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Kommentar

Ist kath​.ch antisemitisch?

Zur Zeit kom­men keine Zei­tung, keine Zeit­schrift und kein elek­tro­ni­sches Medium um das Thema «Anti­se­mi­tis­mus» herum. Vor allem nicht um das Thema «Lin­ker Anti­se­mi­tis­mus». Die «Welt­wo­che» wid­met ihm ihre aktu­elle Titel­ge­schichte («Sozia­list Hit­ler – zum Anti­se­mi­tis­mus der Lin­ken») ebenso wie die neu­este Aus­gabe des «Spie­gel» («Irr­weg eines Idols – Greta Thun­berg und die lin­ken Feinde Israels»).

Warum steht gerade der linke Antisemitismus über alle ideologischen Gräben hinweg derart im Fokus der medialen Scheinwerfer? In der Tat: Die Linke versteht sich als Motor des Fortschritts, masst sich einen Alleinvertretungsanspruch, ein Interpretationsmonopol auf Inhalt und Tragweite der Menschenrechte an. Exemplarisch für diese Attitüde ist der Schlachtruf der Hymne des Marxismus: «Völker, hört die Signale, auf zum letzten Gefecht; die Internationale erkämpft das Menschenrecht.» Ergo müsste eigentlich die Linke auf der Seite Israels stehen, jenes Staates, der trotz berechtigter Vorbehalte als einziger im Nahen Osten für sich beanspruchen kann, eine Demokratie, ein Rechtsstaat zu sein. Ergo müsste eben diese Linke laut vernehmlich ihre Stimme gegen den barbarischen Überfall der Hamas auf Israels erheben – eigentlich. Doch nichts von alledem. Vielmehr herrschte von wenigen Ausnahmen abgesehen vorerst betretenes Schweigen, das Gemetzel der Hamas an unschuldigen Frauen und Kindern wurde nur allmählich und dann auch nur halbherzig mit einem gewundenen «Ja, aber» verurteilt. Die Ladehemmung der Linken ist offensichtlich frappant, entbehrt sie doch auf den ersten Blick der ideologischen Folgerichtigkeit, denn der Marxismus-Kommunismus ist ohne ihre jüdischen Gründerväter Marx, Engels und Trotzki nicht zu denken. Andrerseits – so das gängige antisemitische Narrativ – sind die Juden geldgierig, manipulieren im Hintergrund die Finanzströme des ausbeuterischen internationalen Kapitalismus.

Christoph Mörgeli zeichnet die Konvergenz des links- und rechtsextremen Antisemitismus nach – anhand des Paradebeispiels Adolf Hitler: Dieser amtete noch 1919 als stellvertretender Soldatenrat der marxistischen Räterepublik München. Der Jude definiere sich nicht durch den Charakter, sondern «ausschliesslich durch die Grösse seines Vermögens, durch das Geld», lautete das Verdikt des Führers. Der «Tanz ums goldene Kalb» gehöre gleichsam zum jüdischen Chromosomensatz.

«Lex extrêmes se touchent»: 1920 übertrug Hitler sein anti-kapitalistisch-antijüdisches Credo nahtlos auf das Parteiprogramm der NSDAP: Wucherer und Schieber müssten mit dem Tode bestraft, das Bankenwesen und Grosskonzerne verstaatlicht und Bodenbesitz entschädigungslos enteignet werden. Die Kollektivierung in den Staaten des Ostblocks lässt grüssen.

Der Antisemitismus scheint in den Genen der totalitären Weltverbesserer eingeschrieben zu sein. Beispielhaft dafür steht die militante Klimaschützerin Greta Thunberg. Als «Prophetin» und «Predigerin», als «Heilige» stilisiert sie der Spiegel, als sie 2018 wie ein Komet in den Olymp der Klimaschutzbewegung aufstieg und gleichsam zur Verkörperung des schlechten Weltgewissens mutierte. Und nun dies: Auf einer Bühne in Amsterdam predigt Greta Thunberg zum x-ten Mal die Solidarität mit dem palästinensischen Volk. Doch den Juden, dem Staat Israel verweigert sie hartnäckig jegliche Unterstützung. Dies, obwohl die Hamas kein Geheimnis daraus macht, jüdisches Leben generell ausrotten zu wollen. Erjan Dam hatte von dieser Doppelmoral genug. Er stieg auf die Amsterdamer Bühne, nahm Greta Thunberg das Mikrofon aus der Hand und protestierte gegen die linksideologische Vereinnahmung der Klimademonstration.

Der Antisemitismus ist, obwohl Jahrhunderte alt, mit der Gründung des Staates Israel um eine neue, bedrohliche Dimension erweitert worden. Anfangs als Hort der Verwirklichung sozialistischer Utopien gepriesen (Stichwort Kibbuz-Bewegung), verkehrte sich mit dem Sechstagekrieg die Wahrnehmung durch die Linken in ihr Gegenteil. Israel galt und gilt fortan als Vorposten des amerikanischen Imperialismus, das palästinensische Volk als dessen Opfer. Der ehemalige Aussenminister Joschka Fischer räumt ein, durch den Sechstage-Krieg entscheidend politisiert worden zu sein. Der Schrecken von Entebbe sechs Jahre später brachte ihn dann zur Besinnung. Ein deutsch-palästinensisches Killerkommando hatte ein Flugzeug auf der Strecke Athen-Paris entführt. Nach der Landung in Entebbe liessen die Terroristen alle Passagiere frei – mit Ausnahme der rund 100 Jüdinnen und Juden. Anhand der Pässe und Nachnamen hatten sie die deutschen Terroristen ausfindig gemacht.

Queers for Palestine
Als wohl abartigste, abstossendste Form des linken Antisemitismus müssen die «Pro Palästina»-Solidaritätsbekundungen der LGBT-Szene bezeichnet werden. So wurde in New York mit regenbogenfarbenen Palästinenserflaggen und Plakaten wie «Queers for Palestine» demonstriert. Ausgerechnet LGBT-Aktivisten! Würden sie, so der ehemalige Kanzlerkandidat Armin Laschet, auch nur eine Stunde mit einer Regenbogenfahne durch Gaza laufen, «sie würden es nicht überleben».

Hierzulande zeigte sich der jüdische Bestsellerautor Thomas Meyer (Stichwort «Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse») entsetzt über die massiven antisemitischen Ressentiments der Schweizer Linken. Für ihn ist der jetzige Krieg die alleinige Schuld der Hamas. Im Tages-Anzeiger-Interview vom 19. Oktober 2023 brandmarkt er die gängige Vorstellung, die Hamas führe einen legitimen und angemessenen Verteidigungskampf gegen Israel. Sein Befund: «All die unqualifizierten und antisemitischen Äusserungen, all die Täter-Opfer-Verdrehungen, die ich in den vergangenen Tagen beobachten konnte, kamen ausnahmslos aus dem linken Milieu; das deckt sich mit meiner früheren Wahrnehmung. Alle antisemitischen Bemerkungen, die ich mir anhören musste, stammten von Menschen, die sich gegen die SVP positionieren, die sich urban und progressiv geben. Es sind Menschen, die sich reflexartig mit dem vermeintlich Schwächeren identifizieren, und die auch nicht davor zurückschrecken, Vergleiche mit den Nazis zu ziehen, um Israel zu diffamieren. Ich bewege mich auch in bürgerlichen Milieus – da beurteilt man, meiner Erfahrung nach, die Lage differenzierter ... Zugegeben, auch israelische Siedlerinnen und Siedler verüben Unrecht, sind kriminell. Aber dass sie in palästinensische Dörfer eindringen, um Frauen zu vergewaltigen und Babys zu köpfen, das ist mir nicht bekannt.» Der Befund von Thomas Meyer ist alles andere als aus der Luft gegriffen. So veröffentlichte das dezidiert linke Portal «watson» einen antiisraelische Clichés bedienenden Artikel mit dem Titel «Kritik an Netanjahu: Muss Israel unter Vormundschaft gestellt werden?»

Kath.ch ist zweifelsohne links, sehr links. Wenn es noch eines finalen Beweises bedurft hätte, Redaktionsleiter Charles Martig hat ihn geliefert. In seinem Kommentar zu den eidgenössischen Parlamentswahlen vom 22. Oktober 2023 wetterte er gegen den vermeintlichen Rechtsruck und die fremdenfeindliche, hetzerische Politik der SVP, spielte sich im Gegenzug ungefragt zum Schutzpatron der Migranten auf. Die Kirche müsse jetzt aufwachen und für Migranten einstehen, «sonst knallt es in Zukunft in der Kirche und im Schweizerland».

Besorgte Anfrage eines Benediktinerpaters
Ist kath.ch nicht nur links, sondern wie so viele Linke auch antisemitisch? Ein Angehöriger eines bekannten Schweizer Benediktinerklosters, nennen wir ihn Pater Martin, wandte sich diesbezüglich besorgt an swiss-cath.ch. Er nahm Bezug auf zwei auf kath.ch aufgeschaltete Artikel. Zum ersten mit dem Titel «Tausende an Palästina-Demonstrationen in Schweizer Städten». Pater Martin meinte dazu: «Hier werden unkommentiert Vernichtungsfantasien gegenüber Israel und damit den Juden als Juden zitiert ... und kein Wort zum Hamas-Terror». Mit diesen Vernichtungsfantasien sind Plakate mit Slogans gemeint wie «From the river to the sea, Palestine will be free» – verbunden mit einer Landkarte in Form eines Kopftuches mit Bluttropfen aufgemalt – ohne Israel.

Der zweite von Pater Martin erwähnte – von kath.ch ebenfalls unkommentierte Artikel trägt den Titel «UN-Menschenrechtsbüro wirft Israel Kriegsverbrechen vor». Dazu wiederum Pater Martin: «Hier praktiziert bereits der Titel offensichtlich die Täter-Opfer-Umkehr. Nur Israel steht als Schuldiger da. Kein Wort dazu, dass sich der israelische Staat zu wehren hat gegen den offensichtlichen Willen der Hamas und des Irans und weiterer arabischer Regime, ausgerottet zu werden.»

Die besorgte Anfrage von Pater Martin ist mehr als berechtigt. Inzwischen scheint kath.ch selbst kalte Füsse bekommen zu haben ob der ungefilterten Weiterverbreitung antisemitischer Propaganda. Anita Winter durfte in einem Interview von ihren Eltern berichten, welche die Reichspogromnacht überlebt hatten: ein Schritt in die richtige Richtung, immerhin. kath.ch tut gut daran, diesen Schritt gerade auch wegen der Teutonenlastigkeit ihres Redaktionspersonals konsequent weiterzuverfolgen.


Niklaus Herzog
swiss-cath.ch

E-Mail

Lic. iur. et theol. Niklaus Herzog studierte Theologie und Jurisprudenz in Freiburg i. Ü., Münster und Rom.


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    Josef Köchle 21.11.2023 um 16:26
    Der Beitrag sieht alle Schuld auf der arabischen Seite. Der Staat Israel wird als Hüter der Menschenrechte dargestellt. Dabei hat der Zionismus den Staat auch mit verbrecherischen Methoden errichtet. Arabische Dörfer wurden zerstört und mit Gewalt entvölkert, was Ben Gurion zur Erreichung er zionistischen Ziele als unverzichtbar betrachtete.
    Tom Segev, ein israelicher Historiker, sagte 2018 in einem Interview mit dem "Tagesspiegel":
    "Schon 1919 hat er (Ben Gurion) in aller Öffentlichkeit gesagt: 'Der Konflikt zwischen Juden und Arabern ist nicht zu lösen. Frieden mit den Palästinensern könne es nicht geben, weil kein Volk der Welt für ein anderes sein Land freiwillig aufgibt. Ben Gurion war daher Zeit seines Lebens überzeugt, dass der Konflikt zu managen ist. Daraus schlussfolgerte er, einen jüdischen Staat könne es in Palästina geben - aber weitgehend ohne Araber. Schon frühzeitig sprach er davon, dass die Palästinenser 'transferiert' werden müssten. Im Klartext heisst das: Sie sollten vertrieben werden.
  • user
    Daniel Ric 20.11.2023 um 17:40
    Unabhängig davon, wie man geopolitisch denkt, sehe ich bei kath.ch eine Schwäche, die auch andere sogenannt progressive Kreise aufweisen. In wirtschaftlichen und aussenpolitischen Fragen gibt man sich oft kritisch gegenüber dem Westen, indem man für die Konzernverantwortungsinitiative, für Flüchtende und gegen die abendländische Hegemonie auftritt, währenddem man in kirchenpolitischen Fragen ausschliesslich die Sichtweise der westlichen, genauer gesagt der deutschsprachigen Welt wiedergibt. In der Sexualmoral oder bei der Frage nach einer allfälligen Frauenordination interessiert man sich nicht für die Haltung der afrikanischen, asiatischen oder südamerikanischen Länder. Hier sehe ich einen grossen Widerspruch. Es ist durchaus legitim, dem Westen gegenüber kritisch eingestellt zu sein und niemand verlangt, dass kirchliche Medien in geopolitischen Themen die Ansicht der NZZ oder anderen Mainstream-Medien verkünden. Aber das gleiche kritische Denken sollte dann auch zum Zuge kommen, wenn es darum geht, die eigenen kirchlichen Positionen zu reflektieren.