Kann aus Deutschland etwas Gutes kommen? Ja, durchaus! Aber just die für die Schweiz wesentlichen Aussagen in der Stellungnahme des deutschen Jesuitenpaters Hans Zollner zur Pilotstudie über die Missbrauchsfälle in der Schweiz verschweigt «kath.ch». Zwar hatte sich Pater Zollner bereits vor der Veröffentlichung der Studie per Ferndiagnose vorschnell zu deren Inhalt geäussert und dieselbe ohne deren Kenntnis präventiv unter intellektuellen Denkmalschutz gestellt.
Nun aber, da die Studie vorliegt, gibt Pater Zollner nach der Lektüre einen ausführlichen Kommentar ab. Über weite Strecken kann man ihm zustimmen. So, wenn er sagt, der Befund der Studie bestätigte im Wesentlichen die Resultate von analogen Untersuchungen in andern Ländern: «Sowohl die Zahl der Betroffenen von Missbrauch – die Autorinnen begründen im Text, dass sie auf Wunsch von Betroffenen nicht von ‹Opfern› sprechen – als auch die Zahl der Angeschuldigten dürfte in etwa in der Grössenordnung liegen, die wir aus den Berichten und Gutachten kennen, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten in andern Ländern veröffentlicht wurden.»
«kath.ch» hat die Einschätzung von Pater Zollner unter dem Titel «Hans Zollner: ‹Die Schweiz ist keine Insel der Seligen›» zusammengefasst. Doch ausgerechnet die für die Schweiz aufschlussreichsten und relevantesten Feststellungen von Pater Zollner hat «kath.ch» verschwiegen:
«Viele mag es überraschen, dass die staatskirchenrechtlichen Besonderheiten, das duale System, und eine grössere Macht von Laien in der Kirchengemeindeleitung sowie die finanzielle Unabhängigkeit vom Bischof keineswegs zu weniger Missbrauch oder klarerem und strengerem Umgang mit Tätern geführt hat. Die auch sonst sehr erhellenden Fallbeispiele, die im Bericht aufgeführt werden, zeigen sehr deutlich auf, dass Klerikalismus nicht ein Phänomen ist, das nur Klerikern vorbehalten wäre. Bei ‹fortschrittlichen› Pfarreien, Diözesen und Bischöfen haben die gleichen Mechanismen wie bei ‹konservativen› verhindert, den Missbrauch zu unterbinden und den Täter zu stellen.»
Irgendwie folgerichtig, diese Unterschlagung, ist doch Pater Zollners Befund so gar nicht nach dem Gusto des Medienportals «kath.ch», das jeweils reflexartig alle vermeintlichen oder tatsächlichen Missstände in der Kirche pauschal dem Klerus anlastet. Und das hiesige duale System permanent glorifiziert. Denn wer beisst schon die Hand, die ihn füttert – schon gar nicht «kath.ch».
Kommentare und Antworten
Bemerkungen :
Auch das Verständnis für Begriffe wie "sexueller Missbrauch", "sexualisierte Gewalt" oder "Übergriffigkeit" , sei es in physischer oder verbaler Form, hat sich wahrscheihnlich im Verlauf der Jahrzehnte verändert und die Definitionen wurden ausgeweitet. Was im Jahre 2023 unter diese Begriffe subsumiert wird, wäre wahrscheinlich vor sechzig Jahren nicht alles darunter gefallen. Das hat natürlich auch einen Einfluss auf das quantitative Ausmass der Fälle.
Aber die Studie als ganzes erscheint doch sehr wertvoll und muss wirklich ernst genommen werden, auch wenn ich persönlich nicht mit allen Aussagen einig gehen würde. Beispielsweise eine so ausgeprägte, fast blinde Autoritätsgläubigkeit gegenüber der Geistlichkeit, wie sie im Zusammenhang mit spirituellem Missbrauch analog beschrieben wird, hat auch in den fünfziger, sechziger Jahren in der breiten Masse der Gläubigen so nicht bestanden. Das waren wohl eher punktuell ablaufende Ereignisse. Im Gegenteil: Wenn etwas nicht in die praktische Alltagswirklichkeit hineinpassen wollte, waren Chur oder Rom bald einmal sehr weit entfernt.