Malawi: Eine freiwillige Mitarbeiterin kocht Porridge. (Bild: «Mary’s Meals»)

Interview

«Es geht immer um das nächste Kind»

«Mary’s Meals» fei­erte die­ses Jahr sein zwan­zig­jäh­ri­ges Beste­hen. 2002 begann Magnus MacFarlane-​Barrow, an einer Schule mit 200 Kin­dern in Malawi täg­li­che Mahl­zei­ten zu ser­vie­ren. Die­ses Kon­zept hat sich so bewährt, dass heute über 2 Mil­lio­nen Kin­der in 20 Län­dern der Welt in die­ser Form täg­lich ernährt wer­den. Im Gespräch mit swiss​-cath​.ch erzählt der Geschäfts­füh­rer Johan­nes Tschudi von die­ser Arbeit.

Könnten Sie für unsere Leserinnen und Leser kurz die Entstehung von «Mary’s Meals» erzählen?
Johannes Tschudi: Die persönliche Geschichte von Magnus und sein Weg, der ihn im Jahre 2002 nach Malawi geführt hat, geht weiter zurück. Während des schrecklichen Krieges im damaligen Jugoslawien begann Magnus mit seinem Bruder Fergus mit ganz unkonventionellen Hilfslieferungen. Die beiden Brüder aus Schottland nahmen sich eine Woche Ferien, mieteten einen grossen LKW und fragten bei ihren Nachbarn und Freunden nach Sachspenden. Sobald sie genügend Decken, Kleider und Nahrungsmittel gesammelt hatten, fuhren sie quer durch Europa in das Kriegsgebiet, um die Hilfsgüter zu verteilen. Ihr Ziel: Der Wallfahrtsort Medjugorje, an dem sie als Teenager eine tiefe Glaubenserfahrung gemacht hatten. Bei der Rückkehr von ihrer ersten Fahrt fanden sie die Garage ihrer Eltern überfüllt mit neuen Spenden vor. Magnus beschloss an diesem Tag, dass er so lange Menschen in Not helfen würde, wie andere Menschen bereit wären, von ihrem Überfluss zu geben. Bis heute ist dieser Strom nicht abgebrochen und Magnus kam auf wundersam gefügten Wegen im Jahre 2002 nach Malawi.

Wie sieht die Arbeit von «Mary’s Meals» konkret aus?
Wir haben uns ganz auf das Konzept der Schulspeisung fokussiert. Das heisst, dass wir Mahlzeiten an Bildungseinrichtungen in den ärmsten Ländern der Welt möglich machen. «Mary’s Meals» baut nicht selbst Schulen, sondern arbeitet mit lokalen Organisationen oder anderen Hilfswerken zusammen. Grundlage dafür ist immer die Bereitschaft der lokalen Bevölkerung, die Schulküche zu betreiben. Wir finanzieren den Aufbau der Küche sowie die Versorgung mit den nötigen Lebensmitteln. Die tägliche Arbeit wird von Freiwilligen vor Ort geleistet. Sehr oft sind es die Mütter der Kinder, die selbst nicht in der Lage sind, ihre Familien zu ernähren. Auf diese Weise erhalten sie ein Stück ihrer Würde zurück, ihren Kindern etwas zu Essen geben zu können. Für die meisten Kinder in unseren Projektländern ist die Mahlzeit an der Schule ihre einzige richtige Mahlzeit am Tag. Durch die Kombination mit der Bildung bekämpfen wir aber nicht nur das akute Hungerproblem, sondern investieren auch langfristig in eine Generation, die ihr Schicksal eines Tages selbst in die Hand nehmen kann. Oder wie es unsere knappe Zauberformel sagt: Nahrung + Bildung = Hoffnung.

Während der Coronapandemie war in vielen Ländern ein Schulbesuch nicht möglich. Konnten hier Lösungen gefunden werden?
Wie schon gesagt, ist für viele Kinder, auch ausserhalb von «Mary’s Meals», die Schule jener Ort, an dem sie etwas Richtiges zu Essen erhalten. Die rigiden Massnahmen nach dem Vorbild der westlichen Staaten haben darum gerade in afrikanischen Ländern oder in Indien zu ernsthaften Problemen geführt. Wir konnten glücklicherweise dank unserer unzähligen Freiwilligen vor Ort in vielen Ländern ein dichtes Netzwerk aufbauen, das sogenannte «Take-home-Rationen» verteilte. So konnten die Kinder Nahrungsmittelpakete für jeweils eine Woche erhalten, die für viele Familien eine essenzielle Stütze boten, um über diese schwierige Zeit hinweg zu kommen.

Durch den Krieg in der Ukraine sind Getreideexporte z. B. nach Afrika nur eingeschränkt möglich. «Mary’s Meals» kauft das Getreide vor Ort ein. Spüren Sie trotzdem die Folgen des Krieges?
Wir spüren die Auswirkungen der Ukrainekrise extrem. Einerseits hat der mangelnde Export aus der Ukraine weltweit zu massiven Preiserhöhungen der Nahrungsmittel geführt. Andererseits wurden auch alle Transporte (auch die inländischen) durch die hohen Ölpreise stark verteuert. Und während auf der einen Seite die Ausgaben höher werden, sinken in unseren Unterstützungsländern die finanziellen Möglichkeiten unserer Spenderinnen und Spender. Die Schweiz ist davon glücklicherweise noch fast am wenigsten betroffen. Aber gerade in England, wo «Mary’s Meals» weltweit am meisten Spenden sammelt, müssen sich heute viele Menschen zwischen Heizen und täglichem Essen entscheiden. Da wird einem neu bewusst, dass die Möglichkeit, durch Spenden helfen zu können, eigentlich ein Luxus ist.

Sind in den Orten, an denen «Mary’s Meals» aktiv ist, Veränderungen sichtbar?
Die Veränderungen sind massiv. In Schulen, in denen wir mit täglichen Mahlzeiten starten, explodieren auf der einen Seite die Einschreibequoten und auf der anderen Seite sinken die Abbrecherquoten fast auf null. Die meisten Eltern, die selbst keine Bildung geniessen durften, können den Nutzen der Schule oft nicht nachvollziehen und behalten ihre Kinder darum lieber zu Hause als Arbeitskraft. Das Angebot einer vollwertigen Mahlzeit an der Schule ist aber in vielen Fällen gerade der entscheidende Faktor, der den Schulbesuch attraktiv macht. Im Gespräch mit einem unserer Partner in Madagaskar wurde mir kürzlich noch ein weiterer Aspekt bewusst. Das Vertrauen der ärmeren Bevölkerung in Entwicklungsprojekte jeglicher Art ist extrem instabil. Es ist darum auch kaum möglich, langfristige Projekte in Landwirtschaft oder Medizin durchzuführen, dessen Auswirkungen nicht sofort sichtbar sind. Mit der täglichen Mahlzeit von «Mary’s Meals» hingegen ist von Tag eins an die Schule ein anderer Ort. Anstelle von halb leeren Klassenzimmern und müden, hungrigen Kindern ist der Schulhof plötzlich mit Lachen, Singen und Spielen erfüllt. Die eine Mahlzeit verändert das Leben der Kinder um 100 Prozent. Und diese Massnahme, die so einfach ist und so starke Wirkung zeigt, legt gerade in Madagaskar den Boden für weitere langfristigere und vielleicht auch komplexere Projekte.
 

Leider ist Hunger in vielen Teilen der Welt noch immer harte Realität. Ebenso ist vielen Kindern kein Schulbesuch möglich. Frustriert Sie das nicht manchmal?
Tatsächlich könnte man resignieren. Im letzten Jahr sind weltweit fast 200 Millionen neue Menschen dazugekommen, die unter täglichem Hunger leiden müssen. Das «Zero-Hunger-Ziel» der UNO für 2030 wirkt daneben wie ein sehr geschmackloser Witz. Unser Gründer Magnus MacFarlane-Barrow, den ich persönlich kennen darf, ist mir in dieser Hinsicht ein grosses Vorbild. Er betont immer, dass es nicht in erster Linie um grosse Zahlen gehe, sondern um das nächste Kind. Darum publizieren wir auch immer eine ganz exakte Zahl der Kinder, die wir täglich ernähren, basierend auf der Statistik all unserer erreichten Schulen. Derzeit sind dies 2'279'941 Kinder, die wir täglich ernähren. Laut Magnus ist die letzte Ziffer die wichtigste. Für dieses eine Kind ist unsere Arbeit womöglich lebensrettend und langfristig bestimmt lebensverändernd. Angesichts der weltweiten Zahlen könnte man resignieren. Darum geht es uns immer um das nächste Kind, welches genauso ein Anrecht auf Nahrung und Bildung hat wie die 2'279'941 Kinder, die wir bereits erreichen.

Was motiviert Sie persönlich, für «Mary’s Meals» zu arbeiten?
Ich habe von «Mary’s Meals» zum ersten Mal in einem Post auf Facebook vor rund acht Jahren gelesen. Die Einfachheit des Ansatzes und die grosse Effizienz haben mich von Beginn an begeistert. Auch die Tatsache, dass wir uns verpflichten, maximal 7 Prozent der Spenden für Verwaltung und Fundraising auszugeben, macht für mich diese Organisation einzigartig. Damals gab es «Mary’s Meals» in der Schweiz noch nicht. Mit einer kleinen Gruppe, die sich aus dem Weltjugendtag Schwyz 2015 gebildet hatte, gründeten wir einen Verein und begannen einfach mal mit Werbung für diese gute Arbeit. Die Resonanz und der Erfolg waren unerwartet hoch. So hoch, dass ich heute zu 40 Prozent für «Mary’s Meals» arbeiten darf. Mich selbst beeindruckt vor allem die unermüdliche Arbeit unserer Leute und Partner in den Projektländern. Gerade in Ländern wie Myanmar, Äthiopien oder Haiti machen Unruhen, Krieg und Korruption ihre Anstrengungen scheinbar nutzlos. Trotzdem geben sie nicht auf und setzen sich unermüdlich für die Kleinsten der Gesellschaft ein, denen es unmöglich ist, ihr eigenes Recht durchzusetzen. Auch wenn ich mit meinem Beitrag nicht die Welt verändern kann: Für den fünfzehnjährigen Ulemu aus Malawi, der einmal Arzt werden möchte, hat sich mein Einsatz schon gelohnt.

Wie sieht die Arbeit von «Mary’s Meals» hier in der Schweiz aus?
Wir sind als Verein organisiert und mehrheitlich ehrenamtlich tätig. Für den administrativen Aufwand sowie die Koordination von Anlässen und Kampagnen haben wir zwei Teilzeitstellen von 40 und 20 Prozent geschaffen. Unser Kernanlass in der Schweiz ist das «Risky Dinner». Dabei laden wir zu einem Abendessen ein, für das jeder Teilnehmende einen fixen Eintritt von CHF 20.– bezahlt. Danach werden die Gäste aber per Los in Wohlstandsschichten eingeteilt, die der weltweiten Vermögensverteilung entsprechen. So erhalten einige wenige Auserwählte ein reichhaltiges 5-Gang-Menü, während um sie herum die meisten eine Schale Reis vor sich haben. Im Rahmen des Events informieren wir über unsere Arbeit und die weltweite Hungersituation. Jedes «Risky Dinner» war bislang ein voller Erfolg und die Gäste gehen immer tief beeindruckt und gleichzeitig erfüllt (wenn auch nicht unbedingt in der Magengegend) nach Hause.

Wie können Pfarreien, aber auch Einzelpersonen die Arbeit von «Mary’s Meals» unterstützen?
Natürlich in erster Linie durch Spenden. Es kostet im Schnitt CHF 20.40, um ein Kind in Malawi ein Schuljahr lang mit einer täglichen Mahlzeit zu versorgen. Ein Betrag, den wir in der Schweiz für einen einzelnen Kinobesuch (ohne Popcorn) ausgeben. Am hilfreichsten sind für uns (auch kleine) Daueraufträge, auf deren Basis es uns möglich ist, Expansionen zu planen, weil wir auf ein «gesichertes Einkommen» zählen können. Auch wenn es stets darum geht, das nächste Kind zu erreichen, betonen wir immer, dass wir in erster Linie unser Versprechen an die 2,2 Millionen Kinder halten wollen, die wir bereits ernähren. Weiter freuen wir uns natürlich über ehrenamtliches Engagement jeglicher Art. Angefangen von einfachen Werbeaktionen für «Mary’s Meals», einem Stand an einem Wochenmarkt, dessen Erlös gespendet wird, oder die Organisation eines «Risky Dinners». Natürlich bieten wir gerne Unterstützung durch Werbematerial, Know-how und unserer Präsenz. So wie es Magnus in jungen Jahren während des Krieges in Ex-Jugoslawien erlebt hat, sind wir auch heute noch überzeugt, dass jeder helfen kann und dass die Menschen gerne helfen, wenn sie sehen, dass die Hilfe ankommt. Dafür braucht es keine heroische Askese unsererseits. Wir wünschen uns einfach, dass jene, die mehr als genug zum Leben haben, mit denjenigen teilen, denen das Nötigste zum Leben fehlt.
 

Johannes Tschudi studierte Philosophie und Religionswissenschaft an der Universität Freiburg i. Ü. Er arbeitet hauptberuflich bei der VBG, einer christlichen Bewegung von Mittelschülerinnen und Mittelschülern, Studierenden und Berufstätigen, und nebenberuflich als Geschäftsführer für Mary’s Meals Schweiz.

«Mary’s Meals» wurde 2002 durch Magnus MacFarlane-Barrow gegründet. Heute arbeitet die Organisation in 20 Ländern auf fünf Kontinenten und ernährt rund 2,28 Millionen Kinder (Stichtag 30. November 2022). Dabei stehen täglich Zehntausende ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Einsatz. Die Kosten, ein Kind während einem Schuljahr eine tägliche Mahlzeit zu ermöglichen, betragen für «Mary’s Meals» CHF 20.40.
Weitere Informationen unter www.marysmeals.ch

 


Rosmarie Schärer
swiss-cath.ch

E-Mail

Rosmarie Schärer studierte Theologie und Latein in Freiburg i. Ü. Nach mehreren Jahren in der Pastoral absolvierte sie eine Ausbildung zur Journalistin und arbeitete für die Schweizerische Kirchenzeitung SKZ.


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