Anders als von Kardinal Kurt Koch – der diesen Prozess gestartet hat – gewünscht, dient jedoch die Bildung dieser Pastoralräume leider nicht dazu, Ressourcen für eine Neuevangelisierung freizumachen, sondern um das sakramentale Leben auf ein Minimum runterzufahren. Nutzniesser dieser Entwicklung sind Angestellte in der Administration, Jugend- und Sozialarbeiter sowie externe Bau-, Finanz- und Kommunikationsberater, die es in Bischof Felix’ Kirche 2.0 braucht, um davon abzulenken, dass man gar nicht mehr versucht, das Kerngeschäft der Kirche – die Seelsorge und Spendung der Sakramente – den Gläubigen anzubieten.
Die Schaffung dieser neuen Pensen wird mit dermassen diffus-schwammigen Stellenbeschrieben begründet, dass es nicht erstaunt, wie wenig Mehrwert für die Kirche und Gesellschaft daraus entstanden ist. Weder sind die Kirchgemeinden heute organisatorisch besser aufgestellt als früher, noch sind irgendwelche Früchte in der Diakonie oder Jugendförderung sichtbar. Sichtbarer sind hingegen die negativen Folgen dieser Akzentverschiebung: In den Liturgieplänen werden Eucharistiefeiern durch Wortgottesdienste ersetzt und der Handlungsspielraum der Priester massiv eingeschränkt. So haben die wenigsten Pastoralräume fixe Zeiten, zu denen die Beichte angeboten wird. Auch finden in den Altersheimen und Krankenhäusern, die auf dem geografischen Gebiet der jeweiligen Pastoralräume liegen, meistens keine Heiligen Messen mehr statt. Gerade für die vulnerabelsten Menschen, welche die seelische Stärkung durch Sakramente wie die Eucharistie, Beichte und Krankensalbung benötigen, werden unnötige Hürden aufgebaut, um diese zu empfangen. Während es in Ländern, in denen die Kirche finanziell viel ärmer ist als in der Schweiz, zur Normalität gehört, dass auf Wunsch innert Stunden eine Krankensalbung erfolgt, muss man in den hiesigen Altersheimen und Spitälern teilweise tagelang darauf warten, was angesichts der Tatsache, dass sich der Tod nicht an Zeitpläne hält, eine Tragödie darstellt. Katholiken zahlen ihr ganzes Leben Kirchensteuern, damit am Ende ihres Lebens nicht einmal die fundamentalsten Seelsorgedienste gewährleistet sind.
Entkernung der Kirche
Wer nun denkt, diese Entkernung der Kirche treffe nur die Seelsorge, täuscht sich. Die schwindenden Steuereinnahmen rufen die Landeskirchen-Funktionäre auf den Plan, weitere Gebiete zu suchen, die sich aushöhlen lassen, um Gelder einzusparen, damit die in den letzten 30 Jahren aufgeblähte Kirchenbürokratie weiter finanziert werden kann. Das jüngste Opfer ist der kirchliche Regionaljournalismus. Früher besassen die meisten Pfarreien ihr eigenes Mitteilungsblatt, das im Laufe der letzten Jahrzehnte durch kantonale Blätter ersetzt wurde. Im Kanton Aargau entstand beispielsweise Mitte der 90er-Jahre «Horizonte», ein zivilrechtlich organisierter Verein, der das gleichnamige Pfarrblatt herausbringt, in dem vom Verein angestellte Journalistinnen und Journalisten für den Mantelteil verantwortlich sind, während die Pfarreisekretariate den Inhalt der Pfarreiseiten füllen. Grundsätzlich war die Gründung von «Horizonte» wie auch von anderen kantonalen Pfarrblättern keine schlechte Idee, da sie der zunehmenden Mobilität der Kirchgänger Rechnung trug. Mit einem regionalen Pfarrblatt lässt sich das Gottesdienstangebot in den Nachbarspfarreien besser überblicken. Die Zeiten, in denen der einzelne Christ von der Wiege bis zur Bahre sein ganzes religiöses Leben in der Ortspfarrei verbringt, waren schon vor 30 Jahren vorbei. Der grosse Nachteil des Zusammenschlusses war die Schwierigkeit, den Mantelteil journalistisch so zu füllen, dass er das Interesse der Leserschaft weckt. Da der Grossteil der katholischen Steuerzahler passiv ist und nicht am Pfarreileben teilnimmt, ist das Publikationsorgan der Kirchgemeinde bzw. Pfarrei meist die einzige Möglichkeit, um nicht praktizierende Mitglieder zu erreichen. Hier steht jedes Redaktionsteam vor zwei Möglichkeiten: Entweder man versucht, möglichst viele religiöse Themen zu besetzen, um mit den Texten Individuen, die bisher distanziert waren, für ein aktiveres Glaubensleben zu begeistern, oder man senkt die Hemmschwelle und schreibt über viel Weltliches, um ein möglichst breites Publikum anzusprechen. Dass sich alle kantonalen Pfarrblätter für die zweite Alternative entschieden haben, ist nicht erstaunlich angesichts der Tatsache, dass die gesamte Pastoral im Bistum Basel sich weigert, eine Neuevangelisierung anzustreben. Man wählte den Weg des geringsten Widerstands und wurde zu einem Medium, das im Mantelteil vor allem mainstream-gängige Allerweltsthemen verbreitet.
Was den kirchlichen Medienverantwortlichen in den letzten Jahren zum Verhängnis wurde, ist die Flut an Informationen, die durch das digitale Zeitalter den Menschen zugänglich wird. Mit möglichst unverbindlich-oberflächlichen Artikeln, in denen viele lehramtliche Fragen dem Zeitgeist geopfert werden, schafft man es nicht, sich von anderen journalistischen Erzeugnissen abzusetzen. Weshalb sollte jemand ein kantonales Pfarrblatt lesen, wenn er mit einigen Klicks im Internet auf Artikel stösst, die das gleiche Weltbild propagieren, und dies erst noch um einiges professioneller? Auch die säkularen Tageszeitungen leiden unter diesem Trend, können diese jedoch (noch) auf die über mehrere Jahrzehnte aufgebaute Reputation vertrauen, die den totalen Zusammenbruch der Leserschaft verhindert. Es ist immer noch angesagt und «in», die NZZ, den «Tagesanzeiger» oder die «Weltwoche» zu lesen. Diese Attraktivität besitzen die regionalen Kirchenblätter nicht. So landen Woche für Woche Zehntausende von Pfarrblättern ungelesen im Altpapier: finanziell und ökologisch gleichermassen unsinnig.
Das unausgesprochene Argument für die sich sonst so umweltfreundlich gebenden Landeskirchen, weiterhin diesen Ressourcenverschleiss zu betreiben, ist die Hoffnung, dass die passiven Kirchenmitglieder weiterhin brav ihre Steuern zahlen, wenn sie zumindest einmal in der Woche ein Produkt ihrer finanziellen Zuwendungen in den Händen halten. Die zunehmenden Austrittsraten in den letzten Jahren zeigen, dass sich diese Annahme als Trugschluss erwiesen hat. Jeder Neuanfang in der Schweizer Kirche, sei es im Bereich der Seelsorge, der Diakonie, der Finanzen oder des kirchlichen Journalismus, muss den Fakt akzeptieren, dass diejenigen Christen, die nicht praktizierend sind, der Kirche langfristig nicht erhalten bleiben werden. Dem Kulturprotestantismus, der im 19. und in den ersten drei Vierteln des 20. Jahrhunderts die Mitgliederzahlen der reformierten Kirche stabil hielt, wird sich im 21. Jahrhundert kein Kulturkatholizismus zugesellen, bei dem Menschen zwar nicht an die katholische Lehre glauben, aber der Institution Kirche weiterhin brav ihre Steuern entrichten. Die hiesige Kirche wird in den nächsten Jahren vorerst massiv schrumpfen, was die lehramtstreuen Katholikinnen und Katholiken nicht entmutigen darf, sondern vielmehr anspornen soll, das Evangelium durch Wort und Tat neu zu verkünden.
Ehrliche Geister in der Kirche haben diesen Tod der Volkskirche seit längerem erkannt. Im Aargau waren es zwei Redaktoren des kantonalen Pfarrblatts «Horizonte», die einen Ausbruch aus dem volkskirchlichen Korsett suchten. An erster Stelle muss hier der ehemalige Chefredaktor Andreas C. Müller genannt werden. Der Tatsache bewusst, dass die ganze Landeskirche, die sich um ihren Präsidenten Luc Humbel so vermeintlich fortschrittlich in lehramtlichen Fragen gibt, in digitalen Fragen aber in vorkonziliaren Zeiten steckt, förderte er den Einsatz der sozialen Medien und trieb eine Modernisierung von «Horizonte» voran. Müller war klar, dass im Informatikzeitalter katholische Medien ihren Benutzern einfach und schnell die notwendigen Informationen zur Verfügung stellen müssen. Als Chefredaktor führte er auf der Webseite der «Horizonte» eine digitale Karte des Kantons Aargau ein, auf der man die jeweiligen pastoralen Angebote der Pfarreien abrufen kann. Ausserdem streamte er in der Corona-Pandemie Gottesdienste, was für das Bistum Basel revolutionär war.
Journalistisch hat er eine Tugend vertreten, die in den Kreisen der deutschsprachigen Kirche wenig geliebt wird. Anstatt alle Schuld für den pastoralen Niedergang dem fernen Rom in die Schuhe zu schieben, setzte er sich kritisch mit der Landeskirche und dem Bistum auseinander. In Christian Breitschmid fand er einen kongenialen Mitredaktor, der sich ebenfalls weigerte, laue und nichtssagende Texte zu schreiben, um der Landeskirche und dem Bistum nicht auf die Füsse zu treten. Beide sind heute nicht mehr Redaktoren von «Horizonte». Alle, die glauben, dass in der Schweizer Kirche durch das duale System eine bessere Machtteilung vorhanden sei als in anderen Ortskirchen, sollten sich vom Beispiel «Horizonte» eines Besseren belehren lassen. Was seit dem Zweiten Vatikanum in allen Erdteilen erlaubt ist, nämlich seine eigene Meinung zur Kirche zu publizieren, ist im Kanton Aargau bei einem zivilrechtlich organisierten Verein, der von durch Laien getragenen Kirchgemeinden finanziert wird, unerwünscht. Man darf zwar lehramtsabweichende Artikel zur Frauenordination und zum Zölibat, zur Sexualmoral oder zum Priestertum schreiben, aber bloss nicht die diözesanen und landeskirchlichen Strukturen und die darin wirkenden Personen kritisieren. Seit den Weggängen von Müller und Breitschmid wurde das Redaktionsteam auf drei Personen reduziert. Man opferte den journalistischen Inhalt, um Gelder einzusparen, die man auf der anderen Seite in vielfacher Höhe für ein wenig brauchbares neues Redaktionssystem ausgab. Diese Entwicklung ist analog zu den Pastoralräumen, wo man den Kern der Kirche, die Seelsorge und die Spendung der Sakramente, wegreduziert, um Gelder in die Bürokratie zu schleusen. Leidtragende sind hier jedoch nicht die an den Rand gedrängten Priester, sondern die Redaktoren. Mit Eva Meienberg und Marie-Christine Andres Schürch verfügt Horizonte immer noch über Köpfe, die fern von der landeskirchlichen Ideologie über Aktivitäten der Ortskirche schreiben und damit das Interesse der gläubigen Leser wecken könnten. Beide werden aber – genau gleich wie die Priester in den Pastoralräumen (siehe Buch von Pfarrer Andreas Gschwind) – zu «Giesskannenjournalistinnen» umfunktioniert, die den ganzen Kanton journalistisch abdecken müssen, anstatt die Zeit zu haben, vertieft Gedanken zur Kirche entwickeln und äussern zu können.
Potemkinsche Kirche
Der letzte Schritt dieser verhängnisvollen Entwicklung erfolgt nächstes Jahr. Dann fusionieren das Basler Pfarrblatt «Kirche heute» und «Horizonte» zu einem neuen Regionalblatt. Kirchlich haben die beiden Halbkantone Basels und der Aargau ausser der Tatsache, dass sie seit Jahren die höchsten Austrittsraten in der Schweizer Kirche zu verzeichnen haben, nichts gemein. Diese Fusion dient einzig und allein dem Zweck, Kosten zu reduzieren und mehr Kontrolle über den regionalen Journalismus auszuüben. Die Möglichkeit der einzelnen Pfarreien, über ihre eigenen Anlässe zu berichten, wird weiter eingeschränkt, genauso wie die kritische Auseinandersetzung mit den Fehlentwicklungen im Bistum und den jeweiligen Landeskirchen. Wie die Pastoralräume und die Einsetzung von kirchenrechtswidrigen Co-Leitungen eines Gemeindeleiters mit einem leitenden Priester das ganze Bistum zu einer grossen Pfarrei mit Bischof Felix als Bischof und Pfarrer in Personalunion verwursten, wird nun der regionale Journalismus zu einer zentralen Verkündigungsmaschinerie der jetzigen kirchlichen Obrigkeit. Dies stellt nicht nur eine totale Pervertierung des dualen Systems dar, sondern auch des Zweiten Vatikanums, das gerade die Laien aufforderte, mündig den Glauben in der Gesellschaft zu vertreten. Zumindest trauen die Verantwortlichen von «Kirche heute» und «Horizonte» ihren Lesern zu, dem neuen Pfarrblatt einen Namen zu geben. Im Frühjahr soll dieser durch eine Umfrage ermittelt werden. Persönlich plädiere ich für den Namen «Potemkinsche Kirche». Dieses neue Regionalblatt stellt wie die Pastoralräume im Bistum Basel nur eine blosse Kulisse dessen dar, was nach dem Willen Christi eine lebendige Kirche sein sollte.
Kommentare und Antworten
Bemerkungen :
So habe ich nicht gezögert mit WEF und Prof. Klaus Schwab an einer neuen Welt zu mitarbeiten, und da heisst dem Motto folgen: Vorwärts immer vorwärts. Wer nicht mitspringt, die neuesten Entwicklungen der Menschheit mitgestaltet, geht unter die Räder. Das ist die zentrale Botschaft von Klaus Schwab, die er wie ein Mantra immer und überall wiederholt.
Aus dieser Perspektive ist es mir und auch den klaren Köpfen des WEFs klar, dass auch die Kirchen sich trennen müssen von der Vergangenheitslastigkeit, vom Rückblick und der Nostalgie, die allzu oft zu einem Widerstandsherd und Bremsklotz für die rasante Neugestaltung der Welt zu werden droht.
Wir haben für die Kirche zwei Hauptfunktionen ausgemacht innerhalb derer sie noch durchwegs berechtigt ist und benötigt wird:
1. Menschen in Not beruhigen und besänftigen, Konflikte Entschärfen und Frieden stiften, aber ohne spaltende Dogmen und Wahrheiten, sondern mit reiner Barmherzigkeit und besänftigender Pastoral.
2. Verkündigungskanal für die dringendsten irdischen Anliegen einer brüderlichen Menschheit. Diese neue Pastoralität macht aus der Kirche ein organisches Element, das die von den verantwortlichen Gestaltern der Welt ausgemachten Ziele propagiert und im Gefühl der Menschen durch Riten verankert, sowie Zögerer blossstellt und ihnen schlechtes Gewissen für ihren Widerstand gegen den Gang der Menschheit einbläst. Wir wollen also mit den Kirchen möglichst alle auf den Wagen zu einer raschen Fahrt in eine glücklichere Welt einspannen, und so gilt es auch das Evangelium zu deuten und die Heilsbotschaft Jesu.
Aus dieser Hinsicht, ist es geradezu richtig, die Kirche wie ein Unternehmen hierarchisch zu verwalten, zumal es endlich gelungen ist, mit Papst Franziskus, mit Patriarch Bartholomäus und mit vielen Bischöfen Kirchenmanager zu finden die mit Überzeugung und Charisma, wie der Dalai Lama oder einst Helder Camara, an einer neuen Welt arbeiten. Das geht auch in der Kirche besser, wenn die Weisungen von oben nach unten fliessen können und es erübrigen sich wie im Artikel dargelegt wurde, alte territoriale Sondereinheiten, wie die Pfarreien, die mit der Zeit sogar drohen, von widerständigen, konservativ reaktionären Kräften übernommen zu werden.
Aus all diesen Gründen ist die effiziente Handhabung der Kirche durch die Bischöfe für das allgemeine Wohlergehen nur förderlich.
HD Marquart
Ich vermute, dass Herr Ric in seinem fundierten Artikel genau das erklären wollte: Die Kirche ist nicht durch irgendwelche administrativen Experimente am Leben zu erhalten, sondern nur durch die Rückkehr zu ihren Wurzeln, zur Frohen Botschaft Jesu Christi, gelegen oder ungelegen!