Benedikintinerabtei Einsiedeln. (Bild: Kecko/Wikimedia Commons)

Kirche Schweiz

Frei­äm­ter Fuss­wall­fahrt – 50 Kilo­me­ter für eine Eucharistie

Am letz­ten Wochen­ende im April fin­det tra­di­tio­nel­ler­weise die Frei­äm­ter Fuss­wall­fahrt statt, die vom Aar­gauer Muri nach Ein­sie­deln führt. Auch die­ses Jahr ver­sam­mel­ten sich rund 80 Pil­ge­rin­nen und Pil­ger um 2.30 Uhr vor der Klos­ter­kir­che in Muri, um zur Schwar­zen Madonna zu gelangen.

Seit dem Jahre 1950 findet diese Wallfahrt statt, die damals von der katholischen Jungmannschaft eingeführt wurde. Ziemlich genau 50 Kilometer und mehr als 1100 Höhenmeter sind von den Gläubigen zu absolvieren. Von Muri nach Zug wird der Rosenkranz gebetet – in der Nacht ein ganz spezielles Erlebnis. Nach dem Morgenessen in Zug geht es dann weiter nach Einsiedeln, wo die Pilger um ca. 15.30 Uhr ankommen. Um 16.00 Uhr findet die Pilgermesse statt, die dieses Jahr von Benedikt Staubli, einem Benediktinerpater, der aus Muri stammt und ebenfalls von Muri nach Einsiedeln gepilgert ist, gefeiert wurde. Es ist äusserst beeindruckend, dass die Murianer diese Wallfahrt seit mehr als 70 Jahren pflegen.

Das Pilgern ist heute eine Mode geworden, bei dem bewusst oder unbewusst oft verdrängt wird, was dessen Sinn und Zweck ausmacht. Die gleichen Schlagworte, die heute an vielen Orten die Theologie beherrschen, vernebeln auch bei Wallfahrten die christliche Grundlage der körperlichen und spirituellen Anstrengungen, die unternommen werden, um einen Wallfahrtsort zu erreichen. Unter schönklingenden Leerformeln wie «Der Weg ist das Ziel» oder «Ich bin dann mal weg» wird das Wichtigste des Christseins verdunkelt – nämlich das Ziel des christlichen Lebens. All unsere Anstrengungen dienen dem Verlangen, Gott näherzukommen und unser Leben zu heiligen. Es spielt daher eine wesentliche Rolle, ob ich 50 Kilometer von Muri nach Einsiedeln oder 50 Kilometer von Muri in eine andere Gemeinde marschiere. Genauso spielt es eine Rolle, ob ich diese 50 Kilometer als rein sportliche Herausforderung interpretiere oder mich auf diesem Weg von Lasten befreien möchte, die mich im Alltag hindern, ein wahrer Christ zu sein.

Bei einer so langen Fusswallfahrt hat man viel Zeit, sich verschiedenen Fragen zu widmen und diese allein oder in Gesprächen zu erörtern. Eine Frage, die wohl alle engagierten Gläubigen beschäftigt, ist diejenige nach der Zukunft der Kirche. Welche pastoralen Konzepte braucht es, um die nötige Neuevangelisierung einzuleiten? Pater Benedikt erwähnte in seiner Predigt in der Pilgermesse drei Punkte, die wohl die treffendste Antwort auf die Nöte der jetzigen Zeit geben.

Zuerst merkte er an, dass wir 50 Kilometer für eine Eucharistie gewandert sind. Es war also nicht einfach ein Weg, einfach eine Wanderung, sondern wir haben den Weg auf uns genommen, um bei der Schwarzen Madonna in Einsiedeln die Eucharistie zu feiern. Die Eucharistie ist das Zentrum des christlichen Lebens. In der Zukunft werden die Gläubigen bereit sein müssen, auch Strapazen auf sich zu nehmen, um die Eucharistie zu feiern. Die Zeiten der Volkskirche sind vorbei. Der einzelne Katholik wird aktiver sein müssen, um seinen Glauben zu praktizieren.

Zweitens müssen wir als Christinnen und Christen hinausgehen, um das Evangelium zu verkünden. Die vielen Sitzungen und bürokratischen Arbeiten, die das heutige pastorale Leben dominieren, mehren den Glauben nicht. Pater Benedikt brachte es auf den Punkt, indem er sagte, dass niemand vor dem Computer vom Christentum überzeugt wird. Natürlich braucht es in der Seelsorge auch die moderne Technologie, aber wenn der seelsorgerliche Alltag nur noch in den vier Wänden des eigenen Büros stattfindet, läuft etwas massiv falsch.

Per aspera ad astra
Der letzte Punkt ist vermutlich der wichtigste, auch wenn er oft der politischen Korrektheit zum Opfer fällt. Auf die verschiedenen Schmerzen angesprochen, die wohl jeder Pilger nach zwölf Stunden Wandern spürte, sagte Pater Benedikt, dass uns bewusst werden müsse, dass die Verbreitung des Evangeliums auch mit Leid und Schmerzen verbunden ist. Es ist falsch zu glauben, dass es keine physische und psychische Überwindung benötigt, das Christsein zu leben. Dies steht in starkem Kontrast zu den Aussagen einiger Theologen, die den Menschen einen steinlosen und ebenen Weg vorgaukeln, mainstreamkonform empfehlen, einfach mal «die Seele baumeln zu lassen». Die Fülle des Lebens ist nicht vom Sofa aus erreichbar, sondern nur durch den Weg mit Gott, der uns durch Höhen und Tiefen führt oder, wie das lateinische Sprichwort sagt: «per aspera ad astra» – sinngemäss: «Durch die Nacht zum Licht». Was uns weitergehen lässt, ist die Aussicht auf das Ziel. Auf der Freiämter Fusswallfahrt ist es die Aussicht vom Chatzenstrick, dem letzten Pass des Pilgerweges, auf das schöne Einsiedeln, welche die müden Pilgerinnen und Pilger motiviert, die letzten Kilometer zu gehen. Im Glaubensleben ist es die Aussicht darauf, bei Gott das Leben in Fülle zu haben – jetzt und in Ewigkeit –, die uns die Kraft verleiht, weiterzugehen.
Im Rosenkranz, der auf dem Pilgerweg bis zum Sonnenaufgang vier Stunden gebetet wurde, werden diese beiden für die Gläubigen wichtigsten Zeitpunkte immer wieder in Erinnerung gerufen. Die Muttergottes bitten wir, für uns im Jetzt und in der Stunde unseres Eingangs in die Ewigkeit Fürsprache zu halten. Der Grund für die Fruchtlosigkeit vieler pastoraler Bemühungen liegt daran, dass Pläne und Konzepte geschmiedet werden, die weder der Gegenwart noch der Ewigkeit dienen, sondern vornehmlich der Eitelkeit und dem Machtwillen ihrer Schöpfer. Man macht sich auf einen Weg, ohne das Ziel zu definieren und verliert dadurch die Freude am Weg und am Ziel zugleich. Der Zustand in unseren deutschsprachigen Diözesen wird mit den Worten des Abendliedes, das von Matthias Claudius vor rund 250 Jahren verfasst wurde, wunderbar auf den Punkt gebracht:

Wir stolze Menschenkinder
Sind eitel arme Sünder,
Und wissen gar nicht viel;
Wir spinnen Luftgespinste,
Und suchen viele Künste,
Und kommen weiter von dem Ziel.

Wenn wir eine Neuevangelisierung in der Schweiz einleiten wollen, sind die Freiämter Pilgerinnen und Pilger eine vorzügliche Inspirationsquelle. 50 Kilometer für eine Eucharistie, 50 Kilometer für die Muttergottes.


Daniel Ric


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  • user
    Marianne Baldinger-Lang 07.05.2023 um 08:37
    Vergelts Gott für diesen wunderbaren Bericht 🙏❤️