Joseph Ratzingers Trilogie über Jesus von Nazareth verbindet seine theologische und spirituelle Vision von der inkarnatorischen Präsenz Gottes in Jesus Christus mit der Ur-Mission des heiligen Petrus und seiner Nachfolger auf seiner römischen Cathedra. Petrus ist der Fels, auf dem der Herr Seine Kirche baut, weil er als Sprecher und Repräsentant des ganzen Gottesvolkes Jesus bezeugt als den «Christus, den Sohn des lebendigen Gottes» (Mt 16,16). In seinem Christus-Bekenntnis vereint Petrus die Kirche immer in ihrem Fundament. «Denn einen anderen Grund kann niemand legen, als den, der gelegt ist; Jesus Christus» (1 Kor 3,11).
Gegen die Einwände der protestantischen Ablehnung der apostolischen Nachfolge der Bischöfe und des römischen Papstes hat schon 300 Jahre zuvor Thomas von Aquin klargestellt, dass allein Christus das Fundament der Kirche, ihr Haupt und der einzige Lehrer der Gläubigen ist in dem ursprünglichen Sinn der Vermittlung der göttlichen Wahrheit und Gnade. Aber die von ihm berufenen und bevollmächtigen Apostel und die Bischöfe in ihrer Nachfolge sind Fundament der Kirche, sichtbares Haupt in den Partikularkirchen und der Universalkirche, insofern sie Christus repräsentieren. Denn der erhöhte Herr spricht in ihrer Verkündigung des Wortes Gottes selbst zu den Gläubigen. Und in den Sakramenten vermittelt er ihnen durch den Dienst der Priester seine Gnade, die von ihm als Haupt der Kirche auf die Glieder überfliesst.[5] «Denn die Priester des Neuen Bundes können Mittler zwischen Gott und den Menschen genannt werden, insofern sie Diener sind, an dessen Stelle sie den Menschen die heilbringenden Sakramente darreichen.»[6].
Weil das ganze theologische Opus Joseph Ratzingers Christo-zentrisch angelegt ist und damit die Gottessohnschaft Christi und seine Sendung als einziger Mittler zwischen Gott und den Menschen den Dreh- und Angelpunkt seines Denkens und seiner Spiritualität darstellt, darum bietet sich auch sein Jesus-Buch als hermeneutisches Prinzip und Schlüssel dar, mit dem wir die Tür öffnen in das weite Reich seines tiefgründigen Denkens der Einheit von Glauben und Vernunft.[7]
Diese einzigartige Konstellation von Glauben und Wissen im Christentum ist sogar nach der Analyse seines neomarxistisch geprägten agnostischen Gesprächspartners Jürgen Habermas die Essenz der gesamten abendländischen Kultur.[8] Der unter der Leitung von Kardinal Ratzinger vorbereitete und von Papst Johannes Paul II. veröffentlichte «Katechismus der Katholischen Kirche» (1997) kann verstanden werden als eine neue katechetische Summe des katholischen Glaubens, der sich der Vernunft der Gläubigen unter den Bedingungen der modernen Welt erschliesst. Man könnte – zu den Katholiken von heute gewendet – das Motiv der Abfassung dieses neuen Katechismus wie der Evangelist Lukas so begründen: «damit du dich, (wie einst Theophilus), von der Zuverlässigkeit der Lehre überzeugen kannst, in der du unterwiesen worden bist» (Lk 1,4), d. h. der überlieferten «Lehre der Apostel» (Apg 2,42), «die von Anfang an Augenzeugen und Diener des Wortes waren» (Lk 1,2)
Die vielfältigen Themen der Glaubenskongregation unter der Leitung ihres Präfekten Joseph Ratzinger hatten immer ihre innere Mitte in der Einzigkeit Jesu Christi als gott-menschlicher Mittler des Heils des Menschen (Theandrismus), der das Haupt seines Leibes ist und der in der katholischen und apostolischen Kirche, die vom Papst und den Bischöfen geleitet wird, sakramental gegenwärtig ist. Das ist die wichtigste Botschaft der Erklärung «Dominus Jesus. Über die Einzigkeit und die Heilsuniversalität Jesu Christi und der Kirche» im Heiligen Jahr 2000 der Menschwerdung Gottes.
Joseph Ratzinger zog sich den glühenden Zorn und den unversieglichen Hass der sogenannten «Progressisten» oder «Modernisten» in der Kirche und des antikatholischen neomarxistischen Mainstreams zu, weil er mit den beiden Instruktionen der Glaubenskongregation «Libertatis nuntius» (1984) und «Libertatis conscientiae» (1986) die lateinamerikanische Befreiungstheologie kritisch, aber doch auch konstruktiv würdigte.[9]
Es ist klar, dass es dabei nicht um ein einfaches Pro oder Contra gehen kann. Denn die «Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes“ (Röm 8,21) ist Ziel und Grund der Offenbarung Gottes als die Wahrheit und das Leben jedes Menschen. Die Erhebung des Menschen zur Gottessohnschaft in Christus und zur Gottesfreundschaft im Heiligen Geist einschliesslich der Befreiung von der Erbschuld und den persönlichen Sünden und allen Übeln des Leibes und der Seele ist Motiv des heilbringenden Handelns Gottes in Schöpfung, Erlösung und Vollendung des Menschen, den er nach seinem Bild und Gleichnis geschaffen hatte.
Gegenüber der vulgärmarxistischen Kritik am Christentum, dass es sich nur um das Jenseits und die Innerlichkeit kümmere und damit das Diesseits und die materiell-soziale Existenz des Menschen in der Welt vernachlässige, hat zuletzt das Zweite Vatikanum mit der Pastoral-Konstitution «Über die Kirche in der Welt von heute» – «Gaudium et spes» festgestellt, dass die religiöse und humanisierende Mission der Kirche nicht diametral oder dialektisch entgegengestellt werden können.[10] Das Gegenteil ist wahr! Nur im Licht Christi, des Gott-Menschen, kann die Einheit der universalen Orientierung an Gott und die konkrete Verantwortung des Menschen, des «von Gott um seiner selbst willen gewollten Geschöpfs»[11] für Gottes Schöpfung, die Natur, die Geschichte und die Gesellschaft richtig erkannt und in die ethisch-soziale Dimension umgesetzt werden.
Das mögliche Konfliktpotential der Befreiungstheologie ergibt sich nicht aus dem Evangelium selbst und seiner Vergegenwärtigung im katholischen Glaubensbekenntnis, sondern aus einer ungeklärten Beziehung zur marxistischen Philosophie in ihren vielfältigen theoretischen Ausprägungen und ihren meist menschenzerstörenden Auswirkungen im «real existierenden Sozialismus». Mit gleicher Unerbittlichkeit lehnt die katholische Sozialethik den nur am individuellen Profit orientierten «Kapitalismus» ab, der – als der politisch-soziologische Gegenspieler zum «Kommunismus» – aus dem gleichen Abgrund eines nihilistischen Materialismus aufgestiegen ist und demagogisch als Konsumismus das wahre Glücksverlangen der Menschen vergiftet.
Der Glaube ist freilich keine Gegenideologie im Bezug auf die neuzeitlichen Ideologien, die aus dem dialektischen Wechselspiel von Idealismus (Rationalismus) und Materialismus (Empirismus, Positivismus) hervorgegangen sind und das Wechselspiel eines Dualismus kreieren, dessen zerstörerischem Wahn nur schwer zu entkommen ist. Der Glaube als unendliches Vertrauen auf Gott ist überhaupt keine Ideologie, die man – als ein Konstrukt eines endlichen Verstandes – zurückführen kann auf Nietzsches Konzept vom «Willen zur Macht»[12]. Das ist die Herrschaft der Über-Menschen (in dem immer recht habenden Politbüro, in der Arroganz der philanthropischen Finanzzentren und den Planungsbüros der Sozialingenieure für eine Neue Weltordnung) über die dumpfen Menschenmassen.
Der Glaube ist vielmehr die vollkommene Hingabe des Verstandes an Gott und die Einheit mit ihm in der Liebe, die er selber ist in der Gemeinschaft von Vater und Sohn und Heiligem Geist.[13]
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