(Bild: zVg)

Kirche Schweiz

«Es gibt nur eine ein­zige Grösse, näm­lich die Grösse Gottes»

Homi­lie von Bischof Jean-​Marie Lovey anläss­lich des Gedächt­nis­got­tes­dienst zum Tod von Papst Bene­dikt XVI. am 6. Januar in der Kathe­drale in Sitten.

Brüder und Schwestern, liebe Mitglieder der Päpstlichen Garde, liebe Mitbrüder im Bischofsamt, im Priesteramt und im Diakonat, liebe Freunde,

Als sich der neue Papst Benedikt XVI. dem auf dem Petersplatz versammelten Volk und der ganzen Welt vorstellte, bezeichnete er sich in seiner Ansprache als «demütiger Arbeiter im Weinberg seines Meisters, Christus».
Auf einer Pressekonferenz erläuterte er seinen Auftrag: das Licht Christi in der Welt erstrahlen zu lassen, nicht mein Licht, sondern das Licht Christi.
Vor seinen Mitkardinälen und Mitarbeitern: Ich brauche mein pastorales Programm nicht vorzustellen. Mein Programm: nicht meinen Willen, sondern den Willen des Herrn zu tun.

Es ist dies eine andere Art, das Evangelium des heutigen Tages (Mk 1,7–11) zu verkünden. Vor dem, der kommt, fühlt sich Johannes der Täufer ganz klein, ja sogar unwürdig, sich ganz klein zu machen, sich zu erniedrigen, um die Riemen seiner Sandalen zu lösen. Weder Johannes der Täufer noch Benedikt XVI. haben gelogen. Weder der eine noch der andere redeten sich selber klein, um dadurch auf eine grösstmögliche Erhöhung zu hoffen! Hier geht es nicht um falsche Bescheidenheit, sondern um Realismus. Beide sind in der Lage, sich bewusst zu werden, wo die wahre Grösse liegt: Die einzige Grösse liegt ganz in dem, der kommt. Und dieses Bewusstsein führt zum Bewusstsein der eigenen Kleinheit. Derjenige, der Johannes dem Täufer und Benedikt XVI. und jedem von uns gegenübersteht, ist das Kind Marias, der Sohn Gottes, der von einer Frau geboren wurde. Er ist Gott. Er wird im Heiligen Geist taufen, prophezeite Johannes der Täufer. Wer sind wir also im Angesicht Gottes? Wer ist Johannes der Täufer? Wer ist Papst Benedikt? Das ist vielleicht der zentrale Punkt, der durch diese Episode aus dem Evangelium offenbart wird. Nämlich die Möglichkeit für jedes menschliche Wesen, seinen wahren und richtigen Platz unter dem Blick Gottes zu finden. Es gibt nur eine einzige Grösse, nämlich die Grösse Gottes. Demgegenüber steht unsere Kleinheit, unsere Zerbrechlichkeit, oder, scheuen wir uns nicht vor dem Wort, unser Elend. Ein geistlicher Autor schrieb: «Es ist leichtfertig, von Gebrechlichkeit zu sprechen, es ist wie ein selbstgefälliges Streicheln eines ‹Wehwehchens›. Grosser Gott! Sie sollten lieber von ihrem Elend sprechen. Denn nur unser Elend ist der Grösse Gottes angemessen. Sie ist, Gott sei Dank, die einzige Grösse, die wahre Grösse, die uns angesichts der Grösse Gottes bleibt (gemäss dem Psalmwort: Die Flut ruft der Flut zu Ps 42,8). Es ist nicht Unterwürfigkeit, sondern Männlichkeit, die Ganzheit des eigenen Elends zu erklären.»1

Jesus, den Johannes der Täufer als grösser als sich selbst erkennt, stimmt zu, in die Wasser des Jordan hinabzusteigen und von Johannes die Taufe zu empfangen. Dieser Akt der Demut wird Johannes dem Täufer zu einem weiteren Fortschritt in der Erkenntnis dieses Jesus, der aus Nazareth kam, verhelfen: «Und eine Stimme aus dem Himmel sprach: Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen gefunden» (Mk 1,11). Diese Offenbarung ist für alle bestimmt, die sie damals als Hörer miterlebt haben, aber gilt auch für uns heute. Wie Johannes dem Täufer wird uns angeboten, immer weiter in der Erkenntnis von Jesus von Nazareth voranzuschreiten. Die Stimme vom Himmel, die von seinem Sohn spricht, ist also die Stimme des Vaters, und dieser Sohn wird als der Geliebte bezeichnet. Wie gehen wir mit diesem geliebten Sohn um und wie weit sind wir mit der Kenntnis dieses geliebten Sohnes gekommen? Darauf ist unser christliches Leben ausgerichtet!

In einem meisterhaften und unvergesslichen Vortrag im Collège des Bernardins legte Papst Benedikt den Schwerpunkt seiner Überlegungen auf die Suche nach Gott. Er zeigte auf, wie jede Kultur und insbesondere unsere europäische Kultur ihr stärkstes Fundament in der ständigen Suche nach Gott hat. In der Tat haben Klöster ganz Europa durchzogen und die Mönche hatten als Motto quaerere Deum (Gott suchen). Die Mönche haben ganze Landstriche urbar gemacht. Mit ihnen entstand die geografische Landschaft. Sie entwickelten die Landwirtschaft und den Weinbau; die Klöster selbst wurden zu Brennpunkten der intellektuellen Kultur. Sie waren der Ursprung der Universität. Die Weitergabe von Wissen, Kultur und Kunst entwickelte sich im beständigen quaerere Deum, in der Suche nach Gott.

Wenn wir gemeinsam für unseren geliebten Papst Benedikt beten, bitten wir den Herrn, ihn bei sich zu Hause aufzunehmen. Das Leben und der Dienst von Benedikt XVI. waren eine ständige Suche nach Gott. Als Theologieprofessor an mehreren deutschen Universitäten; als Bischof von München-Freising, Kardinal und Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre und schliesslich als Papst hat Joseph Ratzinger als Schüler des heiligen Benedikt nie aufgehört quaerere Deum, Gott zu suchen, als demütiger Diener im Weinberg des Herrn. Amen

Lesung: 1 Joh 5,5-13
Evangelium: Mk 1,7-11



1 François Cassingena-Trevedy, Propos d’altitude, Albin Michel 2022, 61.


Bistum Sitten


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