Das Strassburger Münster (Bild: shutterstock)

Kommentar

In Stein gemeis­selte Bot­schaf­ter der Evangelisierung

Vie­len Gläu­bi­gen ist klar, dass wir heute eine Neuevan­ge­li­sie­rung brau­chen, um neue Men­schen für den Glau­ben zu gewin­nen und die lauen Chris­ten zu stär­ken, damit sie den Glau­ben akti­ver und über­zeug­ter leben. Mit der Erkennt­nis, dass es eine Neuevan­ge­li­sie­rung braucht, stellt sich zugleich die Frage, mit wel­chen Medien diese zu bewerk­stel­li­gen ist. Wie kann sich die christ­li­che Bot­schaft in der Infor­ma­ti­ons­flut, wel­che die Indi­vi­duen tag­täg­lich über­schwemmt, Gehör verschaffen?

Medien aus Stein, die seit Jahrhunderten die Herzen der Menschen Christus näherbringen, sind die romanischen, gotischen und barocken Sakralbauten, gleichsam die Seele vieler europäischer Städte. Bei Besuchen im Strassburger Münster, im Mailänder Dom oder der Basilika San Petronio in Bologna, um Beispiele wunderbarer christlicher Bautätigkeit zu nennen, stellt man immer wieder fest, wie fasziniert die Besucher von der Schönheit sind, welche sich in diesen Bauten verkörpert. Für den Betrachter ist es schwer, sich des Gedankens zu erwehren, dass diese überragende Ästhetik nicht auch Auskunft über die Religion gibt, welche dem kunstvollen Wirken zugrunde liegt. Jahrzehnte- und teilweise jahrhundertelang wurden zur Ehre Gottes Kirchen gebaut, an denen Künstler und einfache Arbeiter wirkten, welche die Fertigstellung oft nicht einmal miterlebten. Dem Einspruch, dass die Mitwirkung am Bau oft aus ökonomischen Gründen oder gar aus Zwang erfolgte, muss die Gegenfrage gestellt werden, inwiefern unsere heutigen Wirtschaftsgüter das Produkt der rein schöpferischen Tätigkeit freier Personen sind oder nicht viel eher durch extrinsische Faktoren wie Geld oder Statusdenken determiniert sind. Unabhängig von der Frage, wie frei die Arbeiter waren, die an der Schaffung der imposanten Sakralbauten beteiligt waren, bleibt der Fakt, dass der Fleiss ihrer Hände und die Kreativität ihrer Köpfe sinnstiftende Werke hinterliessen, die anders als unsere heutigen Konsumgüter wie Natels oder Turnschuhe Jahrhunderte überdauern.

Rein ökonomisch müsste man diese architektonischen Geniestreiche als die rentabelsten Investitionen aller Zeiten bezeichnen, da sie bis ins 21. Jahrhundert und weit darüber hinaus den Tourismus fördern und damit auch pekuniären Mehrwert schaffen.

Die Auftraggeber und Mäzene, zumeist Könige, Fürsten oder Bischöfe, wussten, dass ihre Augen die bauliche Vollendung der Gotteshäuser nicht mehr erblicken würden und ihre eigene Ehre zu Lebzeiten durch diese Prachtwerke nicht vergrössert wird. Das schnelllebige Produzieren und Konsumieren, das unsere heutige Wirtschaftswelt beherrscht, wäre gar nicht in der Lage, eine solche Kunst in grossem Umfang hervorzubringen, da das Denken des heutigen Menschen einen arg beschränkten Horizont beschlägt. Der moderne Mensch möchte die Früchte seiner Tätigkeit lieber heute als morgen sehen, geschweige denn erst in einigen Jahrzehnten mit der damit absehbaren Gefahr, dass der eigene Tod ihm zuvorkommt.

Das kurzfristige Renditedenken, welches dem Kapitalismus inhärent ist, hat wie eine Krake den Bereich der Kunst und Kultur erfasst – und auch denjenigen der Moral. Nietzsches Prognose, dass der «letzte Mensch» die Welt klein und unbedeutend machen wird, weil er alle höheren Ideale kurzfristigen materiellen Annehmlichkeiten und Sicherheiten opfert, ist im 21. Jahrhundert Realität geworden. Anstatt das Leben in Fülle zu suchen, betäubt dieser letzte Mensch seine innersten Wünsche und Sehnsüchte mit der Befriedigung seiner unmittelbaren, jedoch zumeist belanglosen Bedürfnisse. Das Tragische dabei ist, dass der Verzicht, höhere Ziele anzustreben, auch das Leben hier auf Erden träge und glanzlos zurücklässt. Nicht kirchliche Denker wie der österreichische Philosoph Robert Pfaller attestieren der heutigen Kultur zu Recht eine Freudlosigkeit, welche die schlimmste Spiessbürgerlichkeit des Viktorianischen Zeitalters übertrifft. Anstatt dieser kulturellen Entwicklung gegenzusteuern, machen viele unserer kirchlichen Exponenten mit unterwürfigem Gestus mit. In der Schweiz wird der Synodale Prozess nicht dafür genutzt, um die Kirche auf den soliden Fundamenten, auf denen sie seit zwei Jahrtausenden steht, weiterzubauen, sondern um kleine und hässliche Gebäude zu errichten, welche ihren Bewohnern bestenfalls für ein paar Jahre Unterschlupf bieten, bis ein Sturm alles hinwegfegt. Anders lässt sich das Anbiedern an den Zeitgeist, dem vor allem die Bischöfe in der Deutschschweiz huldigen, nicht deuten. Die Aufgabe der Hirten soll nicht mehr sein, den einzelnen Katholiken auf seinem Weg zu stärken, sein Lebenswerk und seinen Leib zu einem Tempel Gottes zu machen, indem er sich jeden Tag abmüht, auch wenn er nicht unmittelbar die Früchte seiner Leiden sieht. Vielmehr soll die kirchliche Lehre jedem noch so banalen Selbstverwirklichungsbedürfnis des Menschen ihren Segen erteilen, auch wenn klar ist, dass dies langfristig seinem Glück abträglich ist.

Genau gleich wie der Utilitarismus in der Architektur jegliche Ästhetik verdrängt hat, da der jahrzehntelange Bau einer Kathedrale oder Kirche für das heutige Nützlichkeitsdenken keinen Profit abwirft, soll jedes Gebot und Verbot des Katechismus daraufhin geprüft werden, ob es dem Einzelnen einen sofortigen Nutzen bringt. Da jedoch die kirchliche Moral auf Dauer und Nachhaltigkeit ausgelegt ist und den Menschen als Wesen sieht, der sein Glück in der ganzheitlichen, Körper, Geist und Seele integrierenden Entfaltung seiner Persönlichkeit findet, kommt sie bei dieser Betrachtungsweise notwendigerweise schlecht weg. Wer möchte schon in einer Welt, in der nur das kleine Vergnügen des heutigen und morgigen Tages zählt, das Versprechen der ehelichen Treue halten, sich für ungeborenes Leben einsetzen oder auf die Auslebung seiner Geschlechtlichkeit zugunsten höherer Ziele verzichten? Dass die Verfolgung dieser vordergründigen Glückseligkeit, welche die Abkehr von der katholischen Lehre verspricht, mittel- und langfristig ins Unglück führt, zeigen die steigenden Zahlen psychischer Erkrankungen, unter denen die Schweizer Gesellschaft leidet. Der Mensch ist klar für authentisches, auf Dauer angelegtes Glück geschaffen.

Soll der Synodale Prozess in der Schweiz nicht zu einer intellektuellen und moralischen Bankrotterklärung verkommen, wie es momentan gewisse Stellungnahmen von kirchlicher Seite befürchten lassen, müssen Christen die Quellen authentischer Verkündung aufsuchen, die sie ermutigen, die grossen Früchte einer christlichen Moral nicht kurzfristigen Amusements zu opfern. Die Botschafter dieser Verkündigung sind in der heutigen Zeit vielleicht nicht diejenigen, die auf den Bischofssitzen in Solothurn, St. Gallen oder Chur thronen, sondern wohl eher der Glaube und die Kunst, welche diese Bischofssitze geschaffen haben. Diese Kathedralen sind auch nach Jahrhunderten Botschafter der Evangelisierung, welche die Stürme des Zeitgeistes überdauern.


Daniel Ric


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    Jakob Troller 07.03.2023 um 21:12
    Ausgezeichnete Analyse.
    Der „liberale“ Neokatholizismus entspricht den hedonistischen Zügen unserer Gesellschaft: sofort hier und jetzt geniessen und es sich bequem machen mit einer dem Zeitgeist angepassten Religion.
    Der traditionelle Katholische Glauben gibt Sicherheit und Ruhe durch die jahrhundertelange Tradition und Verlässlichkeit. Neuerungen sind trotzdem möglich und nötig, ohne den Katholizismus umzukrempeln zu etwas, das es schon gibt und ohne Erfolg ist. Es ist keinesfalls bestritten, dass gewisse Änderungen und Anpassungen notwendig sind. Diese sind aber mit bedacht vorzunehmen.