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Hintergrundbericht

Fran­ken­stein ante por­tas: Hirn­to­ter muss für Expe­ri­ment mit Schwei­ne­niere herhalten

An der «Lan­gone Health Uni­ver­si­tät» in New York wurde eben ein Expe­ri­ment mit einem Hirn­to­ten um einen vol­len Monat ver­län­gert. Um die­ses Expe­ri­ment durch­füh­ren zu kön­nen, wurde der Kreis­lauf eines hirn­to­ten Man­nes künst­lich auf­recht­er­hal­ten. Dies, um zu prü­fen, wie sein Kör­per auf die ihm ein­ge­pflanzte Schwei­ne­niere rea­gie­ren würde (Prü­fung der Abstoss­me­cha­nis­men bei einer soge­nann­ten Xeno­trans­plan­ta­tion). Ins­be­son­dere stellt sich die Frage, ob eine ange­hö­rige Per­son zu einem sol­chen Expe­ri­ment über­haupt stell­ver­tre­tend für den betrof­fe­nen Hirn­to­ten ent­schei­den kann.

Ein ausführlicher Artikel zu diesem Experiment ist am 22. August 2023 in der «Welt» erschienen. Die Forscher hatten gemäss ihren eigenen Angaben am 14. Juli 2023 einem 57-jährigen hirntoten Mann namens Maurice Miller eine Niere eines genetisch veränderten Schweines eingepflanzt. Um die Leistung dieser Schweineniere eindeutig aufzuzeigen, wurden zuvor die beiden Nieren des Hirntoten entfernt. Wie bei Hirntoten üblich, wurde mithilfe eines Beatmungsgerätes und weiteren intensivmedizinischen Massnahmen der Kreislauf aufrecht erhalten. Die Niere und die Thymusdrüse, die in diesem Verfahren verwendet wurden, stammen von einem GalSafeTM-Schwein, einem Tier, das von «Revivicor, Inc.» eigens gezüchtet wurde, einer Tochtergesellschaft der «United Therapeutics Corporation». Nachdem die Schweineniere während 32 Tagen im Körper des Hirntoten ohne akute Immunabwehr funktionierte, gingen die Forscher mit einer Pressekonferenz an die Öffentlichkeit. Dabei gab auch die Schwester des Hirntoten, Mary Miller-Duffy, mehrere Statements ab.

Mit diesem Experiment gingen die Transplantationsmediziner noch viel weiter als bei Experimenten, die sie bereits im Jahr 2021 durchgeführt hatten. Damals beobachteten sie während 54 Stunden das Verhalten des Immunsystems von zwei Hirntoten mit transplantierten Schweinenieren in ihrem Körper. Am 17. August 2023 ist dazu im medizinischen Journal «The Lancet» ein Fachartikel erschienen. Zweifellos dienten diese als Vorbereitung auf das aktuelle, immer noch laufende Experiment.

Die Forscher rechtfertigen ihr Forschungsprojekt mit dem Argument, diese Ergebnisse würden sie dem Ziel noch näher bringen, im grossen Stil Nieren von genetisch veränderten Schweinen beim Menschen zu transplantieren. Wie die Forscher erklären, wurde das Experiment durch die Familie des 57-jährigen Mannes ermöglicht. Sie entschloss sich, seinen Körper zu spenden, nachdem der Hirntod festgestellt worden war und seine Organe oder Gewebe aufgrund eines bösartigen Hirntumors für eine Transplantation nicht geeignet waren. Wörtlich heisst es am Schluss der Medienmitteilung: «Die Überwachung des Schweinenierenempfängers wird mit Erlaubnis der Familie, Genehmigung der Ethikkommission und fortgesetzter Unterstützung durch United Therapeutics einen weiteren Monat lang fortgesetzt.»

Mag sein, dass der Hirntote zu Lebzeiten eine Organspende befürwortet hat. Ob er auch dieses Szenario vor Augen hatte, muss mit Fug und Recht bezweifelt werden. Dieses Experiment geht weit über das hinaus, was meines Erachtens Familienangehörige stellvertretend entscheiden können. Und selbst wenn die Person noch zu Lebzeiten diesem während mehr als zwei Monaten dauernden Experiment zugestimmt hätte, sollte die zuständige Ethikkommission ein solches Vorhaben gar nicht erst genehmigen. Das Verfahren ist pietätlos. Es verzweckt den Körper eines Hirntoten, der im Grunde nur seine Organe spenden wollte. Der Zweck, d. h. die Aussicht, Tausenden Organempfängern eine Schweineniere transplantieren zu können, soll offensichtlich das Mittel heiligen. Da es bei einzelnen Hirntoten sogar möglich war, Schwangerschaften auszutragen und somit während Monaten deren Kreislauf aufrechtzuerhalten, ist es denkbar, dass die Forscher das Experiment noch ein zweites Mal verlängern möchten.
Sollte der Durchbruch mit transplantierfähigen Schweinenieren und eventuell -herzen gelingen, muss die Gesellschaft mit der Tatsache umgehen, dass in Farmen genetisch veränderte Schweine herangezüchtet werden, mit dem Zweck, ihre Organe für Xenotransplantationen zu verwenden. Das Markenzeichen ist eingetragen. Das absehbar lukrative Geschäft mit diesen Schweinen dürfte auch zum fragwürdigen Effort beigetragen haben, den die Forscher bei diesem Experiment am Hirntoten namens Maurice Miller leisteten und noch während einigen Wochen weiterführen werden. Letztlich wirft das Ganze auch einen Schatten auf das ganze Transplantationswesen, bei dem zunehmend die Organspender und der Schutz ihrer Würde unter die Räder geraten, um möglichst frische Organe transplantieren zu können.


Roland Graf
swiss-cath.ch

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Dr. Roland Graf ist Pfarrer in Unteriberg und Studen (SZ). Er hat an der Universität Augsburg in Moraltheologie promoviert und war vor seinem Theologiestudium als Chemiker HTL tätig.


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