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Hintergrundbericht

Frau Driessen-​Reding: Auf einem Auge blind

Am 8. Februar 2023 gab die Jus­tiz­di­rek­tion des Kan­tons Zürich die aktu­el­len pro­vi­so­ri­schen Bevöl­ke­rungs­zah­len bekannt. Pro­vi­so­risch des­halb, weil bis zur defi­ni­ti­ven Daten­va­li­die­rung noch die 30-​tägige Rekurs­frist abge­war­tet wer­den muss. So lange mochte die Römisch-​katholische Kör­per­schaft des Kan­tons Zürich nicht zuwar­ten. Noch am glei­chen Tag rea­gierte sie auf die schwin­den­den Mit­glie­der­zah­len der Evangelisch-​reformierten und Römisch-​katholischen Kir­che – mit einer Fehldiagnose.

Der Medienmitteilung der Zürcher Justizdirektion lässt sich Interessantes entnehmen: Ende 2022 wohnten rund 1,58 Mio. Menschen im Kanton Zürich. Damit nahm die Bevölkerung im vergangenen Jahr um 1 % zu, obwohl die Zahl der Geburten im gleichen Zeitraum stark zurückging (40 – 50 %). Dies bedeutet wiederum, dass sich die Zunahme von ca. 15 000 Personen (in etwa die Einwohnerzahl von Stäfa) primär der Zuwanderung von Ausländern verdankt. In dieser Zahl sind die Flüchtlinge aus der Ukraine nicht enthalten, weil Personen mit Schutzstatus S erst ab einer Aufenthaltsdauer von 12 Monaten zur zivilrechtlichen Bevölkerung gezählt werden.

Doch nicht diese Zahlen, so aufschlussreich sie sind, stehen hier im Fokus. Von besonderem Interesse sind vorliegend primär die Mitgliederzahlen der Evangelisch-reformierten und Römisch-katholischen Kirche: Gerade noch 750 000 Personen, das sind weniger als die Hälfte der Einwohnerinnen und Einwohner, gehören einer der beiden grossen christlichen Konfessionen an. Die Evangelisch-Reformierten machen 24,5 % der Gesamtbevölkerung aus, die Römisch-Katholischen 22,8 %. Franziska Driessen-Reding, Synodalratspräsidentin der Römisch-katholischen Körperschaft, die sich ironiefrei gerne als «Oberste Katholikin im Kanton Zürich» apostrophieren lässt, führte den Mitgliederschwund zunächst generell auf die konfessionsübergreifende Säkularisierung und die Verdunstung der institutionellen Bindung zurück, sattelte dann aber stracks ihr überstrapaziertes Lieblings-Steckenpferd: Die Hauptschuld trage die Verschleppung der Aufarbeitung der (klerikalen) Missbräuche – worunter die Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche schwer zu leiden habe.

Auf den ersten Blick ein scheinbar einleuchtender Befund. Aber eben nur scheinbar. Denn Driessen-Reding verschliesst ihre Augen vor der Tatsache, weshalb der Mitgliederschwund der Evangelisch-reformierten Kirche prozentual höher war (2,7 %) als jener der Römisch-katholischen Kirche (2 %). Synodalratspräsidentin Driessen-Reding & Co. müssen sich die Frage gefallen lassen, warum sich die Abwärtsspirale bei der Evangelisch-reformierten Kirche seit Jahren schneller dreht, obwohl letztere vom chronisch behaupteten sog. «Reformstau» als vermeintlicher Primärursache aufgrund ihres Kirchenverständnisses per definitionem nicht betroffen ist. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) teilt das Schicksal ihrer protestantischen Glaubensgeschwister in der Schweiz. Die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus bezeichnete die Entwicklung der jüngst veröffentlichten Mitgliederzahlen als «bedrückend». In der Tat: Im vergangenen Jahr sackte die Zahl der Mitglieder um 575 000 Gläubige ab. Noch 19,15 Millionen bekennen sich zur Evangelischen Kirche in Deutschland. Dies bedeutet einen Schwund von 2,9 % gegenüber 2,6 % im Vorjahr (2021).

Zurück zum Kanton Zürich: Neben der Evangelisch-reformierten und Römisch-katholischen Kirche ist auch die Christkatholische Kirche vom Staat öffentlich-rechtlich anerkannt. Diese hatte sich im Gefolge des I. Vatikanischen Konzils von der Katholischen Kirche abgespalten. Gemäss Auskunft des statistischen Amtes der Justizdirektion beträgt die Zahl ihrer Gläubigen aktuell noch 2018 Personen (= 0,128 % der Gesamtbevölkerung). Den Zölibat kennt sie nicht, der Zugang zum Priestertum ist unabhängig vom Beziehungsstatus möglich, der «Ehe für alle» erteilt sie den kirchlichen Segen. Kurz: Die «Reformkatholiken» müssten sich da bestens aufgehoben fühlen, sind doch ihre Forderungen in der Christkatholischen Kirche allesamt erfüllt. Dennoch bleibt der Zustrom aus. Ihr öffentlich-rechtlicher Status lässt sich angesichts der sich der Promillegrenze nähernden Mitgliederzahl immer weniger rechtfertigen.

In einem Leserbrief des Pfarrblatts «forum» hat Daniel Erni aus Stäfa eine Ursachenforschung des Mitgliederrückgangs vorgenommen, welche der Realität weit eher näher kommt als der behauptete «Reformstau». Er vermutet, dass das ewige Gerede über «Modernisierung, Anpassung an den Zeitgeist und das Verteufeln alles Alten und Traditionellen» viele Gläubige aus der Kirche vertreibt. Synodalratspräsidentin Driessen-Reding und ihr überdimensionierter PR-Apparat unter der Ägide des auf systematische Nestbeschmutzerei abonnierten Simon Spengler dürfen sich da ganz besonders angesprochen fühlen.


Niklaus Herzog
swiss-cath.ch

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Lic. iur. et theol. Niklaus Herzog studierte Theologie und Jurisprudenz in Freiburg i. Ü., Münster und Rom.


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Bemerkungen :

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    Martin W. Dreher 09.03.2023 um 00:18

    Zum sogenanten "Zeitgeist", dem viele glauben nachrennen zu müssen, sagt Altmeister Goethe im "Faust":


    "Was ihr den Geist der Zeiten heisst, das ist im Grund der Herren eigner Geist, in dem die Zeiten sich bespiegeln."


    (Goethe hat noch im generischen Maskulinum geschrieben, d. h. die Frauen sind inkludiert. Diese Aussage führt hoffentlich nicht zu einem feministschen Aufschrei ...)

  • user
    Robert Wenger 08.03.2023 um 21:00
    Dass der eigentlich erwartbare Zustrom zur Christkatholischen Kirche ausfällt, ist tatsächlich mehr als erstaunlich. Nicht nur die hier genannten Forderungen der "Reformkatholiken" sind nämlich hier erfüllt - auch das zentrale Anliegen des Frauenpriestertums ist Bestandteil der Christkatholischen Kirchenlehre!
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    Heinz Meier 08.03.2023 um 11:44
    Auf den durchschnittlichen Zeitgenossen wirken viele (nicht alle) laute, mitunter wild gewordene Vertreter der kirchlichen Institutionen mit ihren Konflikten schon länger befremdend und schwer verständlich. Die vorgeblich alleinseligmachenden Positionen für die reellen Probleme ermüden und geben den Eindruck, überholt und irrelevant und - am schlimmsten - kraftlos zu sein. Ob mehr der Tradition oder der Angleichung an die Zeit verpflichtet kommt dabei aufs selbe hinaus. Mein Nachbar, getaufter Christ und bekehrter Zeuge Jehovas, meinte gestern, das meiste an den Kirchen sei Show und Kampf ums Steuergeld. Er hat nicht unrecht. Denn das beweihräucherte Hersagen des Katechismus ebenso wie das angepasste Herumlaufen mit Regenbogenfahnen reicht nicht aus, um neues Leben zu schaffen. Man sollte darum Statistiken nicht mit Panik oder Satire, auch nicht apologetischer Natur, kommentieren. Bekanntlich wurde dem König David die Volkszählung als Sünde angerechnet. Der 20. Psalm spricht eine andere Sprache: "Diese denken an Wagen und jene an Rosse, wir aber erinnern uns an den Namen des Herrn, unseres Gottes."
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      Daniel Ric 09.03.2023 um 19:01
      Sicherlich ist es falsch, einzig und allein auf Zahlen zu blicken. Doch glaube ich, dass gerade viele ideologische Diskussionen gelassener geführt würden, würde man sich stärker auf Zahlen fokussieren anstatt Emotionen sprechen zu lassen. Die reformierte Kirche in der Schweiz geht unweigerlich auf den Niedergang zu, obwohl viele Reformen, welche nun in der Katholischen Kirche verlangt werden, dort umgesetzt sind. Auch die Katholische Kirche in den sich selbst als progressiv bezeichnenden Diözesen Basel und St.Gallen erlebt eine Erosion der Mitgliederzahlen. Das sind Fakten, denen man nicht widersprechen kann. Wenn wir also der Kirche neue Impulse geben wollen, sollten wir dies aufgrund aller verfügbaren Informationen tun. Jene, die behaupten, dass die Kirche mit Reformen, welche bereits von den anderen beiden Landeskirchen umgesetzt wurden, neu aufblühen wird, widersprechen den Fakten.
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    Cyrill 08.03.2023 um 08:55
    Ich frage mich schon lange wie die Reformorientierten Katholiken glauben können, dass Anpassungen an den Zeitgeist zu einem Mitgliederwachstum führen sollen....
    Das genaue Gegenteil wird passieren, die Kirche des synodalen Weges wird zu einer beliebigen NGO. Eine dem Zeitgeist angepasste Organisation, notabene mit guten Pfründen.
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    Claudio 07.03.2023 um 20:06
    Der Hl. Papst Pius sagte treffend: der Modernismus und Liberalismus ist das Sammelbecken aller Irrtümer und somit allen Übels!