Bild: Montage (wikimedia commons, bereal.com)

Kommentar

Jugend­li­che und soziale Medien: «Ohne Handy exis­tiere ich gar nicht!»

Es ist inzwi­schen sicher allen Eltern und Erzie­hern bewusst, dass der Nach­wuchs beim Ein­tritt ins Teen­ager­al­ter beginnt, seine Frei­zeit mit den soge­nann­ten sozia­len Medien aus­zu­fül­len und sich gele­gent­lich auch neben­her – nicht nur in der Pause – in der Schule damit beschäf­tigt. In einer Reli­gi­ons­stunde über den ethisch ver­tret­ba­ren Umgang mit die­sen Mög­lich­kei­ten der Kom­mu­ni­ka­tion zeigte sich, wie inten­siv selbst in einer Land­pfar­rei 13-​jährige Schü­le­rin­nen und Schü­ler diese elek­tro­ni­schen Mit­tel einsetzen.

Obwohl Jugendliche mit den sozialen Medien etlichen Gefahren (z. B. Cybergrooming) ausgesetzt werden, wird wohl niemand mehr ernsthaft diese verbieten wollen. Dazu wäre es längstens zu spät. Etwas überspitzt gesagt wäre das, wie wenn man ihnen in ihrer Freizeit das Essen verbieten würde. Missbrauch hebt bekanntlich rechten Gebrauch nicht auf, heisst eine Rechtsregel. Es ist wichtig, den Jugendlichen den rechten Gebrauch der sozialen Medien beizubringen, indem sie ethische Grundsätze einhalten. Selbstverständlich kann man ihnen die Goldene Regel auch für diesen Bereich ans Herz legen: «Was ihr von anderen erwartet, das tut ebenso auch ihnen» (Lk 6,31). Vor dem Einstieg in das Thema gibt es jeweils eine Bestandesaufnahme. Wer nutzt welche sozialen Medien? Das ändert sich von Jahr zu Jahr. Twitter und Facebook sind bei den Jugendlichen längstens out. Was auffällt: Sie pflegen in der Regel nicht nur ein oder zwei von den gängigen sozialen Medien, sondern drei bis vier, sogar bis zu sechs. Fast zwei Drittel der Schüler haben fünf oder sechs Kontos bei sozialen Medien. Das muss alles gehegt und gepflegt werden. Dazu kommt noch der Konsum von YouTube-Videos. Ich möchte nicht behaupten, in meiner Jugend keine Zeit vertrödelt zu haben – aber auf diese Weise?

Rekordverdächtige Nutzung der sozialen Medien 2023

«Bereal»: sei echt, sei wirklich!
Der neueste Schrei ist die App «Bereal». Das musste ich mir zuerst erklären lassen. Falls man als Lehrer bemerkt, dass während der Lektion plötzlich mehrere Schüler ihre Handys zücken, könnte das an dieser App liegen. «Bereal» soll dazu dienen, authentische Momente des Lebens festzuhalten. Die App macht sich jeden Tag einmal zu einer zufälligen Uhrzeit mit der Botschaft bemerkbar: «Time to be real». Sie fordert dazu auf, innerhalb der nächsten zwei Minuten ein Foto (gleichzeitig mit der Front- und Rückkamera) zu machen und es umgehend zu verschicken. Die App lässt seinen Freundeskreis auch wissen, wenn man das Foto zu spät geschickt hat. Das kann ja seine Gründe haben, denn die Aufforderung kann einen bei jeder möglichen und unmöglichen Situation, z. B. während eines Telefongesprächs, unter der Dusche, beim Zahnarzt oder beim Run auf den nächsten Zug erreichen. Man wird aufgefordert, seinem digitalen Freundeskreis sozusagen seine Existenz zu beteuern. Diese ist in dem Sinne flüchtig, weil das Foto bei ihnen automatisch nach 24 Stunden wieder gelöscht wird. Auf die Bilder seines Freundeskreises kann man mit «RealMojis» reagieren, d.h. man hält als Antwort das eigene Gesicht mit einem Grinsen oder einer Grimasse in die Kamera.

Eine Schülerin verstieg sich sogar zur Behauptung, ohne Handy existiere man gar nicht – jedenfalls nicht für die anderen. Wem nützt die App «Bereal»? Die Benützer verfügen über ein Fotoalbum mit einer Timeline. Noch nützlicher dürfte es für die Betreiber sein, denn mit den vielen Fotos in unterschiedlichen Situationen und Lichtverhältnissen von stets denselben Personen können sie den Algorithmus für die Gesichtserkennung optimieren.

Gibt es Potenzial für die Verkündigung?
Die Frage stellt sich, wie diese elektronischen Mittel der Kommunikation für die Verkündigung verwendet werden könnten. Ich bin nicht der Auffassung, dass wir als Pfarrer oder Katechetinnen und Katecheten jeden Tag ein Videöli für TikTok oder weiss ich was drehen sollen. Der Aufwand ist enorm und das Verhältnis zum Ertrag mutmasslich eher bescheiden. Wie wäre es mit einer App «Becatholic»? Die würde dann zu einer zufälligen Uhrzeit zum Gebet für den Präsidenten Wolodymyr Selenskyj aufrufen, ein anderes Mal für den Präsidenten Wladimir Putin oder dann für Papst Franziskus. Oder wie wäre es mit einem genialen Bibelspruch am frühen Morgen: «Die Tür dreht sich in ihrer Angel und der Faule in seinem Bett» (Spr 26,14). Oder eine Aufforderung zu einer guten Tat und der Mahnung, das Pfarrblatt für den Besuch der nächsten Sonntagsmesse zu konsultieren und sie einzuplanen.

Doch je länger ich darüber nachdenke, umso weniger scheint mir eine App wie «Becatholic» nötig zu sein. Jedenfalls liegt mein Handy manchmal stundenlang sträflich vernachlässigt auf einem Fenstersims im Büro, wo der Empfang noch einigermassen passabel ist. Es ist auch schon vorgekommen, dass ich die dritte Hirnhälfte, wie ich das Handy liebevoll bezeichne, erst nach drei Tagen vermisst und gesucht habe.

Das sind denkbar schlechte Voraussetzungen für eine App wie «Bereal» oder «Becatholic». Eines ist sicher: Ich lasse mich sicher nicht von einer App tyrannisieren, selbst wenn es um religiöse Anliegen ginge. Es reicht doch beim Aufstehen ein kurzes Stossgebet zum Heiligen Geist, er möge mir doch während des Tages den einen oder anderen Impuls geben: zum Gebet, zur Bibellektüre und zur guten Tat. Das ist dann aber auch kein Zufall und auch nicht vom Akkustand des Handys abhängig. Es müsste unser Ziel sein, genau das unseren Schülerinnen und Schülern beizubringen, allen sozialen Medienkanälen zum Trotz.


Roland Graf
swiss-cath.ch

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Dr. Roland Graf ist Pfarrer in Unteriberg und Studen (SZ). Er hat an der Universität Augsburg in Moraltheologie promoviert und war vor seinem Theologiestudium als Chemiker HTL tätig.


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