Die Geburtsgrotte in Bethlehem. (Bild: Dirk D., CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)

Kommentar

Jeru­sa­lem, heute Morgen

Ich bin gerade in Jeru­sa­lem angekommen.
Wie jetzt jedes Jahr ver­bringe ich hier den Win­ter.
Die­ses Mal wird es auf­grund des schreck­li­chen Krie­ges schwie­ri­ger sein.
Mein tie­fer Wunsch ist es, hier den Bedürf­tigs­ten zu hel­fen,
sei es auch nur durch meine Anwe­sen­heit und mein Gebet.

Heute Morgen möchte ich mich sofort zur Grabeskirche begeben,
die im Zentrum der Altstadt liegt.
Am Neuen Tor ist es das Ende des Schulvormittags.
Ich befinde mich inmitten der Kinder, die mit lautem Geschrei aus der Schule kommen.
«Yalla!», schreit das erste Kind das ich höre.
Schwester Emmanuelle von Kairo wiederholte diesen Ausdruck,
der so viel bedeutet wie « Vorwärts!,
wie ein Schrei aus dem Herzen, der zum Handeln und Mitgefühl auffordert.
Das Kind auf der Strasse heute Morgen ist ein Zeuge dafür in der aktuellen Situation.

Auf der Strasse begegne ich nur wenigen Menschen.
Um mich zu erkundigen, was es Neues gibt, halte ich bei meinem Coiffeur an.
Er ist heute Morgen so glücklich: «Sie sind mein erster Kunde seit einer Woche!»
Aber ich setze mich nicht hin und sage: «Bis morgen!»
«Nein», sagt er, «wir sind jetzt im Krieg!»

In Jerusalem ist heute die Anspannung gross.
Viele leiden auf so viele Arten.
Man muss das wenige Geld, das man noch hat, zusammenhalten, um etwas zu essen.
Und die meisten Souks sind geschlossen.
Wann wird der Krieg in Gaza endlich enden?
Und anderswo?

Der grosse Weihnachtsbaum wird dieses Jahr hier nicht aufgestellt.
Die Strassen sind nicht geschmückt.
Bethlehem wird weder Pilger aus dem Ausland noch Touristen empfangen.
Ich gehe die fast leeren Gassen hinunter.
Die Menschen sind traurig und ich verstehe sie.
Morgen werde ich die Spenden, die ich in der Schweiz bekommen habe, verteilen.
Die Leute brauchen es jetzt so dringend.

Ich betrete die Grabeskirche ohne Probleme.
Ausser den Geistlichen ist kaum jemand da.
Ich steige auf Golgotha hinauf, wo Jesus gekreuzigt wurde, und bete.
Ich ertappe mich dabei, wie ich frage: «Warum das alles, Herr?»
Die Antwort kommt sofort: «Hier habe ich mein Blut für euch alle vergossen!»
Ja, das Blut unseres Gottes aus Liebe für die ganze Menschheit! 

Der Beweis, wenn es überhaupt eines Beweises bedarf,
ist hier, ganz in der Nähe von Golgotha.
Wie nah der Karfreitag an Ostern liegt!
Ich steige hinunter, um zum leeren Grab zu gehen.
«Er ist nicht hier, denn Er ist auferstanden, wie Er gesagt hat. 
Kommt und seht den Ort, wo er lag!», 
hatte der Engel bereits am Ostermorgen zu den Frauen gesagt.

Als ich heute Morgen die Grabeskirche verlasse, 
beginne ich zu hoffen, dass ich an diesem Weihnachtsfest
nach Bethlehem gehen kann.
Es wird aber die Check Points geben ...
Dort wurde der Sohn Gottes für uns alle geboren, 
egal ob wir Juden, Christen, Muslime oder andere sind!
Ich werde dort für uns alle beten können!
Wird der schreckliche Krieg dann zu Ende sein?
Hier? Und anderswo? Und in unseren Herzen?

Auf meinem Rückweg komme ich bei meinem Coiffeur vorbei.
Er hat Recht: «Wir sind im Krieg!»
Aber heute Morgen erinnere ich mich an den Hoffnungsschrei des christlichen Kindes:
«Yalla!» 


Gnadenvolle Weihnachten und gesegnetes Neujahr!

+ Peter Bürcher, Jerusalem, 19. Dezember 2023


Bischof Peter Bürcher


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  • user
    Ferdi23 24.12.2023 um 09:48
    Der berührende Bericht aus Jerusalem von Bischof Bürcher von seinem Gang zur Grabeskirche und Kriegsgeschrei ist begleitet von einem Bild aus der Geburtskirche zu Bethlehem, dem Ort unendlicher Freude und Jubel über die Geburt des Erlösers. Mag es ein weihnachtliches Versehen der Redaktion sein: auch Bethlehem als Ort der Verehrung wurde ein Zankapfel und Anlass eines fürchterlichen Krieges mit Folgen bis in unsere Zeit.

    Eva Braunbach schreibt am 23.12.2016
    (scilogs.spektrum.de/denkmale/zu-bethlehem-geboren):
    „Zum Politikum und einer der Auslöser des Krimkriegs wurde die Geburtskirche im 19. Jahrhundert: 1717 hatte die katholische französische Krone einen vierzehnzackigen Stern angebracht, der die exakte Stelle der Geburt markieren sollte. Das hatten die Vertreter der griechisch-orthodoxen Kirche stets als unrechtmäßig angeklagt. Als der Stern 1847 gestohlen wurde, bezichtigten daher die Katholiken die Orthodoxen der Tat. Die Franzosen protestierten bei der osmanischen Regierung, zu deren Gebiet Palästina gehörte. Sie lösten damit eine eskalierende diplomatische Krise aus, in deren Verlauf Russland für die griechisch-orthodoxe Seite Partei nahm. Sultan Abdülmecid stiftete 1852 den Stern neu, erließ aber zugleich ein Dekret, dass die gemischt-konfessionelle Verwaltung so bleiben solle wie bisher („Status Quo“) – eine Stärkung der othodoxen Position gegenüber den Ansprüchen der Katholiken. Aber der russische Zar verlangte das alleinige Protektorat über die Christen in Palästina. Damit waren weder der islamische osmanische Sultan noch der katholische französische Kaiser einverstanden. Nach dem Ende des Krimkriegs wurde mit dem Berliner Kongress von 1878 der Status quo auch völkerrechtlich bestätigt und regelt bis heute die gemeinsame Nutzung der Örtlichkeiten.“
  • user
    Michael Dahinden 22.12.2023 um 16:29
    Beten wir, dass diese Kinder in eine Zeit hineinwachsen, die friedlicher wird.