Flannery O'Connor auf ihrer Farm. (Bild: Will/flickr, CC BY 2.0 Deed)

Hintergrundbericht

Flan­nery O’Connor – Lite­ra­ri­sches Genie und Glaubenszeugin

Eine mittlerweile berühmt gewordene Szene aus dem Leben von Flannery O’Connor ist für den amerikanischen Bischof Robert Barron von ganz besonderer Bedeutung und war mitunter ein Grund, um sie in seiner mehrteiligen Videoserie über den katholischen Glauben «Catholicism: Pivotal Players» zu porträtieren. Die junge Flannery O’Connor – eine brillante, aufstrebende Autorin – wird in New York von der etablierten Schriftstellerin Mary McCarthy und ihrem Mann zum Abendessen eingeladen. O`Connor, die aus dem tiefen Süden der Vereinigten Staaten stammt, ist schüchtern und zurückhaltend in der illustren New Yorker Kulturszene, in die es sie verschlagen hat. Um sie mehr in das Gespräch miteinzubeziehen sagt die Gastgeberin, die weiss, dass O`Connor Katholikin ist, dass die Eucharistie ein ganz wunderbares Symbol ist. Worauf O`Connor mit bebender Stimme antwortet: «Wenn es bloss ein Symbol ist, dann zur Hölle damit!»

Von komischen Hühnern und lächerlichen Pfauen
Mary Flannery O’Connor wird 1925 in Savannah (Georgia) als Einzelkind in eine wohlhabende katholische Familie geboren. Schon früh zeigt sich in dem eigensinnigen Kind grosses Talent für die Künste. Sie richtet sich im Estrich eine Art Atelier ein, in dem sie zeichnet, liest und eigene Texte verfasst.

Als sie fünf Jahre alt ist, geschieht etwas, was sie später als den Höhepunkt ihres ganzen Lebens bezeichnen wird. Ein Filmteam kommt vorbei, um ein Huhn zu filmen, dem O`Connor beigebracht hat, rückwärts zu laufen. Der Beitrag dauert gerade einmal eine Minute, hinterlässt jedoch einen nachhaltigen Eindruck. Dreissig Jahre später, als sie die Geschichte in einem Essay erzählt, zeigt sich, dass diese frühe Faszination des Grotesken ihr ganzes künstlerisches Leben prägte.

Während der High-School und dem Studium der Soziologie und der englischen Literatur arbeitet sie für die Studentenzeitung und zeichnet humoristische Cartoons für die Presse. Mit 25 Jahren, mitten in ihrem literarischen Aufstieg, empfindet sie eines Tages beim Schreiben an der Schreibmaschine eine eigenartige Schwere in den Armen. Kurz darauf wird Lupus bei ihr diagnostiziert, eine unheilbare Krankheit, an der bereits ihr Vater zehn Jahre zuvor gestorben ist. O`Connor zieht mit ihrer Mutter auf eine Farm in Milledgeville (Georgia), wo sie den Rest ihres Lebens schwer von ihrer Krankheit geplagt, jedoch überaus produktiv verbringt. Sie züchtet Pfaue, die sie liebt, weil sie majestätisch und lächerlich zugleich sind. Sie schreibt zweiunddreissig Kurzgeschichten, zwei Romane und unzählige Essays. Zudem pflegt sie eine ausgedehnte Briefkorrespondenz und hält regelmässig Vorträge. Mit 39 Jahren stirbt Flannery O’Connor und wird in Milledgeville neben ihrem Vater begraben. Ihr Grabstein ziert ein Kreuz und das Nomen Sacrum IHS, das aus den ersten drei griechischen Buchstaben des Namens Jesus besteht.
 


Literatur und Sakramentalität
O`Connors Werk ist so eigenartig und tiefsinnig wie sie selbst. Auf die Frage, wieso Autoren aus den Südstaaten so viel über Freaks schreiben, sagte sie einst lakonisch, dass man im Süden Freaks eben noch als solche erkennt. Ihre Geschichten sind erfüllt von merkwürdigen, gewalttätigen und verrückten Gestalten. Da gibt es den wahnsinnigen Serienmörder in «A Good Man is Hard to Find», der ohne nachvollziehbaren Grund eine ganze Familie auslöscht. In «A Temple of the Holy Ghost» wird ein Hermaphrodit, der in einer Freakshow auf dem Karneval auftritt, für ein kleines Mädchen zum Sinnbild der Eucharistie. In «Good Country People» stiehlt ein Bibelverkäufer, der sich das Vertrauen einer Frau und ihrer Tochter erschleicht, die Beinprothese der Tochter. Die Welt, die O`Connor zeichnet, ist abgründig und oftmals bizarr. Umso interessanter ist, dass praktisch jede Seite von ihrem Werk durchtränkt ist von katholischer Theologie. Ihre Geschichten kreisen um die zentralen christlichen Motive wie Erlösung, Gnade und Offenbarung. Das Schreiben selbst sieht sie eng mit einem sakramentalen Weltempfinden verbunden: «Die katholische, sakramentale Lebenssicht bewahrt und stützt in jedem Fall die Sehergabe, die dem Erzähler zu eigen sein muss, wenn er ein Werk von einigem Tiefgang schaffen will.»
Vor dem Einschlafen pflegt sie jeweils Thomas von Aquin zu lesen und auf die abschätzige Charakterisierung seitens einer Literaturkritikerin von ihrem Werk als «Hillbilly Nihilismus» entgegnete sie, dass es sich um «Hillbilly Thomismus» handelt. Der katholische Glaube war für ihr Leben wie auch Schreiben massgebend. In einem Brief an eine langjährige Brieffreundin betont sie: «Ich schreibe so, wie ich es tue, weil (und nicht obschon) ich Katholikin bin.»

Der wilde, von Christus heimgesuchte Süden
Die Figuren, die sie in ihren Geschichten beschreibt, sind dabei alles andere als fromm. Es ist keine heile Welt, die sie beschreibt, sondern eine «christ-haunted», von Christus heimgesuchte, geplagte, verfolgte Welt. Es sind in ihren Geschichten oftmals gerade die Figuren, die sich selbst als Vorzeigechristen verstehen, die am schlechtesten wegkommen und deren Dummheit und Oberflächlichkeit unverhohlen gezeigt werden. Und durch einen unerwarteten Dreh der Gnade werden diese abstossenden, heuchlerischen Menschen dennoch zum Ort, an dem sich das Heilige offenbart. So können sich Mörder und Opfer im Augenblick des Mordes gegenseitig zum Moment der Offenbarung werden. Gerade einmal 28 Jahre alt ist O`Connor, als sie dieses abgründig-heilige Geschehen in «A Good Man is Hard to Find» beschreibt. Der Geist Gottes weht eben, wo er will, und im Werk von Flannery O’Connor weht er durch den wilden Süden der Vereinigten Staaten mit all seiner Verkommenheit, Schönheit, Urwüchsigkeit und Ambivalenz, die Gottes ganze Schöpfung post lapsum ausmacht – ob man es akzeptiert oder verdrängt.


Silvan Beer

Silvan Beer studiert gegenwärtig Theologie und Philosophie in Freiburg i. Ü.


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Bemerkungen :

  • user
    Martin Meier-Schnüriger 04.11.2023 um 11:48
    Herzlichen Dank für den spannenden Beitrag über Flannery O'Connor! Vielleicht hätte sie an meiner Erzählung "Die Rebellin Gottes", deren Protagonistin auch eine Katholikin aus den Südstaaten ist, Freude gehabt, auch wenn meine Figuren nicht ganz so bizarr sind wie die ihren.