Hauptaltar in der Kirche «Notre Dame des Otages». Die Kirche steht an dem Ort, wo die 52 Geiseln am 26. Mai 1871 während der «Blutwoche» hingerichtet wurden (Bild: LPLT/Wikimedia Commons)

Weltkirche

Frank­reich: Fünf neue Blutzeugen

Wäh­rend der Blut­wo­che 1871 in Paris star­ben viele Geist­li­che. Fünf von ihnen wer­den heute in Paris selig­ge­spro­chen: Die Patres Henri Plan­chat, Ladis­las Radi­gue, Mar­cel­lin Rouchouze, Fré­zial Tar­dieu und Poly­carpe Tuffier.

Während des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71 wurde am 1. September 1870 Kaiser Napoleon III. gefangen genommen; ein einziges Korps der französischen Armee war noch einsatzfähig. Dies sorgte bei der Bevölkerung in Paris zu Unmut. Sie stürmte die Deputiertenkammer, verkündete die Absetzung des Kaisers und rief die Republik aus.

Bis zum Abschluss des Waffenstillstandes am 28. Januar 1871 wurde die französische Hauptstadt von den Deutschen belagert. Durch einen grosszügigen Sold war der Dienst in der Nationalgarde äusserst attraktiv und so traten ihr viele Arbeiter bei.
Nach dem Abzug der Deutschen verlegte die Nationalversammlung den Regierungssitz nach Versailles. Als die Regierung die während der Belagerung gebildeten Nationalgarden auflösen wollte, kam es zu Tumulten. Das Zentralkomitee der Nationalgarde übernahm die Macht in Paris und schrieb Wahlen aus – die Linke siegte. Die Gemeindeverwaltung («Commune de Paris») begann mit sozialen, politischen und wirtschaftlichen Massnahmen zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Bürger. Die (royalistische) französische Regierung drang am 21. Mai 1871 in Paris ein. In den folgenden Kämpfen – der «Blutwoche» – starben rund 7000 Menschen.

Ein erhoffter Gefangenenaustausch zwischen Paris und Versailles – der Erzbischof von Paris, Georges Darboy, sollte gegen den Aufständischen Louis-Auguste Blanqui ausgetauscht werden – scheiterte. Erzbischof Darboy und weitere fünf Geiseln wurden am 24. Mai erschossen, zwei Tage später wurden weitere rund 50 Geiseln exekutiert – die meisten Geistliche und Polizisten. Darunter fünf Priester, die heute in der Pariser Interims-Kathedrale «Saint-Sulpice» seliggesprochen werden: Pater Henri Planchat sowie die Arnsteiner-Patres Ladislas Radigue, Marcellin Rouchouze, Frézial Tardieu und Polycarpe Tuffier.
 


«Denkt an mich – aber erst an dritter Stelle»
Henri Planchat wurde 1823 in La Roche-sur-Yon in einer tief christlichen Familie geboren. Er offenbarte früh ein «lebhaftes und bewegtes Temperament, einen hartnäckigen bis eigensinnigen Charakter, aber auch ein goldenes Herz, das von Liebe zu Gott, den Seinen und den Armen überströmte». Nach seinem Theologiestudium trat er bei den «Religieux de Saint Vincent de Paul» ein, da er sich dem Dienst an den Ärmsten widmen wollte. Zunächst arbeitete mit grossem pastoralen Erfolg im Stadtteil Grenelle, danach in einem Waisenhaus in Arras. 1863 kehrte er nach Paris zurück, in eines der bevölkerungsreichsten Viertel der Hauptstadt, den Stadtteil Charonne. Unermüdlich setzte er sich für die Ärmsten ein, besuchte Kranke, tröstete Unglückliche und half auch mit materiellen Gütern. Als der Krieg ausbrach, betätigte er sich zusätzlich als Notfallseelsorger und nahm während der Belagerung von Paris viele verwundete Soldaten auf.

In diesem armen Viertel fand der Aufstand gegen die etablierte Macht einen günstigen Nährboden. Am 28. März 1871 wurde die Pariser Kommune ausgerufen und am Gründonnerstag, dem 6. April, Pater Henri Planchat unter dem Vorwand, er verstecke Waffen, verhaftet. Aus dem Gefängnis schrieb er an seine Pfarreimitglieder:

«Was ich von euch verlange, meine lieben Freunde, ist, dass ihr in dem Moment an mich denkt, wenn ihr, nachdem ihr den lieben Gott empfangen habt, an eurem Platz knien werdet, um ihn anzubeten. Ich bitte euch nicht, in diesem Moment an mich zu denken, nicht einmal als Zweites, sondern als Drittes. […] Ihr werdet daher an erster Stelle um das Glück bitten, in den Himmel zu kommen, für euch selbst; dann werdet ihr es für eure Eltern erbitten; dann, an dritter Stelle, für mich […]1

Die vier «Picpuciens»
Am Mittwoch der Karwoche, dem 12. April 1871, verschaffte sich eine Gruppe von Nationalgardisten Einlass in das Haus der «Kongregation der Heiligsten Herzen Jesu und Mariens» (auch «Picpuciens» oder Arnsteiner-Patres genannt). Der Prior, Ladislas Radigue, kam dazu, als sie seine Zelle durchsuchten und jeden noch so kleinen Papierfetzen lasen. «Er fragte: «Was sucht ihr da drin? Wir machen keine Politik.» «Wir fürchten nicht eure Politik», antworteten die Nationalgardisten, «sondern, dass ihr die Messe lest und Skapuliere tragt. Wir wollen diesen Aberglauben nicht mehr.» Die im Haus verbliebene Gemeinschaft wurde verhaftet und am 26. Mai 1871 aus Glaubenshass ermordet. Wer waren die vier Märtyrer?2

Ladislas Radigue wurde 1823 als zweites von sechs Kindern eines normannischen Landwirtepaares geboren. Er studierte am Kolleg der «Kongregation der Heiligsten Herzen Jesu und Mariens» und trat danach in diesen Orden ein.
Er war viele Jahre in der Ausbildung der Novizen tätig und wurde 1863 zum Novizenmeister ernannt. Pater Ladislas war nicht nur ein ausgezeichneter spiritueller Leiter und guter Pädagoge, sondern auch ein grosser Friedensstifter. Im Jahr 1870 wurde er Prior des Mutterhauses. Pater Radigue war umsichtig genug, seine Mitbrüder aus Paris wegzuschicken, als die Revolte der Kommune begann, er selbst blieb aber mit einigen Verantwortlichen der Gemeinschaft dort. Nach Ausschreitungen der Kommunarden im benachbarten Nonnenkloster wurden die «Picpuciens» am 12. April 1871 festgenommen. Im Gefängnis blieb Pater Radigue bis zum Schluss um das Wohl der ihm anvertrauten Seelen bemüht.

«Ich habe erfahren, wie gütig der Herr ist und welchen Beistand er denen gibt, die er um der Herrlichkeit seines Namens willen prüft. Ich habe sogar, nachdem ich es gekostet habe, ein wenig das «Trotz all unserer Not bin ich von Trost erfüllt und ströme über von Freude» (2 Kor 7,4) des heiligen Paulus verstanden. Ist es nicht wahr, mein Vater, dass wir in den Augen des Glaubens nicht zu bedauern sind? Für mich ist es eine grosse Ehre, für die Religion Jesu Christi zu leiden. Ich betrachte mich keineswegs als politischen Gefangenen. Ich will keine andere Politik haben als die meines Erlösers Jesus» (Brief an den Pater Superior der «Picpuciens» am 3. Mai 1871).
 


Polycarpe (Jules) Tuffier (* 1807) wurde von seiner Mutter bereits als Kleinkind in die Obhut von Priestern gegeben. Der Junge war erst zwölf Jahre alt, als er eines Tages die Worte hörte: «Herr Jules Tuffier, gehen Sie ins Noviziat». Am 3. Mai 1820 kam der junge Tuffier in Paris an und legte am 14. Mai 1823 unter dem Namen Polycarpe seine Gelübde bei den «Picpuciens» ab. Nach seiner Priesterweihe war er zunächst als Gehörlosenseelsorger tätig, danach als Oberer des Collège des «Petits-Carmes» in Cahors. 1863 ernannte ihn das Generalkapitel zum Prokurator des Haupthauses. Im Gefängnis gewann er durch seine aufrichtige Ausstrahlung die Achtung vieler Mitgefangener.

«In deinem Leben bist du mehr als einmal grossen Schmerzen begegnet. Nun, die Schmerzen sind für die Seele das Feuer, das das Gold reinigt und es von allen Legierungen befreit. Für den Priester sind sie der einzige Ruhm, den er nach dem Apostel Paulus annehmen darf. Sie erinnern uns daran, dass wir die Diener eines Gottes sind, der am Kreuz gestorben ist. Wir werden hoffentlich besser aus dieser Prüfung hervorgehen und daher würdiger sein, den gekreuzigten Gott zu verkünden» (Brief an Frau Langlois vom 25. April 1871).

Marcellin Rouchouze hatte einen Bruder und eine Schwester, die wie er in die «Kongregation der Heiligsten Herzen Jesu und Mariens» eintraten. Sein Bruder Euthyme war sechzehn Jahre lang Generaloberer der Kongregation; er starb am 2. Dezember 1869 in Paris im Ruf der Heiligkeit. Seine Schwester Anna Régis leitete mit bemerkenswerter Umsicht die Gemeinschaft in La Serena in Chile, wo sie 1884 starb.
Bruder Marcellin war Lehrer in verschiedenen Einrichtungen der Kongregation, zunächst in Belgien und später in Frankreich. Im Jahr 1852 machte er sich auf den Weg zum heiligen Pfarrer von Ars. Bruder Marcellin, der von einer tiefen Demut beseelt war, hatte sich lange Zeit für unwürdig gehalten, das Priesteramt zu übernehmen. Der heilige Pfarrer sagte zu ihm: «Mein Sohn, Sie müssen Priester werden; der liebe Gott hat Pläne mit Ihnen.» So willigte er 1852 im Alter von 42 Jahren ein, die Priesterweihe zu empfangen. Mit seiner Einfachheit und seinem Enthusiasmus verstand er es, die jungen Menschen für das Lernen zu begeistern. Er zeichnete sich besonders durch seine Ruhe und Sanftheit aus. 1865 berief ihn sein Bruder nach Paris, um dort die Funktion des Generalsekretärs zu übernehmen.

«Das Gefängnis ist für mich eine wahre Schule des Schweigens. Im Übrigen wäre es falsch, sich zu beschweren. Der heilige und anbetungswürdige Wille Gottes geschehe in allem und überall» (Pater Rouchouze im Gefängnis).

Über die frühen Jahre von Pater Frézal Tardieu ist wenig bekannt. Er trat am 2. Juni 1837 in Paris in die Kongregation ein und legte am 24. April 1839 seine Gelübde ab. Bereits im Oktober des folgenden Jahres wurde er als Leiter in das Noviziat von Vaugirard geschickt und von dort am 3. November 1843 in das Noviziat von Löwen (Belgien). 1858 wurde er nach Paris zurückgerufen und 1860 in den Generalrat der Kongregation berufen.
Pater Tardieu hatte ein sehr sensibles und mitfühlendes Herz; er war in Löwen der Tröster der Trauernden, vor allem derjenigen, die den Verlust eines Vaters, einer Mutter, eines Ehepartners oder eines Kindes zu beklagen hatten. Auch für die Kinder und Armen hatte er grosses Mitgefühl. Er pflegte zu sagen, es sei besser, mit Gott zu sprechen, als über Gott zu sprechen. Er war demütig und blieb gerne im Hintergrund und sprach nur wenig.

«Hier bin ich, o mein Gott, ich komme, um deinen Willen zu tun; präge dein Gesetz in die Mitte meines Herzens und gib mir die Gnade, immer das zu tun, was dir wohlgefällig ist. […]
Gewähre mir, dass ich mich in Liebe und Dankbarkeit beständig nach dir ausstrecke und durch die Palme des Martyriums zu dir gelange, damit ich dich loben, segnen und deine Barmherzigkeit ewiglich preisen kann! Amen.»

1938 benannte die Erzdiözese Paris zum Gedenken der Märtyrer eine Pfarrei nach ihnen: «Notre-Dame-des-Otages» (Unsere Liebe Frau zu den Geiseln). Noch heute reagieren gewisse linke Gruppierungen allergisch-aggressiv, wenn es um das Gedenken an die Opfer der «Blutwoche» geht: Am 29. Mai 2021 wurde eine Prozession von Katholikinnen und Katholiken im Gedenken an die Märtyrer von «Kommunarden» mit dem Ruf «Nieder mit den Versaillais» angegriffen.

 


1 https://eglise.catholique.fr/approfondir-sa-foi/temoigner/temoins/529448-henri-planchat-chasseur-dames-2/?utm_campaign=NL%20du%2020%20avril%202023&utm_medium=email&utm_source=Mailjet
2 https://www.notredamedesotages.fr/2021/05/22/petites-vies-des-pretres-otages-de-picpus/

 

 


Rosmarie Schärer
swiss-cath.ch

E-Mail

Rosmarie Schärer studierte Theologie und Latein in Freiburg i. Ü. Nach mehreren Jahren in der Pastoral absolvierte sie eine Ausbildung zur Journalistin und arbeitete für die Schweizerische Kirchenzeitung SKZ.


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