Bischof Rudolf Voderholzer von Regensburg. (Bild: Bistum Regensburg)

Interview

«Es gibt nur eine katho­li­sche Kirche»

Die Kir­che ist kein «Debat­tier­club», in dem ein stän­di­ger Kampf der Mei­nun­gen statt­fin­det – das «decision-​taking» ist in der apos­to­li­schen Kir­che blei­bend an das sakra­men­tale Amt gebun­den. Das pol­ni­sche Inter­net­por­tal PCh24​.pl sprach mit Bischof Rudolf Voder­hol­zer von Regens­burg über das Wesen der Kir­che, die Aus­ein­an­der­set­zun­gen um die Syn­oda­li­tät und die Gender-​Ideologie.

PCh24.pl: Der Tod von Papst Benedikt XVI. ist bald sechs Monate her. Wie wird sein theologisches Denken heute in Deutschland, insbesondere im Bistum Regensburg, wo das Institut Papst Benedikt XVI. tätig ist, rezipiert?
Bischof Rudolf Voderholzer: Das Institut Papst Benedikt XVI., das vom Bistum Regensburg finanziert wird, steht kurz vor dem Abschluss der Gesamtausgabe des theologischen Werkes Joseph Ratzingers. Zwei Bände werden noch erscheinen, ein biografischer Band, in den auch die wissenschaftlichen Texte aus der Zeit der Emeritierung des Papstes einfliessen werden und ein Registerband. Die Rezeption ist in vollem Gang. Kürzlich ist in den vom Institut herausgegebenen «Ratzinger-Studien» eine Arbeit meines theologischen Referenten erschienen, die die Kontinuität zwischen der eucharistischen Communio-Ekklesiologie Joseph Ratzingers / Benedikts XVI. und dem Synodalitätsverständnis von Papst Franziskus aufweist. In den Räumen des Instituts wird im Augenblick die persönliche Bibliothek von Papst Benedikt aufgebaut und der übrige private Nachlass gesichtet. Das weltweite Interesse an der Theologie Joseph Ratzingers wird durch seinen Tod eher gefördert als geschmälert und das Institut in Regensburg wird als Zentrum der Ratzinger-Forschung wahrgenommen.

Es scheint, dass die Theologie in der kirchlichen Zukunftsdiskussion ihren eigentlichen Stellenwert verloren hat. Der soziologische Diskurs dominiert. Dies zeigt sich insbesondere in Deutschland am «Synodalen Weg». Warum schenken führende kirchliche Autoritäten in Deutschland und anderswo in Europa der Theologie nicht genügend Aufmerksamkeit?
Die Dominanz des soziologischen Diskurses ist eine Gefahr, auf die Joseph Ratzinger bereits 1961 in einer Debatte mit Hans Küng aufmerksam gemacht hatte. Küng sah ein enges Repräsentationsverhältnis zwischen dem Konzil und der Kirche insgesamt, weil er behauptete, die Kirche sei wesenhaft «Konzil aus göttlicher Berufung» und das einberufene Konzil als Bischofsversammlung selbst sei ein «Konzil aus menschlicher Berufung».
Ratzinger widerlegte die überwiegend etymologische Argumentation Küngs und machte deutlich, dass seine These eine erhebliche Gefahr für das Kirchenverständnis darstelle. Man könne dann nämlich davon ausgehen, dass die Kirche eine Art «Debattierclub» darstelle, in dem ein ständiger Wettstreit der Meinungen, vor allem der Theologen, stattfinde. Ratzinger machte deutlich, dass der Kirchenbegriff damit politisiert werde. Er stellte ihm ein Kirchenverständnis im Sinne eines lebendigen Organismus gegenüber, der von der Gegenwart des göttlichen Wortes im Sakrament und in der Verkündigung lebt.
Wir können heute erleben, wie wirkmächtig die damalige These Küngs war. Obwohl das Konzil selbst dann ganz klar eine eucharistische Communio-Ekklesiologie lehrte, hat sich bei vielen Theologen eine Art «Conciliums-Ekklesiologie» nach Küng festgesetzt. Mit der Tradition der Kirche hielt der junge Konzilstheologe Ratzinger fest: Kirche ist wesenhaft «communio» und braucht hin und wieder ein zeitlich klar begrenztes «Konzil».

Der Deutsche «Synodale Weg» stösst im Vatikan auf grossen Widerstand. Einer der heikelsten Punkte ist die Einrichtung des «Synodalen Rates», der nach Ansicht von Kritikern die Kompetenzen der Bischöfe übernehmen könnte, was zu einer Störung der hierarchischen Struktur in der Kirche führen könnte. Warum ist der «Synodale Rat» das falsche Projekt?
Papst Franziskus hat in den vergangenen zehn Jahren mindestens fünfzig Mal über Synodalität gesprochen. Eines geht daraus ganz deutlich hervor: Synodaler zu werden, bedeutet für die Kirche nicht, neue Strukturen zu schaffen, sondern die vorhandenen Strukturen mit neuem Geist zu beleben. In allen Ebenen soll eine echte Offenheit im Austausch der Menschen untereinander und eine gemeinsame Offenheit gegenüber dem Heiligen Geist vorherrschen.
Mehrmals betonte er, dass eine Synode kein Parlament sei und macht damit deutlich, dass der Einzug demokratisch-politischer Handlungsweisen, wie z. B. Mehrheitsgewinnung durch öffentlichen Druck, nichts mit Synodalität im Sinne der Kirche zu tun haben. Der «Synodale Rat», wie ihn die Synodalversammlung – ohne jegliche Rechtswirkung (vgl. Art. 11, Abs. 5 der Satzung des «Synodalen Weges») – beschlossen hat, steht in grosser Gefahr, genau diese politischen Umgangsformen zu fördern. Und nebenbei bemerkt sind weder vom Kirchenrecht noch von der ihr zugrunde liegenden Ekklesiologie synodale Entscheidungsorgane zulässig. Das «decision-taking» ist in der apostolischen Kirche bleibend an das sakramentale Amt gebunden.

Aus polnischer Sicht ist es jedoch nicht der «Synodale Rat», der am meisten schockiert, sondern zwei weitere Postulate des deutschen «Synodalen Weges». Eine davon ist eine vollständige Überarbeitung der Sexualethik. In vielen Gemeinden in Deutschland werden heute entgegen der Lehre der Kirche homosexuelle Paare gesegnet. Der «Synodale Weg» spricht auch von der Bekräftigung der ideologischen Anthropologie des Geschlechts (Genderideologie). Auch in anderen Ländern wie Belgien, Italien oder den USA gibt es ein ähnliches Problem. Sollte die katholische Kirche wirklich ihre Sexualethik überarbeiten und in dieser Hinsicht eine Art Libertinismus annehmen?
Es ist paradox: Einerseits hat die Gesellschaft sich wie selten zuvor den Schutz der Umwelt auf die Fahnen geschrieben, um das Klima und damit vermeintlich die Welt zu retten. Andererseits erhebt sich der Mensch in bisher ebenfalls ungekanntem Ausmass über seine eigene Natur. Als Christen sprechen wir im Licht des biblischen Gottesglaubens und des kirchlichen Glaubensbekenntnisses von «Schöpfung». Und die zentrale Aussage des biblischen Schöpfungsberichtes in Bezug auf den Menschen ist die Rede von seiner Gottebenbildlichkeit, dass der Mensch von seinem Bild- und Gleichnis-Sein Gottes her verstanden wird.
Damit ist aufs Engste verknüpft die Zweigeschlechtlichkeit als Mann und Frau und ihre Relationalität aufeinander und auf Gott hin. Diese horizontale und vertikale Transzendenzverwiesenheit ist wesentliches Element seines Personseins. Das ist die Botschaft, die wir als Kirche in die Gender-Debatten einbringen müssen. Hans Urs von Balthasar hat ganz in diesem Sinne geradezu von einer historischen Sendung der Kirche gesprochen: «Vielleicht ist die katholische Kirche aufgrund ihrer eigenen Struktur das letzte Bollwerk in der Menschheit einer echten Würdigung der Differenz der Geschlechter.» Wenn man damit die entsprechenden Texte des «Synodalen Weges» vergleicht, sieht man, wie gross der Gegensatz geworden ist.

Das zweite schockierende Postulat ist ein Versuch, das Priestertum abzuwerten. Man hat den Eindruck, dass der «Synodale Weg» das Priestertum in einem egalitären und demokratischen Geist interpretieren und vielleicht sogar im Sinne der Ideen der Reformatoren des 16. Jahrhunderts wie Martin Luther umgestalten wollte. Kann die Kirche tatsächlich auf das Priestertum zugunsten des kollektiven Dienstes aller Getauften verzichten?
Das sind alles Folgen eines Grundfehlers, und zwar der rein soziologischen Betrachtung von Kirche. Dann werden alle Dienste und Ämter Funktionen in einem System, die beliebig austauschbar sind. Es wird eine dringende Aufgabe der kommenden Jahre, das sakramentale Wesen der Kirche («Lumen gentium» 1) in Erinnerung zu rufen.

Es gibt auch Diskussionen über die Rolle der Frau. Die Situation rund um den sakramentalen Diakonat ist unklar; die Lehre der Kirche über das Presbyterium ist eindeutig. Wie stehen Sie zu diesem Thema und was erwarten Sie für die Zukunft?
Das sakramentale Amt in der Kirche besteht aus einem Ordo in drei Stufen. Das kirchliche Lehramt hat die Frage der Zulassung zum Weiheamt in «Ordinatio sacerdotalis» (1994) endgültig geklärt. Diese Klärung gilt es, verständlich zu machen. Alles andere schafft nur neue Erwartungen, die dann wieder enttäuscht werden. Es gibt so viele Felder, wo positive Gestaltung möglich ist. Sich nur auf das zu konzentrieren, was nicht änderbar ist, halte ich nicht für zielführend.

Der synodale Prozess findet auch überall auf der Welt statt. Bei der Synodenversammlung im Februar dieses Jahres in Prag einigten sich Bischöfe und Laien aus Europa auf «Einheit in Vielfalt». Leider scheint es auch eine Glaubensvielfalt zu geben. Wie stellen Sie sich die Zukunft der Kirche in Europa vor, da verschiedene Länder in vielen grundlegenden ethischen und doktrinären Fragen völlig unterschiedliche Herangehensweisen haben? Ist es nicht notwendig, eine echte Einheit des Glaubens in Europa wiederherzustellen?
Wer getauft wird, wird aufgenommen in die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche, ganz egal, wo er getauft wird, ob in Regensburg, Prag oder Tokio. Es gibt nur eine katholische Kirche, die in jeder Ortskirche, die von einem Bischof geleitet wird und in Gemeinschaft mit dem Bischof von Rom steht, ganz realisiert ist. Daran wird sich nichts ändern und das ist der Massstab für alle. Wenn ich z. B. an die Katholiken in der ehemaligen DDR denke. Sie bezeugen, wie dankbar sie waren und sind für diese zentrale Verankerung in Rom, die für sie nicht Belastung, sondern Quelle der Freiheit und Unabhängigkeit ist.
Jegliche Glaubensvielfalt wird sich daran messen lassen müssen. Und ich bin mir sicher, dass auch wieder eine Zeit kommen wird, in der stärker die Einheit betont und gesehen wird. Es wäre jedenfalls in der heutigen Lage der Menschheit ein wertvoller Dienst der Kirche, die damit zum Motor von Völkerverständigung und Frieden, zum «Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit» («Lumen gentium»1) werden könnte.

Das Interview wurde von Paweł Chmielewski geführt.
 

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