Symbolbild. (Bild Abby Tait/Unsplash)

Kommentar

Feuer frei auf den Feuerkreis

Berichte über angeb­li­che oder tat­säch­li­che Miss­brauchs­skan­dale in der Katho­li­schen Kir­che neh­men kein Ende. Beson­ders gie­rig stürzt man sich auf Fälle, die in einem – je nach Ansicht – treu– oder erz­ka­tho­li­schen Milieu statt­ge­fun­den haben. Ja, wenn sich die Sit­ten­wäch­ter selbst nicht an ihre Regeln hal­ten, dann – so das gän­gige Nar­ra­tiv – tau­gen ver­mut­lich ihre Sit­ten nicht viel und dür­fen ruhig über Bord gewor­fen werden.

In diesen Tagen macht wieder einmal eine dieser unappetitlichen Geschichten die Runde. Das Medienportal «kath.ch» und die «SonntagsZeitung» berichten, dass zwei Priester, die in ihrer Freizeit für den katholischen Pfadfinderbund «Feuerkreis Niklaus von Flüe» tätig sind bzw. waren, übergriffiger Handlungen bezichtigt werden. Die beiden Fälle haben miteinander nichts zu tun und sind auch ganz verschieden gelagert. Doch darum geht es den Enthüllungsjournalisten nicht; für sie ist wichtig zu zeigen, dass der «Feuerkreis» und ähnliche Bewegungen eine dubiose und von der Aussenwelt abgeschottete Parallelgesellschaft bilden, in der Missbrauch sozusagen vorprogrammiert ist. Dass sie es dabei zuweilen mit Genauigkeit und Seriosität nicht allzu ernst nehmen, verkommt zur Randnotiz; bekanntlich heiligt der Zweck ja die Mittel ...

Genau genommen ist schon die Überschrift im «kath.ch»-Artikel falsch: «Traditionalistische Pfadi: Missbrauchsvorwürfe gegen zwei Priester». Der «Feuerkreis Niklaus von Flüe» ist weder traditionalistisch noch, wie er im Verlauf des Artikels auch bezeichnet wird, erzkatholisch, sondern schlichtweg katholisch. Die Gottesdienste wurden und werden – mit wenigen Ausnahmen – im neuen Messritus gefeiert, und zwar innerhalb der liturgischen Vorschriften, auf eine jugend- und kindergerechte Art. Die Pfadfinderübungen sind mit denen von «weltlichen» Scouts durchaus vergleichbar: Man geht ins Lager, kocht im Wald ab, baut Seilbrücken, lernt Erste Hilfe usw. Ergänzend kommen eine Stunde Katechese und als Abschluss der Übung die Feier der heiligen Messe dazu. Beichtgelegenheit wird angeboten, ist aber nicht verpflichtend.

«kath.ch» berichtet reisserisch von «Besuchen bei einem Exorzisten». Klickt man auf den angegebenen Link, landet man beim Pfarrer von Steinen SZ und Dekan des Dekanats Innerschwyz, Ruedi Nussbaumer, der sich auch beim «Feuerkreis» engagiert und in diesem Zusammenhang gelegentlich Scouts von andern Abteilungen als Gäste empfängt. Davon, dass er als Exorzist tätig sein soll, ist nichts bekannt. Doch «kath.ch» erweckt bei den Lesern den Eindruck, als ob Minderjährige zur Teilnahme an Teufelsaustreibungen gezwungen würden.

Der «Feuerkreis» wurde 1988 als Alternative zu den sich immer mehr von der Kirche abnabelnden katholischen Jugendverbänden gegründet. Priester nehmen im «Feuerkreis» zwar eine wichtige Position ein, doch die eigentliche Leitung der einzelnen Abteilungen wie auch des Gesamtbundes liegt in den Händen von Laien, jungen Frauen und Männern, die sich in ihrer Freizeit mit viel Herzblut der Jugend- und Kinderarbeit widmen. Wie «kath.ch» und sein «Experte» Stefan Loppacher, der als Ex-Priester und Neoatheist («Gott ist tot, und ich vermisse ihn nicht») selbst eine fragwürdige Rolle spielt, unterstellen können, ein solches Umfeld sei besonders problematisch und «toxisch», bleibt ihr Geheimnis. Auf jeden Fall spricht es eher für als gegen den «Feuerkreis», dass in den 35 Jahren seines Bestehens gerade mal zwei mögliche Fälle von Missbrauch aufgetreten sind, wobei der eine Fall als zwar nicht akzeptabel, aber doch auch nicht besonders gravierend angesehen werden kann, und der andere zwar einen «Feuerkreis»-Priester betrifft, aber sich nicht im Rahmen des «Feuerkreises» abspielte.

Wie schon erwähnt, haben die beiden Fälle nichts miteinander zu tun, was «kath.ch» nicht daran hindert, Gemeinsamkeiten zu konstruieren. So gilt der Plattform etwa der Umstand, dass beide inkriminierten Priester von Erzbischof Wolfgang Haas geweiht wurden, als «Beweis» dafür, dass sie sich in einem Umfeld bewegten, das für Missbrauch besonders prädestiniert war.

Während «kath.ch» den einen Fall ungeniert mit vollem Namen und sogar mit einem nicht unkenntlich gemachten Bild des Angeschuldigten schildert, hält es sich im andern Fall scheinheilig an die journalistischen Regeln und benutzt ein Pseudonym, da ja, wie es jeweils so schön heisst, «die Unschuldsvermutung gilt». Allerdings ist der Artikel gespickt mit Andeutungen und Hintergrundinformationen, die es einem halbwegs kundigen Leser leicht machen, die Identität des Täters – so er denn überhaupt einer ist – zu ermitteln. In diesem Fall ist die Schuld des Beschuldigten nämlich keineswegs erwiesen, lässt doch «kath.ch» nur das mutmassliche Opfer zu Wort kommen, ohne Beweise für die Wahrheit seiner Aussagen zu erbringen.

Zwei Priester – im schlimmsten Fall! – haben an bestimmten Punkten ihres Lebens gesündigt. Sie sind schwach geworden, genauso wie jeder Mensch immer wieder schwach wird. Das ist die Tragik des Sündenfalls und der gebrochenen menschlichen Natur. Dass es sich um Priester handelt, also um Menschen, von denen man eine Vorbildfunktion erwartet, macht die Tragik ein Stück weit grösser. Es geht aber nicht an, für das Fehlverhalten zweier Menschen eine ganze Organisation verantwortlich zu machen. Der «Feuerkreis Niklaus von Flüe» ist nicht missbrauchsanfälliger als irgendeine andere Jugendbewegung. Etwas anderes zu behaupten ist in höchstem Mass unredlich – ein Missbrauch mit dem Missbrauch eben!

Gastkommentare spiegeln die Auffassungen ihrer Autorinnen und Autoren wider.


Martin Meier-Schnüriger


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    Hubert Meier 25.12.2023 um 21:26
    Dieser Artikel zeigt klar auf, dass der Pfadfinderbund "Feuerkreis Niklaus von Flüe" Verdachtsfälle bezüglich Missbrauch ernstnimmt.

    Kleiner, aber nicht unwichtiger Nachtrag: Wie selbst kath.ch berichtet, hat die Bundesleitung des "Feuerkreises" den mit Namen genannten und gerichtlich verurteilten Priester schon 2020 von jeglicher Aktivität im "Feuerkreis" ausgeschlossen und an ihrer Sitzung von Ende November 2023 auch den Priester mit dem Pseudonym "Andreas" bis zur Klärung des Falles suspendiert.

    Das zeigt, dass im "Feuerkreis" bezüglich Missbrauch Nulltoleranz herrscht. Zudem wir im Artikel auch aufgezeigt, wie tendenziös Medienportale wie kath.ch über glaubenstreue katholische Gruppierungen berichten, mit dem Ziel diese schlecht darzustellen.

    Vielen Dank an Martin Meier-Schnüriger für diesen spannenden Artikel.
  • user
    Ferdi Meyer 21.12.2023 um 15:23
    Vielleicht könnte der Autor den Text dahingegen anpassen, das die FNF nach eigener Definition kein Pfadfinderbund ist, sondern ein Jugendbund. Wenn man schon so viel Wert auf genaue Definitionen legt. Man hat das ja extra geändert (1994)

    Und zu behaupten das sexuelle Übergriffe eine Sünde sind, die oje oje mal passiert sind weil ein Mensch schwach geworden ist... man stelle sich vor, es hätte die Kinder von Martin Meier-Schnüringer / Bär getroffen. Wäre die Aussage genau die Gleiche?
    • user
      Martin Meier-Schnüriger 22.12.2023 um 08:19

      Sehr geehrter Herr Meyer


      Danke für Ihren Kommentar! Kleine Ergänzung: Mein Pfadfindername ist nicht Bär, sondern Mutz (was im Bernbiet, wo ich herkomme, tatsächlich ein Synonym für Bär ist). Aber das ist für die Angelegenheit, um die es hier geht, so irrelevant wie die Frage, ob der „Feuerkreis“ nun ein Pfadfinder- oder ein Jugendbund sei.


      Wenn Sie meinen Artikel genau gelesen haben, haben Sie bemerkt, dass mein Hauptanliegen war, aufzuzeigen, wie tendenziös kath.ch berichtet. Auf Grund zweier Fälle, von denen einer sich gar nicht im Rahmen des „Feuerkreises“ abspielte, soll eine Jugendorganisation schlecht gemacht werden, deren religiöse Ausrichtung den Leuten von kath.ch nicht passt. Vermutlich haben jene Jugendverbände, „bei denen Kleriker längst nicht mehr auftauchen“ (O-Ton kath.ch) auch ihre Leichen im Keller, aber diese auszugraben liegt nicht im Interesse von kath.ch. Letztlich haben wir es hier einmal mehr mit einem Frontalangriff auf das Priestertum zu tun, und das unter dem Deckmantel der Missbrauchsprävention.


      Was nun Ihren Einwand angeht, ich würde sexuellen Missbrauch als Bagatelle abtun, kann ich Ihnen versichern, dass dem nicht so ist. Nur möchte ich an das Wort Jesu erinnern: „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein.“ Die Leute, zu denen er das damals sagte, waren immerhin ehrlich genug, ihre Steine fallen zu lassen und wegzugehen. Ausserdem finde ich es irgendwie seltsam, dass sich ausgerechnet jene, die ständig für eine Lockerung der katholischen Sexualmoral plädieren - ganz nach dem Motto „Erlaubt ist, was gefällt“ - , über sexuellen Missbrauch empören. Letztlich ernten sie ja nur, was sie gesät haben.

    • user
      Albert Meier 22.12.2023 um 21:08
      Erstens Frage ich mich ob Sie hier unter richtigem Namen schreiben. Sie verfügen angeblich über Insider-Informationen (bezeichnen Herr Meier-Schnüriger mit Pfadinamen) aber nicht genug Insider-Informationen, um den korrekten Pfadi-Namen zu kennen?!

      Zweitens, wenn Sie schon schreiben, ...was wäre es hätte die Kinder von Martin Meier-Schnüriger getroffen... sollte Ihnen bewusst sein, dass jeder Missbrauch etwas vom schlimmsten ist, was in einem Menschenleben passieren kann. Sich darüber so zu äussern finde ich nicht in Ordnung.

      Freundliche Grüsse

      Albert Meier
  • user
    Martin Meier-Schnüriger 21.12.2023 um 11:56
    Kleiner, aber nicht unwichtiger Nachtrag: Wie selbst kath.ch berichtet, hat die Bundesleitung des "Feuerkreises" den mit Namen genannten und gerichtlich verurteilten Priester schon 2020 von jeglicher Aktivität im "Feuerkreis" ausgeschlossen und an ihrer Sitzung von Ende November 2023 auch den Priester mit dem Pseudonym "Andreas" bis zur Klärung des Falles suspendiert. Das zeigt, dass im "Feuerkreis" bezüglich Missbrauch Nulltoleranz herrscht.
  • user
    Daniel Ric 21.12.2023 um 08:54
    Sehr guter Artikel, der aufzeigt, wie heutzutage jede Gelegenheit genutzt wird, um die katholische Kirche schlechtzumachen. Es ist merkwürdig, wie versucht wird, bei katholischen Organisationen Fehlverhalten auszumachen, währenddem bei weltlichen Organisationen beide Augen geschlossen werden.
  • user
    Albert Meier 20.12.2023 um 21:37
    Vielen Dank für Ihren spannenden, scharfsinnigen und korrekten Artikel, über die Sensations-Berichterstattung von kath.ch und tagesanzeiger.ch betreffend Pfadfinderbund "Feuerkreis Niklaus von Flüe".
  • user
    Johann Fürst 20.12.2023 um 18:56
    Vielleicht würde es ich lohnen, bei den "normalen" Pfadis nachzuforschen. Mir sind zwei Pfadis bekannt, die von den Teilnehmern verlangten, sich nackt zu zeigen. Bei der ersten musste sich ein Junge nackt vor dem Leiter ausziehen, um irgendetwas zu bekommen. Anscheinend eine Mutprobe. Ich meine, das war in den 70er oder 80er Jahren. Bei der zweiten badeten alle jungen Leiter nackt. Anscheinend hat das niemanden gestört und hatte auch keine Konsequenzen.
    In den Neunzigerjahre wurden von der Bundesleitung der JuBla Handreichungen herausgegeben, wie Übergriffe vermieden werden konnten. Das war damals eine Erleichterung, weil man so als "Rückständiger und Verknorkster" von oben Rückendeckung hatte, wenn man nicht alles mitmachen wollte.