Als die Debatte über sexuelle Missbräuche im Umfeld der Katholischen Kirche zunehmend in pogromartige Formen umzuschlagen drohte, meldete sich auch der emeritierte Papst Benedikt XVI. zu Wort. In seiner scharfsichtigen Analyse «Die Kirche und der Skandal des sexuellen Missbrauchs» bettete er die Fehlentwicklungen im katholischen Klerus ein in die gesamtgesellschaftlichen Umbrüche der 60er- und 70er-Jahre des letzten Jahrhunderts, als die Ideologie der schrankenlosen sexuellen Promiskuität um sich griff, auch vor den Toren der Priesterseminare nicht Halt machte und zur Aushöhlung der herkömmlichen Moraltheologie beitrug. Papst Benedikt XVI. wörtlich: «Ich versuche zu zeigen, dass in den 60er-Jahren ein ungeheuerlicher Vorgang geschehen ist, wie es ihn in dieser Grössenordnung in der Geschichte wohl kaum je gegeben hat. Man kann sagen, dass in den 20 Jahren von 1960 – 1980 die bisher geltenden Massstäbe in Fragen der Sexualität vollkommen weggebrochen sind und eine Normlosigkeit entstanden ist [...]. Zu der Physiognomie der 68er-Revolution gehörte, dass nun auch Pädophilie als erlaubt und als angemessen diagnostiziert wurde.» Mit einem Schwall wüster Verbalinjurien reagierten die Mainstream-Medien und ihre Apologeten.
Dass die luzide Zeitdiagnose des emeritierten Papstes alles andere als aus der Luft gegriffen war, belegt eine aktuelle Studie, die vom Verein «Ökumenische Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche» (HuK) am 16. Januar 2024 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Der Verein war anlässlich des deutschen Evangelischen Kirchentages 1977 in Berlin gegründet worden. Mit dieser Studie will der Verein primär seinen Verstrickungen mit pädophil interessierten Einzelpersonen und Organisationen in den letzten Jahrzehnten nachspüren und sie so in den Fokus der eigenen Vergangenheitsbewältigung rücken.
Erschreckender Befund
Das Ergebnis dieser respektheischenden Selbstvergewisserung ist ebenso erhellend wie erschreckend. Der Verein «Ökumenische Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche» zählte Anfang der 90er-Jahre rund 700 Mitglieder. Eine Art Galionsfigur war ihr Mitglied Helmut Kentler, Sexualpädagoge und Professor für Sozialpädagogik an der Universität Hannover.
Der Autor der aktuellen Studie («Aufarbeitung der Haltung der HuK zu Pädosexualität seit 1977»), Professor Dr. Klaus Große Kracht, fasst seinen Befund wie folgt zusammen:
«Die 1977 gegründete und bis heute existierende ‹Ökumenische Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche› (HuK) ist eine der langlebigsten und grössten schwul-lesbischen Gruppen in der Geschichte der Bundesrepublik [...] Ihr Hauptinteresse richtete sich auf die Unterstützung von nicht heterosexuellen Mitarbeiter:innen in kirchlichen Einrichtungen gegenüber ihren Arbeitgebern und konservativen kirchlichen Gruppen.
Als Teil der allgemeinen Schwulenbewegung stand sie in den Anfangsjahren aber auch in Kontakt mit pädosexuell interessierten Einzelpersonen und Organisationen, welche ihrerseits die Schwulenbewegung zur Durchsetzung ihrer Ziele zu nutzen versuchten. Dies gilt beispielsweise für die ‹Deutsche Studien- und Arbeitsgemeinschaft Pädophilie› (DSAP), die Anfang der 1980er Jahre das wichtigste Netzwerk pädosexuell interessierter Männer in der Bundesrepublik darstellte. Der Mitbegründer der DSAP, der verurteilte Sexualstraftäter Dieter F. Ullmann, war formell eine Zeitlang Mitglied der HuK und berichtete später davon, dass diese Spenden für seine Anwaltskosten gesammelt habe, die schliesslich in das Vereinskapital der DSAP eingeflossen seien.
Die Frage der Akzeptanz oder Abgrenzung von pädosexuellen Praktiken blieb innerhalb der HuK tatsächlich über einen langen Zeitraum ungeklärt. So erfolgte erst nach vielen Jahren der Diskussion im Jahr 1997 eine eindeutige Unvereinbarkeitserklärung der HuK gegenüber pädosexuellen Interessensgruppen und Einzelpersonen. Dass sich viele HuK-Mitglieder nicht schon früher zu einer eindeutigen Verurteilung durchringen konnten, mag unter anderem darauf zurückzuführen sein, dass sie sich über viele Jahre an der vermeintlichen Expertise des Hannoverschen Sexualpädagogen Helmut Kentler orientierten. Kentler, der selbst bis zu seinem Tod Mitglied der HuK-Regionalgruppe Hannover war und zu Beginn seiner Karriere in Einrichtungen der evangelischen Kirche gearbeitet hatte, engagierte sich bereits früh für die Anliegen der HuK und vertrat diese auch öffentlich. In den letzten Jahren ist er wegen eines von ihm initiierten Modellversuchs, bei dem mit Wissen der Berliner Senatsbehörden unbetreute Minderjährige bei vorbestraften pädosexuellen Männern untergebracht wurden, stark in die Kritik geraten. Kentlers bagatellisierende Ansichten im Hinblick auf sexuelle Kontakte zwischen Erwachsenen und Kindern wurden auch in der Vereinszeitschrift der HuK publiziert.»[1]
Dass es überhaupt zu einem Umdenkungsprozess kam, war vor allem auch der feministischen Kritik am «männlichen Blick auf die kindliche Sexualität» zu verdanken: «So hatten couragierte Feministinnen seit den 1980er Jahren pädosexuelle Praktiken immer wieder und zunehmend erfolgreich als das angeprangert, was sie immer schon waren: sexueller Kindesmissbrauch», so der Gutachter Prof. Dr. Klaus Große Kracht.
Vergangenheitsbewältigung noch nicht abgeschlossen
Er schliesst seine Zusammenfassung wie folgt: «Die ‹Ökumenische Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche› (HuK) hat Wichtiges und Bleibendes für die Gleichstellung von Schwulen und Lesben in den Kirchen und bei den Gläubigen erreicht. Aber sie hat lange gebraucht, um sich von pädosexuellen Interessen- und Unterstützergruppen in aller Deutlichkeit abzugrenzen. Die Studie basiert im Wesentlichen auf schriftlichen Dokumenten und rekonstruiert die internen Diskussionen der HuK im Hinblick auf die Bewertung der Pädosexualität. Die Frage, inwieweit pädosexuelle Praktiken innerhalb der HuK oder ihres Umfeldes selbst verbreitet waren oder angebahnt wurden, kann sie nicht beantworten. Zumindest die Aussage einer betroffenen Person weist allerdings in diese Richtung. Der vereinsinterne Aufarbeitungsprozess ist insofern noch nicht abgeschlossen.»
Die «Ökumenische Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche» (HuK) verdient mit ihrer durch eine unabhängige Studie in Gang gesetzten, aber noch nicht abgeschlossenen Vergangenheitsbewältigung Respekt und Anerkennung. Dies gilt umso mehr, als mass- und tonangebende Kreis in der Psychiatrie das Spannungsfeld «Homosexualität und Pädophilie» nach wie vor zum Tabu erklären.
Der «Verein Schwule Seelsorger Schweiz» bildet eine Art Pendant zur deutschen «Ökumenischen Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche» (HuK). Auf seiner Homepage bezeichnet er sich als «aktive Gruppe von schwulen Männern im kirchlichen Dienst: Pfarrer, Pastoralassistenten, Priester, Katecheten, Theologen, Spitalseelsorger, Ordensmänner ... aus verschiedenen Konfessionen.» «Swiss-cath.ch» wollte von ihnen wissen, ob auch in ihrem Verein analog zur deutschen «Ökumenischen Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche» (HuK) die eigene Vergangenheit auf allfällige pädosexuelle Altlasten hin untersucht werde. Der Verein liess die Anfrage von «swiss-cath.ch» unbeantwortet.
[1] https://www.huk.org/themen/aufarbeitung (PDF Studie Prof. Dr. Klaus Große Kracht, Zusammenfassung). Hervorhebungen durch «swiss-cath.ch».
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