Begegnung in Wil mit Bischof Markus Büchel, hier mit Dolores Waser Balmer und Franz Kreissl. (Bilder: Niklaus Herzog/swiss-cath.ch)

Kirche Schweiz

Kri­sen­ma­nage­ment des Bis­tums St. Gal­len: Ope­ra­tion gelun­gen – Pati­ent gestorben

«Bischof Mar­kus Büchel und Bis­tums­mit­ar­bei­tende laden zum Gespräch zur Auf­ar­bei­tung der Miss­brauchs­stu­die ein». So lau­tet die Ein­la­dung des Bis­tums St. Gal­len zu vier Begeg­nungs­aben­den zu die­ser The­ma­tik. Am 20. Novem­ber war die Pfar­rei St. Peter in Wil an der Reihe. Ergän­zend hiess es zur Ein­la­dung: «Wie sind die Ergeb­nisse für das Bis­tum St. Gal­len ein­zu­ord­nen? Wie wer­den Betrof­fene von Miss­brauch unter­stützt? Was pas­siert bereits im Bereich Schutz und Prä­ven­tion im Bis­tum St. Gal­len und wie geht es weiter?»

Als Vertreter der Bistumsleitung anwesend waren Bischof Markus Büchel, Pastoralamtsleiter Franz Kreissl, Präsident der «Kommission Schutz und Prävention», Dolores Waser Balmer, Mitglied der «Kommission Schutz und Prävention», Vreni Peterer von der «Interessensgemeinschaft für missbrauchsbetroffene Menschen im kirchlichen Umfeld» sowie Isabella Awad von der Kommunikationsabteilung des Bistums.

«Es kann sein, dass nicht genügend Zeit vorhanden ist, um alle Fragen zu beantworten», hiess es am Schluss der Einladung. Im Verlauf der Veranstaltung zeigte sich schon bald, wie dieser Vorbehalt von der Bistumsleitung verstanden wurde: Nicht gefragt waren Fragen, welche die wissenschaftliche Qualität der Studie infrage stellten. Dabei hätte genau dieser Aspekt mit zu einer transparenten, vorurteilsfreien Diskussion gehört, hatte doch die «Weltwoche» in einer ausführlichen Analyse diese Pilotstudie als «Machwerk», als «Pseudo-Studie» bezeichnet.

An dieser Stelle sollen zwei zentrale Punkte beleuchtet werden, auf die näher einzugehen geboten ist. Da ist als Erstes die schlagzeilenträchtig-magische Zahl von 1002 Fällen sexuellen Missbrauchs zu nennen, die in der Einleitung (!) erwähnt werden. Wer nun auf den weiteren 135 Seiten der Studie nach Belegen für diese Zahl von 1002 Fällen sucht, bleibt ratlos zurück: Sie lassen sich – ausgenommen die wenigen handverlesenen «Fallbeispiele» (z. B. «Fallbeispiel zur Entwicklung des Fachgremiums St. Gallen») – nirgends finden! Auf diesen Umstand angesprochen reagierte die graue Eminenz des Bistums, Franz Kreissl, mit dem Hinweis, die Nennung all dieser Fälle mit Name und Adresse könne erst im Rahmen der dreijährigen Nachfolgestudie erfolgen. In der Pilotstudie sei nur eine Anonymisierung möglich gewesen. Nein, Herr Kreissl! Die Pilotstudie enthält – mit Ausnahme der erwähnten wenigen Fallbeispiele – keinerlei Angaben zu den behaupteten 1002 Fällen, auch nicht in anonymisierter Form. Dies wäre angesichts der heutigen technischen Möglichkeiten fraglos ohne grossen Aufwand möglich gewesen.

Dieser Punkt ist von zentraler Bedeutung. Denn im Gefolge der Publikation dieser Studie ergoss sich ein veritabler Medien-Tsunami über die Schweiz, der die magische Zahl von 1002 Missbrauchsfällen der Bevölkerung wie weiland die Offenbarung der Zehn Gebote auf dem Berg Sinai aufs Auge drückte. Um nur ein Beispiel unter vielen zu nennen: Das Internet-Portal «nau.ch» veröffentlichte am 17. November 2023 eine Meldung mit dem Titel «Charta gegen Missbrauch in katholischer Kirche im Wallis». Darin heisst es unter Bezugnahme auf die Pilotstudie: «Der Bericht dokumentiert über 1000 Fälle von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche seit der Mitte des 20. Jahrhunderts.» Tut sie eben nicht! Eine Dokumentation dieser Fälle ist in der ganzen Studie nirgends ausfindig zu machen. Gerade die ebenfalls anwesende Vreni Peterer von der «Interessensgemeinschaft für missbrauchsbetroffene Menschen im kirchlichen Umfeld» wäre für diese Klarstellung gewiss froh gewesen, behauptete sie doch – wohl in Unkenntnis der Faktenlage – die Zahl von 1002 Missbrauchsfällen stehe nunmehr «schwarz auf weiss fest».

Betroffene wollten ausdrücklich nicht als «Opfer» bezeichnet werden
Damit sind wir beim zweiten, nicht minder wichtigen Punkt. Just Vreni Peterer wäre die prädestinierte Person gewesen, um die Frage zu beantworten, weshalb die Betroffenen entgegen dem Willen der Verfasserinnen der Studie sich ausdrücklich nicht als «Opfer» bezeichnet wissen wollten, sondern eben als «Betroffene». Eine Terminologie, zu der sich die Studienleitung nur mühsam durchringen konnte: «Weil verschiedene Personen erklärten, dass sie sich nicht als Opfer identifizieren wollen, wird in diesem Bericht der Begriff ‹Betroffene› verwendet» (Pilotstudie S. 18).

Ein dritter, ebenfalls relevanter Kritikpunkt: Wie wird der Begriff «sexueller Missbrauch» definiert? Dazu wiederum die Pilotstudie: «Tatsächlich ermöglicht die Erweiterung des Gewaltbegriffs von einer rein physischen Verletzung auf die Überschreitung einer psychischen oder symbolischen [sic] Grenze eine Historisierung des Tatbestands, dessen Bedeutung sich im Verlauf der Zeit verschob und sich von Gesellschaft zu Gesellschaft unterscheiden kann [...] Ganz allgemein kann der Begriff des ‹sexuellen Missbrauchs› so definiert werden, dass er alle Taten umfasst, die das sexuelle Selbstbestimmungsrecht von Menschen verletzen» (Pilotstudie S. 17f.).
Dass mit dieser extensiven Begriffsbeschreibung einer willkürlichen Zuschreibung sexueller Gewalt Vorschub geleistet wird, liegt auf der Hand. Die Pilotstudie liefert dazu gleich selbst ein eindrückliches Beispiel, subsumiert sie doch darunter auch einen «Übergriff, der in vermeintlich wertschätzende Interaktionen eingebettet wird» (Pilotstudie S. 17).
 


Doch von solch als lästig taxierten Fragen wollte sich die Bistumsleitung nicht beirren lassen. Mit Feuereifer deckte Dolores Waser Balmer von der «Kommission Schutz und Prävention» die Zuhörerschaft mit einem Wust von Schutzkonzepten, Präventionsmassnahmen, Eignungsprüfungen und obligatorischen Weiterbildungskursen ein, welche inskünftig sexuell konnotierte Übergriffe ein für alle Mal verunmöglichen sollen. Aufhorchen liess der auf einer Folie speziell hervorgehobene Punkt: «Immer wichtiger: geistlicher Missbrauch». Die zur Illustrierung dieser Missbrauchskategorie von Dolores Waser Balmer genannten, völlig verunglückten Beispiele erinnern fatal an Doris Reisinger mit ihrem Furor gegen alles, was auch nur entfernt mit Spiritualität zu tun hat. Nachdem mehrere Gerichte, darunter das Oberlandesgericht Hamburg, ihren an die Adresse der Gemeinschaft «Das Werk» gerichteten Vorwurf der Vergewaltigung verboten hatten, wechselte sie flugs zum neuen Geschäftsmodell «spirituelle Gewalt».

Falschmünzerei für bare Münze genommen
Die anschliessende Diskussion zeigte bald einmal, dass sich die von der Pilotstudie und ihren medialen Erfüllungsgehilfen betriebene Falschmünzerei als durchschlagenden Erfolg erwies, sprich an der Basis für bare Münze genommen wird. Von der Abschaffung des Zölibats, der Einführung des Frauenpriestertums, der Änderung der Sexualmoral der Kirche bis hin zur Rücktrittsforderung an die Adresse von Bischof Markus Büchel wurde das ganze Arsenal der «Reformpostulate» aufgefahren.

Was an diesem Anlass völlig unterging und ihm gleichzeitig einen surreal-gespenstischen Anstrich verlieh: Es muss jemand schon mit einer fast überirdischen Portion Masochismus gesegnet sein, der angesichts dieses institutionalisierten Generalverdachts eines potenziellen Straftäters noch den Spiessrutenlauf eines Theologiestudiums, zumal mit dem Berufsziel «Priester», auf sich zu nehmen bereit ist. In der Tat bereitet sich zur Zeit im Bistum St. Gallen gerade einmal ein einziger Mann auf das Priestertum vor. Kontrollfreaks à la Kreissl, Waser Balmer & Co. müsste es eigentlich allmählich dämmern, dass Treibjagden ohne Aussicht auf Beute wenig Sinn machen, schlussendlich im Frust zu enden drohen.

Der Galgenhumor des Bischofs
Flankiert von den beiden Schutz- und Präventionsturbos Kreissl und Waser Balmer hatte es Bischof Markus unter diesen Umständen erwartungsgemäss schwer – besser gesagt: tat sich selbst schwer. Mal sein respektables Gewicht auf das rechtgläubige Standbein, mal auf das häretische Spielbein setzend, geriet er fast notgedrungen mehrmals in Schlingern. Versuchte er den Druck der «Reform-Synödeler» mit dem Verweis auf die Blockade in Rom aufzufangen, lobte er handkehrum fast überschwänglich Papst Franziskus («Hoffentlich lebt er noch möglichst lange!») wegen dessen Dauerkritik am Klerikalismus. Den angeblichen Klerikalismus von Pfarrern und Priestern hierzulande konnte Bischof Markus nicht gemeint haben, sind doch Letztere schon seit längerem am Gängelband von Pastoralassistenten und Kirchenverwaltungsräten. Bischof Markus muss von einer analogen Befindlichkeit erfasst sein, beschwor er doch angesichts der tatsächlichen Verhältnisse in der «Kirche Schweiz» – völlig zu Recht – die «Ohnmacht der Bischöfe».

Als es Bischof Markus auf seiner Gratwanderung zwischen Lehramtstreue einerseits und flüchtigen Zeitgeistforderungen andrerseits zunehmend unwohl zu werden schien, flüchtete er sich in den Galgenhumor. Wiederholt auf das Thema «Kirchenaustritt» angesprochen, meinte er schliesslich: «Treten Sie um Himmels Willen nicht aus, sonst können wir am Ende Rechnungen für Projekte wie die Missbrauchsstudie gar nicht mehr bezahlen.»


Niklaus Herzog
swiss-cath.ch

E-Mail

Lic. iur. et theol. Niklaus Herzog studierte Theologie und Jurisprudenz in Freiburg i. Ü., Münster und Rom.


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    Martin Meier-Schnüriger 24.11.2023 um 18:53
    Langsam, aber sicher beginnen unsere Bischöfe zu merken, dass mit diesem dualen System kein Staat, pardon: keine Kirche zu machen ist. Bischof Büchel bringt es auf den Punkt: Ja nicht austreten, damit die finanziellen Fleischtöpfe erhalten bleiben. Das Kirchenmitglied als Milchkuh, persönliche Überzeugung spielt keine Rolle. Ergo muss man diese Milchkühe bei der Stange halten, darf ihnen ja nicht mit irgendwelchen "übertriebenen" Forderungen kommen, für die ein gewisser Jesus von Nazareth schon vor 2000 Jahren keine Mehrheit fand und deshalb am Kreuz verblutete. Im sexuellen Missbrauch hat man nun das ideale Vehikel gefunden, diese lästigen Forderungen loszuwerden. Statt den Tatsachen in die Augen zu blicken und zuzugeben, dass gewisse Einzelpersonen in der Kirche mit dem 6. Gebot nicht klargekommen sind, behauptet man, die kirchliche Struktur sei schuld an der Misere. Keine Macht den Klerikern, und schon sind wir den Missbrauch los. Wenn's doch so einfach wäre ...!
  • user
    Hansjörg 24.11.2023 um 13:53
    Die Zahl 1002, die in der Studie festgehaltenen Missbrauchstaten in der Schweiz, ist wohl nicht in Stein gemeisselt. Auch wenn nun schon mehrfach ein Weltwochenbericht zugezogen wurde, der die Studie schlecht redet, werden die Zahlen wohl eher noch nach oben korrigiert werden müssen.
    So haben ähnliche Studien in Frankreich eine viel grössere Anzahl an Fällen belegt. Nämlich 330 000 Opfer von rund 3000 Tätern. Ebenso die Studie in Portugal mit 4800 Opfern.
    • user
      Martin Meier-Schnüriger 24.11.2023 um 19:02
      Zwei kleine Anmerkungen zu Ihrem Kommentar: Die Pilotstudie sagt nicht, was sie genau unter "sexuellem Missbrauch" versteht. Bei den 1002 Fällen wird sich vom Schulterklopfen bis zur Vergewaltigung alles finden, wobei letztere vermutlich im Promillebereich zu Buche schlägt. Und dass Frankreich und Portugal ungleich mehr Einwohner haben als die kleine Schweiz, sollte Ihnen eigentlich bekannt sein ...
      • user
        Hansjörg 25.11.2023 um 11:34
        Ja, Herr Meier-Schnüriger, die Zahlen sehen wie folgt aus:

        Schweiz 115 Fälle pro Mio. Einwohner
        Portugal 464 Fälle pro Mio. Einwohner
        Frankreich 4870 Fälle pro Mio. Einwohner

        Alle Studien beleuchten den Zeitraum von rund 70 Jahren.
        • user
          Ferdi23 26.11.2023 um 21:54
          nein Herr Hansjörg, "die" Zahlen sehen nicht wie Sie angeben aus:
          Ihre "Fälle" sind einmalig oder mehrfach angeblich vorgekommene
          Handlungen von Personen einer nicht genau beschriebenen Personengruppe aus einem willkürlich beschränkten Zeitraum von 70 Jahren. Wenn Sie die einfach zusammenzählen und in Bezug zur aktuellen (geschätzten) Einwohnerzahl eines aktuellen Staates setzen, kommt nur Unsinn heraus. Bespiel Frankreich (68 Mio E heute plus ungezählte weitere Aufenthalter) hatt i J 1950 rund 42 Mio E und i J 2012 rund 40 Mio Katholiken (und rund 10'000 Priester). Zählen Sie mal den rund 35'000 Wohnungseinbrüchen oder 50'000 polizeilich erfassten Gewaltstraftaten gegen Leib und Leben i J 2022 noch jene der letzten 70 Jahre dazu und berechnen Sie die Kriminalitätsbelastung in unserem kleinen Ländchen? Habe ich Sie erschreckt? Das täte mir leid.
  • user
    Stefan Fleischer 23.11.2023 um 19:09
    Was kaum irgendwo erwähnt wird, sei es bewusst oder unbewusst, ist die Erfahrung, dass jede Missbrauchsbekämpfung im sexuellen Bereich eher kontraproduktiv ist, solange je länger je mehr jede beliebige Art von sexueller Veranlagung und/oder Handlung als naturgegeben, also erlaubt, ja als ein Menschenrecht propagiert wird. Solange nicht wieder der tiefe Sinn der Sexualität im Schöpfungsplan Gottes «von den Dächern» verkündet und erklärt wird, sind alle diesbezüglichen Studien, Konferenzen und Papiere etc. reine Nebelgranaten, um die wahren Ursachen des Problems nicht wahrnehmen zu müssen. Überall wo Gott verdrängt wird, ist der Verwirrer von Anbeginn nicht fern.