Kamela Baghdasaryuans neues Zuhause ist eigentlich keines. Nur eine einfache Baracke mit drei winzigen Zimmern und Wellblechdach, viel zu klein für fünf Menschen. Hier, gut 30 Kilometer südlich der Hauptstadt Jerewan, hat die Familie nach der Flucht aus Bergkarabach eine notdürftige Unterkunft gefunden.
Zur Erinnerung: Nach einer monatelangen Blockade des Latschin-Korridors –dem einzigen Zugang nach Bergkarabach – und damit verbunden der Aushungerung der armenisch-christlichen Bevölkerung von Bergkarabach und einer anschliessenden Offensive kapitulierte Bergkarabach Mitte September 2023 vor dem militärisch weit überlegenen islamischen Aserbaidschan. Die Regierung in Baku kündigte an, zum 1. Januar 2024 alle staatlichen Institutionen und Organisationen der Republik Bergkarabach (Arzach) aufzulösen und Bergkarabach vollständig Aserbaidschan einzuverleiben.
Tränen schiessen in Kamelas Augen, wenn sie von den dramatischen Tagen im vergangenen September erzählt. «Wir konnten nicht einmal mehr Kleidung einpacken. Wir kamen mit fast nichts in Armenien an. Als wir dann in dieses Haus kamen, war es fast leer», erzählt Kamela Baghdasaryuan an ihrem wackeligen Esstisch und wischt sich wieder die Augen.
Auch jetzt hat die Familie kaum mehr als nichts, von Betten, nackten Glühbirnen an der Decke und etwas Kleidung abgesehen. Der Kühlschrank kommt von der armenischen Caritas; Betten und Bezüge waren Geschenke von Privatleuten. Ein kühler Luftzug fegt durch die Räume; an der Decke zeigen sich braune Feuchtigkeitsflecken. Doch mehr kann sich die Familie nicht leisten. In Bergkarabach arbeitete Kamela Baghdasaryuan in einer Schulküche, ihr Mann war Soldat. Die Familie hatte ein Haus und hielt noch einige Tiere. Doch in Armenien ist das anders: «Wir haben hier nach Arbeit gesucht, aber wir finden nichts», sagt sie.
Trotz Unterstützung durch Armenien reicht das Geld nur für das Nötigste
Vielen Geflüchteten geht es ähnlich. Ihre mehrheitlich von Armeniern besiedelte Heimat Bergkarabach hatte sich 1991 für unabhängig erklärt. Das hatte die internationale Gemeinschaft jedoch nicht anerkannt; nach internationalem Verständnis gehört die Region zu Aserbaidschan. Stalin hatte 1921 Bergkarabach der damaligen Sowjetrepublik Aserbaidschan zugschanzt und damit den Grund für die blutigen Konflikte in dieser Region gelegt. Nach dem aserbaidschanischen Überfall im September 2023 floh fast die gesamte Bevölkerung binnen weniger Tage nach Armenien.
Die Regierung in Jerewan, Hilfsorganisationen und zahlreiche lokale Freiwillige versorgten die Flüchtlinge in kürzester Zeit mit dem Nötigsten und brachten sie in temporären Unterkünften unter. Man organisierte die Auszahlung von Renten und integrierte Zehntausende Kinder in lokalen Schulen. Auch können Flüchtlinge die armenische Staatsbürgerschaft beantragen.
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