stärker als Bischof Haas noch am Ende der vorkonziliaren Epoche der Bündner Bischof Christian Caminada hervorgetan, auch als hervorragender historisch-kritischer Kenner. Auf diesem Gebiet gibt es freilich bei neueren traditionalistischen Bischöfen kaum einen weiterführenden Leistungsausweis. Ist mir übrigens auch bei einem volkskundlich orientierten Besuch vorigen Sommer in Econe aufgefallen, wo es aber nach wie vor eine beeindruckende Zahl von Weihekandidaten gibt. Ich sah diese an einem Sonntagnachmittag miteinander fröhlich und eindrücklich musizieren. Bischof Lefevbre, dort begraben, von mir vor bald 50 Jahren mal befragt, blieb mir indes fremd, zumal wegen seiner französisch-nationalistischen Ideologie als noch stark kolonial orientierter Missionsbischof. Er hatte aber klar mehr Charisma als der abtretende Erzbischof von Liechtenstein.
Neben dem spürbaren Deutschland- und Linksruck hauptsächlich wegen den unsäglichen Darstellungen in Sachen Katholische Kirche (Ausnahme: die seltenen Beiträge von Martin Grichting!).