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Interview

Geschlechts­los in die Zukunft

Immer mehr Jugend­li­che hadern mit ihrem Geschlecht. Der Grün­der der ers­ten Ambu­lanz für Trans­men­schen in Öster­reich, Johan­nes Huber, blickt kri­tisch auf diese Ent­wick­lun­gen. Ein Gespräch über die Risi­ken einer Tran­si­tion und die Gründe für das Unbe­ha­gen am eige­nen Geschlecht.

Dieser Beitrag von Emanuela Sutter erschien zuerst auf «Corrigenda»

Johannes Huber gönnt sich keine Ruhe. Der bald 80-Jährige betreibt immer noch eine Privatpraxis für Hormonkosmetik, im November wird ein weiteres Buch von ihm erscheinen. Der studierte Mediziner und Theologe kennt sich aus beim Thema Transsexualität. Er gründete die erste Ambulanz für Transmenschen in Österreich, war Vorsitzender der österreichischen Bioethik-Kommission und Leiter der klinischen Abteilung für gynäkologische Endokrinologie und Sterilitätsbehandlung an der Universitätsklinik für Frauenheilkunde des Wiener Allgemeinen Krankenhauses. Für das Interview treffen wir ihn in seinem «Zentrum für Hormonkosmetik» im vierten Wiener Gemeindebezirk.

Herr Doktor Huber, wie viele Geschlechter gibt es?
Zwei. Alles andere sind Mischformen. Die Evolution hat vor ungefähr 300 Millionen Jahren deswegen zwei Geschlechter konzipiert, weil durch den Austausch von Erbgut zwischen zwei Individuen das neue Leben die Möglichkeit hat, DNA zu mischen und sich damit besser auf ein neues Ambiente vorzubereiten. Das ist eigentlich ein Überlebensvorteil, und dazu braucht es zwei unabhängige DNA-Träger. Das sind die Eltern, Mann und Frau, die ein drittes DNA-Individuum machen können.

Das ist die biologische Überlegung der Zweigeschlechtlichkeit. Das ist nicht irgendetwas, was die Kirche erfunden hat, sondern die Evolution. Sie hat 300 Millionen Jahre an der Zweigeschlechtlichkeit gebastelt und das in zehn Minuten am Standesamt zu ändern, ist schon sehr skrupellos.

Für die Aussage, es gibt nur zwei Geschlechter, kann man heute gecancelt werden.
Ja, das ist richtig. Ein grosser Vorteil des Alterns besteht darin, dass man mehr oder weniger immun wird gegen solche Attacken. Die machen einem nicht mehr so viel, und deswegen sehe ich das mit einer grossen Gelassenheit. Das kostet mich sicher keinen Karrierekrieg mehr.

Von wo kommt es, dass derartige biologische Fakten heute so umkämpft sind?
Naja, es ist eine Minorität, die die Zweigeschlechtlichkeit leugnet. Man muss fairerweise sagen, dass sowohl die Homosexuellen wie auch Transgender-Personen in der Vergangenheit sehr diskriminiert worden sind. Um das wieder gutzumachen, gehen sie jetzt in die andere Richtung und stellen Normvarianten als Normen da und beschimpfen all jene, die in der Vergangenheit die Zweigeschlechtigkeit als das Ideal dargestellt haben. Das Leben ist Psychologie, das zeigt sich auch hier.

Ich glaube, dass eine eigentlich kleine Minorität auftritt – polemisch und intolerant, muss man sagen. Das Gros der Menschen versteht das gar nicht. Die haben ganz andere Sorgen. Die meisten Menschen wollen nach wie vor eine Partnerschaft, sie wollen nach wie vor Kind und Familie oder eine Gemeinschaft, in der sie in der Zweigeschlechtigkeit geborgen sind.

Was waren die Gründe dafür, dass sie 1998 die erste akademische Ambulanz für Transgender-Personen im deutschsprachigen Raum gegründet haben?
Der Grund war, weil es tatsächlich Menschen gibt, die darunter leiden, dass sie das Gefühl haben, sich in einem Geschlecht zu befinden, das sie nicht sein wollen. Das waren aber Menschen, die nach der Pubertät diesen Wunsch noch immer oder neu hatten und die darunter gelitten haben. Ich bin der Meinung, man soll den Menschen helfen, man soll sie nicht leiden lassen. Aus diesen Gedanken heraus haben wir die Ambulanz ins Leben gerufen. Aber das Pendel schlägt jetzt in die völlig andere Richtung.

«Heute beginnt man Transgender zu bewerben»

Inwiefern?
Heute beginnt man Transgender zu bewerben. Das halte ich für wahnsinnig schlecht. Man soll die Menschen nicht verdammen, die so angelegt sind, man soll ihnen helfen, soweit das möglich ist, aber man soll nicht – was jetzt leider auch die österreichische Regierung tut – grosszügig Werbekampagnen unterstützen, bei denen in den Kindergärten und Schulen Transgender beworben wird. Eine Geschlechtsumwandlung geht mit einer lebenslangen Hormonbehandlung einher, das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Das ist kein Sonntagsspaziergang. Das zu bewerben, halte ich für wirklich unethisch.

Wie ist man vor 25 Jahren, als Sie die Ambulanz gegründet haben, mit der Transgender-Thematik umgegangen? Wie war damals das öffentliche Klima diesbezüglich?
Es war nicht feindlich. Manche konnten natürlich nicht viel damit anfangen, aber die Unterstützung von Seiten der Leitung des AKHs (Allgemeines Krankenhaus der Stadt Wien, Anm.) und der Stadträtin für Gesundheit war sehr gross. Ich habe auch nicht den Eindruck, dass Transgender-Menschen polemisiert, belächelt oder ironisiert worden sind. Man hat das akzeptiert und ihnen geholfen.

Aber das Thema hatte noch nicht diese grosse öffentliche Aufmerksamkeit, oder?
Nein, die hatte es nicht. Damals hatte man mit Recht gesagt, Transsexualität gehört zu den Dingen, die in den Intimbereich des Menschen gehören. Sexualität und Geschlechtsorgane wollte man gar nicht so auf die grosse Glocke hängen.

Was ist der Unterschied zwischen den Transgender-Klienten von heute und denen der 1990er-Jahre?
Es sind damals zum Beispiel Frauen gekommen, die gesagt haben: Eigentlich fühle ich mich seit der Pubertät als Mann. Wenn ein Mensch die Pubertät abgeschlossen hat, wenn er also erwachsen ist, kann man den Wunsch nach einer Transition doch eher als fester ansehen, als wenn Jugendliche in der Pubertät diesen Wunsch haben. Die heutige Linie, vor allem in Deutschland, geht in die Richtung, dass man in der Pubertät schon eine Transition vollziehen kann, obwohl noch eine Fluidität vorhanden ist. Das halte ich für den zweiten ganz grossen Fehler.

Wenn ein Mensch eine abgeschlossene Persönlichkeit ist und die Transition zum anderen Geschlecht wirklich sein permanenter Wunsch ist, ist das etwas anderes, als wenn ein Jugendlicher in der Pubertät sagt, er oder sie sei unglücklich oder hat Schwierigkeiten mit den Eltern und möchte deshalb sein oder ihr Geschlecht ändern. Das sind zwei grundverschiedene Dinge.

«Man müsste Studien verfassen. Aber nicht einen grossen Feldversuch»

Wie stehen Sie zu dem neuen Selbstbestimmungsgesetz in Deutschland?
Es ist unverantwortlich! Selbstbestimmung konnte man ja auch schon davor haben. Auch in Österreich, wo die Gesetze anders sind, kann man sagen, man möchte eine andere Identität. Aber dass Jugendliche in der Pubertät, also in dem Prägefenster, nun schon ihr Geschlecht ändern können, welches sie dann jährlich ändern können ohne ärztliche Gutachten, und dass man auch sogar noch bestraft werden kann, wenn man das hinterfragt, halte ich für unerklärlich.

Unerklärlich deswegen, weil ja gerade die deutsche Politik die grüne Linie so vertritt. Bei jeder Banane fragt man, wie ökologisch sie ist, bei der Tierhaltung und der Landwirtschaft ebenso. Wenn es aber um so einen zentralen Punkt des Menschengeschlechts, nämlich um die Fortpflanzung geht, vergisst man die grüne Tradition, da fängt man an, gegen die Biologie zu arbeiten. Man vergisst, was der grosse Goethe gesagt hat: Mit der Natur kann man nicht zu sehr spassen, die lässt das nicht zu.

Was bewirken die Hormone im Körper eines Menschen, der eine Transition durchführen lässt?
Ich erinnere mich noch an die Debatte um die Hormonersatztherapie für Frauen, die in die Wechseljahre kommen. Denen verschrieb man Hormone, wenn sie schlimme Beschwerden hatten. Als öffentlich wurde, dass selbst eine zwei-, dreijährige Behandlung mit einem Hormon Brustkrebs erzeugt, hat die ganze Weltpresse aufgeschrien und gesagt: Ihr erzeugt Brustkrebs.

Diese Stimmen vermisse ich in der heutigen Diskussion. Man hat den Eindruck, dass auch die Presse Partei und auf einem Auge blind ist. Ich habe selbst erlebt, was es für einen Entrüstungssturm gab über die Hormonbehandlung von Frauen in den Wechseljahren, die aber Beschwerden hatten und wo die Behandlung maximal zwei, drei Jahre ging. Bei einer Geschlechtsumwandlung dagegen muss man ein Leben lang gegengeschlechtliche Hormone – nicht gleichgeschlechtliche wie bei Frauen in den Wechseljahren – einnehmen. Keine Presse, keine Zeitung fragt nach, ob das möglicherweise auch Brustkrebs erzeugt.

Was sind die Risiken? Gibt es schon Langzeitstudien?
Nein. Wir wissen zum Beispiel viel über die Wirkung der Anti-Baby-Pille. Einige junge Frauen wollen sie nehmen gegen unreine Haut. Dazu müssen die männlichen Hormone unterdrückt werden – zum Beispiel durch die Einnahme von Cyproteronacetat (ein Antiandrogen, Anm.). Man weiss, dass die Wahrscheinlichkeit, ein Meningeom, also einen Gehirntumor zu bekommen, durch die Einnahme grösser ist, und aus dem Grund ist man heute sehr zurückhaltend bei dieser Pille. Es wird empfohlen, Cyproteronacetat wirklich nur mehr gegen Akne zu nehmen, aber nicht mehr für die Empfängnisverhütung.

Das Antiandrogen wird bei jedem Mann eingesetzt, der eine Frau werden möchte, und das in viel höherer Dosierung und viel länger. Die Gefahr des Meningeoms kennt man, man kennt aber noch gar nicht, was so eine hohe Dosis über längere Zeit mit einem macht, weil das erst seit kurzem bei der Transition eines Mannes zu einer Frau verabreicht wird. Das ist ein grosser Knackpunkt.

Dann weiss man auch nicht, wie hoch die Gefahr für ein Mammakarzinom bei einem Mann ist, der ein Östrogen (weibliches Sexualhormon, Anm.) zu sich nimmt. Das Mammakarzinom kann in der Regel erst in den Wechseljahren bei der Frau auftreten. Beim Mann gibt es auch Brustkrebse, das weiss man, der hat ja auch ein Brustgewebe. Die wichtigsten Fragen sind also offen. Deswegen glaube ich, dass man das machen müsste, was man in der Medizin immer macht, wenn man keine Daten hat: beobachten und klinische Studien verfassen. Aber nicht einen grossen Feldversuch.

«Wir schwimmen alle in einem Ozean von Östrogenen»

Transgenderidentitäten unter Jugendlichen nehmen seit 2009 sprunghaft zu. Was ist der Grund dafür?
Da gibt es nur Theorien. Eine Theorie, auf die vieles zutrifft, denke ich, ist die von Professor Volker Hesse: In der Schwangerschaft kommt es beim werdenden Kind zu einer sogenannten Mini-Pubertät. Beim Jungen zum Beispiel bildet die Hodenanlage in der zwölften Schwangerschaftswoche das männliche Hormon Testosteron. Damit wird das XY-Chromosom, mit dem der Junge angelegt ist bei der Befruchtung, noch verstärkt. Das ist quasi ein zweites Geschlechtssiegel zusätzlich zum Chromosom.

Wenn allerdings die Mutter in der zwölften Schwangerschaftswoche Sonnenschutzcreme mit sehr viel Östrogen verwendet, zu vielen Pestiziden oder auch Feinstaub ausgesetzt ist, dann wird die Testosteronproduktion des Hodens «overruled» von dem Östrogen.

Wir schwimmen alle in einem Ozean von Östrogenen. Pestizide, Waschmittel, Weichmacher – die haben alle Hormonwirkung. Das verhindert, dass das Testosteron tatsächlich wirkt, weil es durch das Östrogen verdrängt wird. Das männliche Chromosom ist zwar da, aber die zweite männliche Geschlechtsprägung fällt aus, weil sie durch den Einfluss von aussen weiblich wurde. Dadurch kann eine Genderdysphorie entstehen.

Ich glaube, es ist tatsächlich ein medizinischer, ein biologischer Grund, warum es zu einer derartigen explosionsartigen – 1000 Prozent innerhalb weniger Jahre – Zunahme des Geschlechtsidentitätsverlustes gekommen ist.

«Die Wahrheit sitzt am längeren Ast»

Welche Rolle spielen Ihrer Meinung nach die sozialen Medien? Es gibt Ärzte und Psychologen, die von «sozialer Ansteckung» sprechen, zum Beispiel über YouTube, TikTok oder Instagram.
Die spielen sicher auch eine Rolle, weil die Orientierungslosigkeit der jungen Menschen in der Pubertät zunimmt. Unabhängig davon: Es steigt die Suizidrate und das Burnout bei jungen Menschen. Dabei ist es Jugendlichen in der Weltgeschichte noch nie so gut gegangen wie jetzt. Es wird ihnen 24 Stunden rund um die Uhr eine Unterhaltungsindustrie geboten. Da ist es nicht verständlich, dass sie so unglücklich sind. In so einer Situation kann die Hoffnung aufkommen, dass man mit einer Geschlechtsänderung auch sein Leben zum Besseren verändert.

Möglich ist aber auch, dass Kinder nicht mehr die Beziehungsbindungen haben in den ersten zwei Jahren und dass sie aus dieser Beziehungslosigkeit zu den Eltern dann mehr oder weniger desorientiert sind. Es fehlt ihnen die Bindung. Für Erwachsene fordert man eine Viertagewoche, aber Kinder sollen am besten sechs Tage pro Woche in der Kita sein. Das passt nicht zusammen.

Was wären Ihre persönlichen Forderungen an die Politik? Was sollte im Hinblick auf Transgender erlaubt sein, was nicht?
So, wie es derzeit in Österreich geregelt ist, ist es gut. Für eine Änderung des Geschlechtseintrags im Personenstandsregister braucht es ein Gutachten von Psychologen, man muss die Pubertät abgeschlossen haben und man muss ein «irreversibles Zugehörigkeitsempfinden zum anderen Geschlecht» besitzen.

Das sind eigentlich die Anforderungen des alten Transsexuellengesetzes in Deutschland.
Ja. Das ist nicht diskriminierend. Es verhindert, dass junge Menschen voreilig eine Entscheidung fällen, die sie dann extrem bereuen könnten. Es wäre besser, Geld für wissenschaftliche Forschung in die Hand zu nehmen, als 350 000 Euro, welches von der österreichischen Bundesregierung verwendet wird, um in Kindergärten für Transgender Werbung zu machen. Das Geld sollte man in die Wissenschaft stecken und prospektiv randomisierte Studien machen, damit man Sicherheit in der Zukunft hat.

Haben Sie persönlich keine Angst vor «Shitstorms» oder medialer Empörung?
Nein. Ich sage immer: Die Wahrheit sitzt am längeren Ast. Das, was ich Ihnen erzähle, ist wissenschaftlich erwiesen. Das ist Faktum.

Originalbeitrag auf «Corrigenda»


Corrigenda


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    stadler karl 24.09.2023 um 09:13
    Ein sehr lesenswerter Bericht! Was der Grund für den rasanten Anstieg dieser Frage in den letzten beiden Jahrzehnten ist, kann ich nicht verlässlich beurteilen. Jedenfalls hinterfragt diese ganze Entwicklung ebenfalls die klassische Feministin Alice Schwarzer sehr stark und vermutet dahinter ideologische Gründe. Persönlilch neige ich auch ein wenig zu dieser Vermutung. Wenn man bedenkt, dass es in Zürich eine mit öffentlichen Mitteln finanzierte Fachstelle gibt, die mittlerweile den Eltern empfiehlt, ihren Kindern gegenüber nicht mehr von Dädi und Mami zu sprechen, sondern lediglich von "Elternteil". Die Frage bleibt, wie lange sich solche "Fachpersonen" mit derartigen Stuss-Empfehlungen zufrieden stellen lassen und nicht versuchen werden, über irgendwelche politischen Kanäle sich in die Erziehungsaufgaben von Eltern einzumischen um solchen Unsinn zu normativen Verpflichtungen zu erheben.
  • user
    Aschimi Wasanistria 23.09.2023 um 15:15
    "Wir schwimmen alle in einem Ozean von Östrogenen". Dann müsste die Zunahme von Transsexualität vor allem durch Mann-zu-Frau-Transsexuelle bedingt sein. Der Anstieg in den letzten Jahren wird aber größtenteils von Mädchen produziert, die sich als Mann empfinden. Da stimmt die Logik doch nicht ganz!?