Notre-Dame de la Garde in Marseille. (Bild: Benh LIEU SONG, CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)

Weltkirche

Frank­reich zahlt die Zeche für sei­nen Laizismus

Papst Fran­zis­kus reist am Frei­tag, 22. Sep­tem­ber 2023, für zwei Tage in die fran­zö­si­sche Mittelmeer-​Metropole Mar­seille. Die Pas­to­ral­vi­site soll Hoff­nung und Zuver­sicht für eine von schwe­ren Migra­ti­ons­pro­ble­men gezeich­nete Stadt und ihre Region vermitteln.

Marseille ist Frankreichs älteste und zugleich zweitgrösste Stadt. Sie hat einen enormen Migrationsanteil: 90 Prozent der heutigen Stadtbevölkerung haben Vorfahren, die nicht aus Frankreich stammen. Die mediterrane Mentalität der Bewohner Marseilles spiegelt sich in der Brauchtumspflege und in einer tiefen, für Grossstadtmenschen ungewöhnlich ungebrochenen Religiosität. «La Bonne Mère», die gute Mutter, nennen die Marseillais ihr Wahrzeichen «Notre-Dame de la Garde», das in 154 Metern Höhe über die Stadt wacht. Zu ihr gehen die Einwohner von Marseille, wenn sie ein Gebetsanliegen haben. Mehr als zwei Millionen Menschen jährlich besuchen die Marienkirche aus dem 19. Jahrhundert mit der vergoldeten Madonna als Turmspitze. Auch Papst Franziskus wird sich in die Schar der Pilger einreihen.

Kardinal Jean-Marc Aveline, der Erzbischof von Marseille, sagte im Hinblick auf den Besuch der Marienkirche und des Abschlussgottesdienstes im Fussballstadion von Olympique: An diesen beiden Orten sei die Stadt in ihrer ganzen Vielfalt vereint. Das sei so, als ob Franziskus jeden Marseillais zu Hause besucht.

Auf Spenden angewiesen
Seit der strikten Trennung von Staat und Kirche im Jahr 1905 erhält die Kirche im katholisch geprägten Frankreich keinerlei staatliche Zuschüsse mehr; sie ist ganz auf die Spenden von Gläubigen angewiesen. Priester und Bischöfe bekommen monatlich rund 950 Euro, von denen teils noch Unterkunft und/oder Verpflegung zu bestreiten sind.
Die Einkünfte der Diözesen sind an die Finanzierung der kirchlichen Kernaufgaben gebunden: Gottesdienst, Seelsorge, Caritas.

Die Baulast für historische, vor 1905 errichtete Kirchengebäude liegt beim Staat, der im Zuge der Französischen Revolution allen Besitz der Kirche enteignete. Allerdings vernachlässigen die Gemeinden und andere staatliche Instanzen ihrer Verpflichtung zur Instandhaltung von kirchlichen Gebäuden oft sträflich. Ein Grund dafür sind finanzielle Schwierigkeiten, vor allem in ländlichen Regionen, sowie Bevölkerungsschwund.

Der Staat stellt die historischen Kirchengebäude, auch Kathedralen, den Pfarreien und Bischöfen kostenlos zur Verfügung. Derzeit sind von rund 50 000 religiösen Gebäuden in Frankreich, die dem Gottesdienst dienen – darunter 42 000 katholische – nur gut 10 000 denkmalgeschützt.

Risse in den Mauern und einstürzende Türme
Besonders die wiederholten Dürreperioden greifen die religiösen Gebäude an: Zuletzt mussten mehrere Kirchen ihre Türen wegen Rissen im Mauerwerk schliessen, wie die Zeitung «La Croix» berichtet. Experten sehen die Ursache dafür im Rekord-Regenmangel des Sommers 2022.
 


So ordnete beispielsweise der Bürgermeister von Tourrette-Levens Ende März aus Sicherheitsgründen die Schliessung der Kirche Sainte-Rosalie aus dem 17. Jahrhundert an; dank einer Stabilisierung und eines Gerüsts ist das Mittelschiff der Kirche zwar inzwischen wieder geöffnet, die Seitenschiffe aber bleiben weiter gesperrt.

In Saramon, einem kleinen Dorf im ländlichen Departement Gers westlich von Toulouse, führte die Trockenheit Mitte März vermutlich zum Einsturz des mittelalterlichen Turms der Kirche Saint-Pierre. In den frühen Morgenstunden brach er binnen Sekunden zusammen – zum Glück gab es keine Todesopfer.

Grössere Probleme gibt es mit Gebäuden aus dem 19. Jahrhundert. Damals mussten Kirchen vergleichsweise schnell gebaut werden, um die Zerstörungen während der Französischen Revolution und das Bevölkerungswachstum in den Städten aufzufangen. Fehlende Fundamente und wenig Qualität bei den Bau-Materialien bedeuten heute weniger Stabilität.

Schwer vorzustellen, woher all das Geld für kostspielige Bodenanalysen und Renovierungen herkommen soll. Hinzu kommen noch Inflation und steigende Preise für Baumaterial. In der 370-Einwohner-Gemeinde Nuzejouls im Departement Lot etwa fallen Ziegel der Dorfkirche aus dem 12. Jahrhundert herab. Stadträtin Brigitte Dessertaine befürchtet, dass sich der Lehmboden unterhalb der Kapellen während der Dürre 2022 zusammengezogen hat. Ein Antrag auf Kostenerstattung eines Bodengutachtens infolge von Dürreschäden ist zwar gestellt. Die Antwort der Behörden steht allerdings seit über einem halben Jahr aus.
«Wenn ich die Kirche wieder öffne und das Gewölbe während der Messe einstürzt, dann lande ich ganz sicher wegen Totschlags im nächstgelegenen Gefängnis», sagt die Stadträtin. Im knapp 100 Kilometer entfernten Pompignan (Tarn-et-Garonne) war 1991 genau das geschehen; sieben Menschen starben beim Einsturz einer Kirche.

Präsident Macrons Einsatz für die Kirchen
Pünktlich vor dem Papstbesuch in Marseille am kommenden Wochenende kündigte Staatspräsident Emmanuel Macron eine umfangreiche Spendenkampagne für den Erhalt maroder Kirchengebäude in Frankreich an. Die meisten der mehreren tausend als baufällig geltenden Gotteshäuser gehörten kleinen Gemeinden, die kein Geld für eine Sanierung hätten. Ziel sei, binnen vier Jahren 200 Millionen Euro für diesen Zweck zu sammeln, so Macron.

Frankreichs Präsident folgt damit seinem eigenen Zeitplan. Bei einem Besuch am Mont-Saint-Michel Anfang Juni 2023 hatte er angekündigt, wesentlich mehr Dorfkirchen als bisher als historische Denkmäler einzustufen. Denn damit besteht die Möglichkeit, von einem staatlichen Zuschuss zu profitieren, der bis zu 50 Prozent des Renovierungsbetrags ausmachen kann.
 


Immer wieder hat Macron das Kulturerbe Frankreichs zu einer Priorität seiner Kulturpolitik erklärt. Sein Umfeld erinnert an einen 350 Millionen teuren Sanierungsplan für die Restaurierung von Denkmälern und Kathedralen; an die 2017 ins Leben gerufene Kulturerbe-Lotterie, mit der gefährdete Monumente unterstützt werden; und an seinen persönlichen Einsatz zum Wiederaufbau nach dem Grossbrand von Notre-Dame. Diesen Elan in der Bevölkerung gelte es auch für die Restaurierung von Dorfkirchen weiterzutragen.
Der Senat hat zudem 2022 eine systematische landesweite Bestandsaufnahme und Kartierung religiöser Gebäude bis 2030 verlangt. Zudem soll die Frage alternativer, kirchennaher Nutzungen von Gebäuden mehr Perspektive bekommen, auch wirtschaftlich.
Und auch Frankreichs Bischöfe wollen noch im September den Startschuss für eine eigene Initiative geben. Alle Bistümer Frankreichs sollen bis Anfang 2024 die Verzeichnisse, Kataloge, Inventare ihrer Fachkommissionen auf nationaler Ebene zusammenführen und vereinheitlichen.

Eine Ausnahme bilden die Departemente Elsass und Mosel. Diese gehörten 1905 als «Reichsland Elsass-Lothringen» zu Deutschland, deshalb besitzt das unter Napoleon I. abgeschlossene Konkordat von 1801 auch nach der Wiederangliederung an Frankreich 1918 weiter Geltung. Dort bezahlt der Staat die Gehälter der Pfarrer.
 

Offizielle Zahlen zur Anzahl Katholikinnen und Katholiken schwanken beträchtlich. Gemäss einer im Jahr 2020 erfolgten Umfrage erklärten sich nur noch gerade 25 Prozent der 18 bis 59-jährigen als Katholiken. Im Jahr 2008 waren es noch 43 Prozent.


KNA/Redaktion


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