Am 6. April kommt ein Dokufilm von Miklós Gimes in die Kinos, der von einem Vikar handelt, der mit vier Frauen sechs Kinder zeugte und dabei auch nicht vor Vergewaltigung zurückschreckte. In den letzten Tagen wurde in fast allen Medien darüber berichtet; und in vielen dazu ein Foto (Screenshot des Trailers) publiziert, das die Kinder des Vikars zeigt, zusammen mit Bischof Joseph Maria Bonnemain – händchenhaltend mit einer der Frauen.
Um es gleich klarzustellen: Die Taten des Vikars sind hochgradig verwerflich und unentschuldbar. Es ist richtig und wichtig, dass dieser Fall untersucht wird. Doch das Verhalten von Bischof Bonnemain in diesem Missbrauchsfall wirft Fragen auf. Wir stützen uns dabei auf die Stellungnahme von Bischof Joseph Bonnemain gegenüber kath.ch vom 28. März 2023.1
Fehlende Differenzierung
«Der Film ‹Unser Vater› zeigt eindrücklich die schreckliche Geschichte von vier Müttern und ihren Kindern, die durch die Abgründe der Niederträchtigkeit eines Priesters unsägliches erleiden mussten.» So beginnt seine Stellungnahme auf kath.ch. Dass einige der Frauen «unsägliches Leid» erlitten haben, ist in der Tat eine schreckliche Wahrheit. Doch was ist mit der Mutter von Christine und Tony, die dem Priester vorsätzlich zwei Kinder abluchste und sie ihrem Ehemann als Kuckuckskinder unterschob? Tony selbst berichtet, er hätte gehört, «dass es damals Wetten gab: Wer bringt den Pfaffen ins Bett? Sie sei die Dominante gewesen und sei nicht sexuell belästigt worden wie die anderen».2 Von einem Bischof, der für das Fachgremium «Sexuelle Übergriffe im kirchlichen Umfeld» in der Bischofskonferenz verantwortlich ist, darf mehr Differenzierung erwartet werden.
Ein weiterer Satz aus seiner Stellungnahme löst Stirnrunzeln aus: «Für mich war es sehr wichtig, dass Frau Binder beim Gebetsanlass der Schweizer Bischöfe in der Basilika Valeria von Sion im Dezember 2016 aktiv teilnehmen konnte, als Vertreterin aller Opfer von sexuellem Missbrauch im kirchlichen Umfeld der Schweiz.» Er muss damit Lisbeth Binder meinen, da ihre Mutter, jene Frau, die vom Vikar vergewaltigt wurde, kurz vorher gestorben war. Eine nicht direkt betroffene Person als Vertreterin aller (!) Opfer sexueller Gewalt aufzubieten, ist kaum eine adäquate Reaktion.
Persönlichkeitsrechte missachtet?
2014 kam Frau Lisbeth Binder zu Joseph Maria Bonnemain als dem damaligen Offizial des Bistums Chur; von ihr erfuhr er vom Fall Ebnöther. Seitdem sei es ihm «ein grosses Anliegen alles zu tun, um diese Menschen zu begleiten, ihnen nah zu stehen und sie zu unterstützen». Er habe in den Archiven nach Akten gesucht und auch alle beteiligten Pfarreien gebeten, ihrerseits zu suchen. «Das alles, um dem Wunsch der Betroffenen, mehr über ihre Geschichte zu erfahren, zu erfüllen.»
Als 2016 Regisseur Miklós Gimes mit der Idee zum Film zu ihm kam, sei er von Anfang an bereit gewesen, ihn in seiner Arbeit zu unterstützen. «Ich wurde selber während zwei Stunden, zusammen mit den sechs Kindern, aufgenommen.» Nach seiner Ernennung zum Bischof wurde er vom Regisseur erneut für Aufnahmen angefragt. Wiederum stellte sich Bischof Bonnemain zur Verfügung «und es wurde ein Gespräch von mir mit den sechs Betroffenen im bischöflichen Schloss während zwei Stunden aufgenommen».
Im Film selbst sagt Bischof Bonnemain, dass in den Akten des Bistums nirgendwo von Kindern die Rede sei. «Ich kann weder bejahen noch verneinen, dass der damalige Bischof etwas davon wusste. Sicher war der Bischof sich bewusst, dass er sich nicht richtig verhält.»3 Eine für Bischof Bonnemain typische Formulierung: aalglatt und widersprüchlich. Einem Vorgänger unterstellen, er habe sich nicht richtig verhalten, und gleichzeitig einräumen, er habe vom inkriminierten Vorfall möglicherweise nichts gewusst, diese Rechnung geht nicht auf.
Mit dem sogenannte «Päpstlichen Geheimnis» («Secretum pontificium») unterliegen Dokumente und Kenntnisse der vatikanischen Behörden wie der Kirche insgesamt der Geheimhaltung. Sie sind nur für die jeweiligen Empfänger persönlich bestimmt und dürfen nicht weitergegeben werden. Papst Franziskus hat am 17. Dezember 2019 mit der Instruktion «Sulla riservatezza delle cause» («Über die Vertraulichkeit von Verfahren») das päpstliche Geheimnis bei der Verfolgung von sexuellen Missbrauchsstraftaten mit sofortiger Wirkung aufgehoben. Allerdings: Es handelt sich dabei nicht um eine direkte Abschaffung des päpstlichen Geheimnisses als solches. Der gute Ruf, das Ansehen sowie die Privatsphäre aller Beteiligten sollen weiterhin geschützt werden. Dokumente und Kenntnisse von Letzteren unterliegen weiterhin der Vertraulichkeit. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Medien. Vielmehr geht es bei dieser graduellen Rückstufung des päpstlichen Geheimnisses darum, staatlichen Strafverfolgungsbehörden bei allfälligen Ermittlungen verzugslos alle einschlägigen Akten zur Verfügung stellen zu können.
Geheimhaltungspflichten kennt nicht nur die Kirche, sondern auch der Staat. Erinnert sei an Art. 321 Strafgesetzbuch (Verletzung des Berufsgeheimnisses), das insbesondere auch für Geistliche gilt, sowie an Art. 320 (Verletzung des Amtsgeheimnisses), das für Mitglieder von Behörden und Beamte gilt, worunter gegebenenfalls wiederum auch (staats-)kirchliche Funktionsträger zu subsumieren sind.
Im Lichte dieser rechtlichen Vorgaben stellt sich die Frage, ob Bischof Bonnemain mit seinen Aussagen im Film «Unser Vater» bzw. gegenüber den Medien nicht die Persönlichkeitsrechte von betroffenen Personen verletzt hat. Dies deshalb, weil infolge des Todes des Täters ein Strafverfahren sowohl nach kirchlichem als auch nach staatlichem Recht gegenstandslos geworden ist. Die von Papst Franziskus verfügte Aufhebung des päpstlichen Geheimnisses für Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs kommt demzufolge in casu nicht zur Anwendung.
Pauschale Schuldzuweisung
«Es gibt nichts zu beschönigen. Ich kann nur – einmal mehr – die Schuld der Kirche anerkennen und die Betroffenen um Verzeihung bitten.» Es darf sicher davon ausgegangen werden, dass Bischof Joseph diesen Satz ernst meint, doch die pauschale Schuldzuweisung an die Kirche ist verfehlt: Es sind immer konkrete Menschen, die schuldig werden. Der Vikar, der glaubte, Frauen zu Sexualobjekten degradieren zu können, die Vorgesetzten, die davon wussten und wegschauten oder nicht genug machten usw. Die Kirche hingegen sagte und sagt durch alle Zeiten hindurch klar, dass Vergewaltigung eine schwere Sünde ist, dass man Menschen mit Respekt begegnen muss, dass sich Priester an den Zölibat halten müssen.
Mit «Betroffenen» meint Bischof Joseph Maria Bonnemain auch die Kinder. Auch hier dürfte man mehr Differenzierung erwarten. Wenn eine verheiratete Frau vorsätzlich Kinder von einem Liebhaber will und diese dem Ehemann «unterjubelt», hat dies zunächst einmal per se mit der Kirche nichts zu tun. Hier vom schweren Schicksal von sogenannten Priesterkindern zu sprechen, zielt an der Komplexität des sexuellen Missbrauchs vorbei. Wenn Tony erzählt, er könne keine Beziehungen aufbauen, ist dies tragisch, hat aber nicht nur damit zu tun, dass sein Erzeuger ein Priester war; die Problematik von Kuckuckskindern geht weit darüber hinaus.
Jenen Frauen, die vergewaltigt wurden und die ihre Kinder trotz des traumatischen Erlebnisses behielten, muss an dieser Stelle ein grosser Dank ausgesprochen werden. Ihr Mut war und ist bewundernswert.
Widerspruch zwischen Theorie und Praxis
Sexueller Missbrauch – ob im kirchlichen oder allgemein gesellschaftlichen Umfeld – ist eine schwere Verletzung der Menschenwürde; das Sprechen darüber fällt vielen schwer und ist sehr anspruchsvoll. Aber gerade von einem Bischof, der sich seit Jahren mit diesem Thema beschäftigt, hätte man mehr professionelles Augenmass erwarten dürfen, ja erwarten müssen.
Apropos Professionalität: Auf dem eingangs erwähnten Foto ist Bischof Bonnemain händchenhaltend mit einer der Frauen zu sehen. Damit verstösst er gegen den Verhaltenskodex des Bistums Chur.4 Dass Bischof Joseph Maria dieses Dokument nicht immer ernst nimmt, hat er in der Vergangenheit mehrfach gezeigt. So während der Missiofeier 2022 in Dietikon, als er nach der Beauftragung meinte: «Trotz Verhaltenskodex möchte ich euch umarmen» – und dies auch tat, ohne das nötige Einverständnis abzuwarten.5 Schon früher sagte er gegenüber Seelsorgerinnen und Seelsorgern, dass er sich bei der Erteilung der Missio gar nicht an den Verhaltenskodex halten könne, da er nach dem Privatleben der Person fragen müsste. Seine frühere Aussage, wonach sich alle an den Verhaltenskodex halten müssen, «vom Bischof bis zur Organistin, Sakristan und Putzfrau»6, hat er somit selbst ad absurdum geführt.
Es bleibt zu hoffen, dass Bischof Bonnemain gerade im Interesse einer lückenlosen und gleichzeitig auf vorschnelle, pauschale Schuldzuweisungen verzichtenden Aufklärung der Missbrauchsfälle in der Kirche seine auf Medienbeifall schielende Redseligkeit im Zaune hält.
1 https://www.kath.ch/newsd/bischof-joseph-bonnemain-ich-kann-nur-einmal-mehr-die-schuld-der-kirche-anerkennen-und-die-betroffenen-um-verzeihung-bitten/, abgerufen am 31. März 2023.
2 https://www.blick.ch/incoming/die-unglaubliche-geschichte-des-toni-ebnoether-kinder-im-schatten-id18430961.html, abgerufen am 31. März 2023.
3 https://www.srf.ch/kultur/film-serien/neu-im-kino-dokufilm-unser-vater-der-vikar-der-sechs-kinder-zeugte, abgerufen am 31. März 2023.
4 «Verhaltenskodex zum Umgang mit Macht. Prävention von spirituellem Missbrauch und sexueller Ausbeutung», 20.
5 Video der Missiofeier, (ab 1:03:07)
6 https://www.kath.ch/newsd/bischof-joseph-bonnemain-der-verhaltenskodex-gilt-fuer-alle-angestellten-vom-bischof-bis-zum-sakristan/, abgerufen am 1. April 2023.
Kommentare und Antworten
Bemerkungen :
Joseph Maria Bonnemain Bischof von Chur nennt die Betroffenen, die schon längst erwachsen sind, Kinder.
Das Trauma, das die Betroffenen, als Kinder erlebt haben, lässt sich jedenfalls nicht mit der Idee eines Filmes heilen. Aber eines ist sicher, dass alle Beteiligten mit dem Film "Unser Vater" von Regisseur Miklos Gimes viel Geld verdienen!
Allen hier Schreibenden und natürlich allen Kirchenrätinnen und Kirchenräten empfehle ich den Film im Kino anzuschauen.
Aber er misst mit zweierlei Ellen, oder lässt sich vor einen ideologisierten Karren spannen, und wird den Priestern im Bistum nicht gerecht. DIES ist das Problem.
Aber das gleicht Bonnemain, er profiliert sich immer mit den Fehlern der anderen.