Kardinalstaatssekretär Agostino Casaroli und Ministerpräsident Bettino Craxi unterzeichnen am 18. Februar 1984 in der Villa Madama den Konkordats-Vertrag.

Hintergrundbericht

Ita­lien: Ein Kon­kor­dat ver­än­derte die Staat-​Kirche-​Beziehungen

Aus­ge­rech­net der Sozia­list Bet­tino Craxi schaffte, was 21 ita­lie­ni­sche Regie­run­gen mit 12 katho­li­schen Minis­ter­prä­si­den­ten in 17 Jah­ren ver­ge­bens ver­sucht hat­ten: die Abschaf­fung des Katho­li­zis­mus als Staats­re­li­gion. Zugleich wurde damit das Pos­tu­lat von Camillo Benso Cavour in die Tat umge­setzt: «Freie Kir­che in einem freien Staat.» Davon ist das schwei­ze­ri­sche Staats­kir­chen­recht noch ein gutes Stück entfernt.

In einem nüchternen Zeremoniell in der römischen Villa Madama setzten Kardinalstaatssekretär Agostino Casaroli und Italiens Ministerpräsident Bettino Craxi am 18. Februar 1984 ihre Unterschriften unter den neuen Konkordats-Vertrag. Der vatikanische Spitzendiplomat mit Römerkragen und der Sozialisten-Premier mit der roten Krawatte schrieben Geschichte.

Sie passten das 1929 noch vom Diktator Benito Mussolini unterzeichnete Lateran-Konkordat den politischen und sozialen Veränderungen im demokratischen Italien und dem neuen Selbstverständnis der nachkonziliaren Kirche an. Damit stellten sie die Staat-Kirche-Beziehungen im Land mit der grössten Katholikenzahl in Europa auf eine neue, zukunftsweisende Grundlage.

«Der Staat und die Katholische Kirche sind jeweils in ihrer eigenen Ordnung unabhängig und souverän. Beide sind der gegenseitigen Zusammenarbeit zur Förderung des Menschen und des Gemeinwohls verpflichtet», brachte Kardinalstaatssekretär Casaroli den Geist der Übereinkunft auf den Punkt. Religion und Kirche sind «gesellschaftliche Realität in einer pluralistischen Gesellschaft».

Unabhängige Personalpolitik, aber kein heiliges Rom mehr
Für die Kirche Italiens bedeutete das eine neue Eigenständigkeit mit Rechten und Pflichten – und manchen Erleichterungen: Sie war nun nicht mehr von staatlichen Genehmigungen und Zustimmungen abhängig, etwa in Personalfragen. Die Kirchenleitung ernennt die Bischöfe seither frei, ohne den Staat um Einverständnis fragen zu müssen. Und für die Oberhirten entfiel der obligatorische Treueeid auf den Staat.

Anstelle der 45 Artikel von 1929 umfasst die Konkordatsrevision gerade einmal 14. Manche Vorgaben hatten sich mit dem Übergang von der Monarchie zur Republik im Nachkriegs-Italien ohnehin erübrigt, wie etwa das vorgeschriebene Gottesdienst-Gebet für den König.

Einschneidender waren Änderungen als Folge des Konzils, etwa die Öffnung zur Religionsfreiheit oder in den Beziehungen der Kirche zur politischen Gemeinschaft. Der Artikel 1 der Lateran-Verträge war damit überholt, wonach «die katholische, apostolische und römische Religion die einzige Staatsreligion» ist. Sehr bald schloss der Staat auch Abkommen mit Waldensern oder Zeugen Jehovas.

Und obsolet war auch der vom Lateran-Konkordat «im Namen der Allerheiligsten Dreifaltigkeit» festgestellte «heilige Charakter» der Ewigen Stadt Rom – als Bischofssitz des Papstes, als Zentrum der katholischen Welt und Ziel von Pilgerscharen. Nun hiess es lapidar, die Republik Italien anerkenne «die besondere Bedeutung, die Rom als Bischofssitz des Papstes für die Katholiken hat».

Mandatssteuer
Die Konkordatsrevision von 1984 hat dennoch wesentliche Teile der Lateran-Verträge beibehalten. Diese hatten 1929 einen Schlussstrich unter 1000 Jahre politische Papstmacht gezogen und zugleich die Feindschaft zwischen dem Vatikan und dem neuen italienischen Einheitsstaat beendet, der 1870 den Kirchenstaat besetzt hatte. Mit den Lateran-Verträgen war der souveräne Vatikanstaat geschaffen und der Papst für den Verlust des Kirchenstaates entschädigt worden. Im Gegenzug erkannte der Papst das Königreich Italien mit seiner Hauptstadt Rom an und erklärte den Gebietskonflikt «unwiderruflich» für beigelegt.

Neuorganisiert wurde im Konkordat von 1984 der Religionsunterricht. War er zuvor Pflichtfach, ist die Teilnahme nun freigestellt. Beibehalten, wenn auch modifiziert, wurde das Übereinkommen zum Eherecht, wonach – anders als in der Schweiz – kirchliche Eheschliessungen zivilrechtlich anerkannt werden. Eingeführt wurde weiter eine Art «Kirchensteuer» zur Finanzierung des Klerus. Es handelt sich dabei um das System der sogenannten «Mandatssteuer». Dieses System wird der staatlichen Laizität im positiven Sinne am besten gerecht. Was ist damit gemeint? Alle Steuerpflichtigen haben einen bestimmten Prozentsatz ihres steuerbaren Einkommens als sogenannte «Mandatssteuer» zu entrichten (in Italien sind es 0,8 Prozent, auch «Otto per Mille»-System genannt). Die Steuerpflichtigen können unabhängig von ihrem konfessionellen Status selbst bestimmen, wem sie aus dem vom Staat festgelegten Kreis möglicher Institutionen ihren Beitrag überweisen. In Italien können dies die Kirchen sein, aber auch Institutionen, die im Sozial-, Bildungs- oder Kulturbereich tätig sind. Vom italienischen Beispiel inspiriert unterbreitete im Kanton Basel-Stadt die für die Religionsgemeinschaften zuständige Kommission 2001 dem kantonalen Verfassungsrat einen analogen Vorschlag («Von der Kirchen- zur Mandatssteuer»). Argumentiert wurde u. a. damit, dass viele soziale Leistungen der Kirchen der Allgemeinheit zugutekommen, obwohl diese Leistungen nur von Kirchensteuerzahlenden finanziert werden. Die Mandatssteuer hätte diese Ungleichbehandlung beseitigt. Eine unheilige Allianz von links und rechts brachte diesen echt fortschrittlichen Vorstoss zu Fall.

«Gesunde Laizität»
Das Echo auf die Konkordatsrevision war anfangs geteilt. Die einen sahen darin eine laizistische Grosstat, den Abschluss der im Risorgimento von 1870 eingeleiteten säkularen Staatsgründung, wie Craxi bei der Unterzeichnung betonte. Andere werten sie als «Instrument der Harmonie» für einvernehmliche Staat-Kirche-Beziehungen.

Papst Benedikt XVI. lobte später die «gesunde Laizität», mit der die Revision zu Eintracht und Zusammenarbeit in der pluralistischen Gesellschaft beigetragen und die religiöse Freiheit vollständig gewährleistet habe. Auch Franziskus sprach von einer «positiven Laizität», die mitnichten feindselig sei. Man teile Grundwerte wie Menschenwürde und Menschenrechte, Familie, Solidarität und Frieden und arbeite zum Wohl des Landes zusammen.

Trotz mancher Staat-Kirche-Konflikte um Moralfragen oder Bioethik, um Gebäudeschutz und Rechtsbelange loben beide Seiten heute die gute Zusammenarbeit – die sich inzwischen auch auf Ebene der Justiz in vatikanischen Strafprozessen zeigt. Seine Amtsausübung wäre nicht möglich «ohne die grosszügige Verfügbarkeit und Zusammenarbeit des italienischen Staates», sagte Franziskus bald nach Amtsantritt. Umgekehrt finde Italien in der Kirche stets den «besten Verbündeten» zur Förderung der Gesellschaft.

Auf diese Zusammenarbeit sind Vatikan und Italien derzeit bei der Vorbereitung des nächsten gemeinsamen Grossprojekts angewiesen: wenn 35 Millionen Pilgerinnen und Pilger zum Heiligen Jahr 2025 in die Ewige – aber nicht mehr Heilige – Stadt Rom kommen sollen.


KNA/Redaktion


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