Dieser Beitrag von Stefan Millius erschien zuerst auf Corrigenda
Die eigenen Soldaten will man in aller Regel nicht auf den Knien sehen. Jedenfalls nicht in einer Kriegssituation. Hier lag die Sache etwas anders. Es lief nur ein Wiederholungskurs, kurz WK, der Schweizer Armee, als das Bild entstand. Schüsse fielen keine, dafür Worte der Verehrung. Sie richteten sich an Allah.
Das Foto, das angeblich nicht hätte geschossen werden dürfen, zeigt Schweizer Armeeangehörige, die dem Islam angehören und in einer Übungspause gemeinsam beten. Es wurde danach medial verbreitet. Schwer zu glauben, dass wirklich ein offizielles Fotografierverbot geherrscht haben soll. Dafür wirkt das Ganze zu inszeniert. Aber das Ergebnis war ohne Frage eine Premiere: Ein gutes Dutzend Schweizer Soldaten auf den Knien gen Mekka gerichtet, während ihnen ihre Kollegen zuschauen.
Soweit die Geschichte, wie sie vor rund zwei Wochen publik wurde. Seither ist die Schweiz gespalten. Da sind die Toleranten, welche die Aktion mit Verweis auf die Religionsfreiheit verteidigen. Und auf der anderen Seite die Vertreter des christlichen Abendlandes, denen das alles zu weit geht und die darauf pochen, dass das Land nach wie vor christlich geprägt ist.
«Längst nicht mehr nur christlich»
Was auffällt, ist die Vehemenz, in der sich die katholische und die reformierte Landeskirche in die Debatte geworfen haben. Die Kirchenräte des Kantons Thurgau haben aus eigenen Stücken eine Stellungnahme publiziert, in der sie die «hasserfüllten Reaktionen» in den Leserkommentaren bei den elektronischen Medien kritisieren. Was da bei der Armee geschah, sei problemlos, denn: «Die Schweiz ist längst nicht mehr nur christlich.»
Das ist ohne Frage korrekt. Vor 50 Jahren waren noch über 95 Prozent der in der Schweiz lebenden Menschen christlichen Glaubens. Heute sind es noch etwas über 50 Prozent. Zugenommen hat vor allem der Anteil der Leute ohne Religionszugehörigkeit, sie stellen knapp ein Drittel aller Einwohner. Der Anteil der Muslime stieg von 0,2 (1970) auf 5,7 Prozent (2021).
Man kann nun gut argumentieren, dass eine solche wachsende Minderheit auch im Schmelztiegel der Schweizer Armee abgebildet sein muss. Immerhin haben wir es mit Leuten zu tun, die im Ernstfall bereit sind, das Land zu verteidigen. Dann sollen sie in diesem Rahmen ruhig auch ihrer Religion nachgehen können, solange sie das nicht gerade daran hindert, ihre militärischen Verpflichtungen zu erfüllen.
Aber warum brauchen die Muslime in Uniform als Fürsprecher ausgerechnet die christlichen Landeskirchen? Beziehungsweise: Wo sind diese, wenn die eigene Religion unter Druck steht? Warum äussern sich katholische und reformierte Kreise dann nicht so feurig, wenn die Inhalte oder Symbole ihrer eigenen Botschaft gefährdet sind?
Weg mit dem Kreuz, her mit dem Kopftuch
Denn die wachsende Toleranz gegenüber anderen Glaubensrichtungen geht einher mit einer schleichenden Intoleranz gegenüber dem Christentum. Kruzifixe in Schulen, Gipfelkreuze in den Alpen: Man kann heute alles ungestraft in Frage stellen – und das wird auch gemacht. Auf geharnischte Reaktionen aus kirchlichen Kreisen wartet man da allerdings vergeblich.
1990 fällte das Bundesgericht, die höchste juristische Instanz der Schweiz, das Urteil, wonach Kruzifixe in Schulzimmern gegen die Neutralität der öffentlichen Schule, wie sie die Verfassung fordert, verstossen. 2013 befand dasselbe Gericht, zwei muslimischen Mädchen sei es zu erlauben, mit Kopftuch in die Schule zu kommen. Zwar gab es ein Verbot in der Schulordnung am bewussten Ort, aber diesem fehle die «gesetzliche Grundlage».
Sprich: Ein Kreuz an der Wand kann die religiösen Gefühle anderer verletzen, Kopftücher aber nicht. Im Fall des Kruzifixes wollte das Bundesgericht vor über 30 Jahren ganz grundsätzlich werden, im Fall des Kopftuchs verschanzte es sich hinter fehlenden Grundlagen, statt beispielsweise einfach solche zu schaffen.
Das Kreuz hat sich inzwischen faktisch sowieso erledigt. Auch wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 2011 dann doch entschieden hat, dass es zulässig sei, ein solches in einem Schulzimmer aufzuhängen: Welcher Lehrer tut das heute noch? Die öffentlichen Schulen wurden generell weitgehend gesäubert von Traditionen und Werten, und keine Lehrkraft will sich dem Gegenwind stellen, den sie damit verursachen würde. In vorauseilendem Gehorsam verschwinden die Symbole des Gottes, der in der Verfassung immer noch angerufen wird.
Kreuze lösen «Traumata» aus
Parallel dazu gab es scheinbar unpolitische Vorstösse, um dem Kreuz den Garaus zu machen. Hugo Stamm, selbsternannter Sektenspezialist und in dieser Rolle über Jahrzehnte als Experte für Schweizer Medien tätig, befand einst, der Anblick eines Kruzifixes könne «Kinder und psychisch belastete Menschen ängstigen» und ein Trauma auslösen. Man solle die Situation an das «heutige moralische und ästhetische Empfinden» anpassen.
Wieso Stamm weiss, wie das heutige „moralische und ästhetische Empfinden“ aussieht, ist nicht überliefert. Aber Kopftücher sind für ihn offensichtlich in Ordnung. Während der ans Kreuz geschlagene Jesus, der vor nicht so langer Zeit omnipräsent war im öffentlichen Raum und als Halsschmuck, nun offenbar die Psychiatrien des Landes füllt.
Dass die Schweizer Landeskirchen lieber Politik machen, als das Wort Gottes zu verkünden, ist nicht neu. Ihr Kampf gilt den Reichen, den Umweltverschmutzern, den Staatskritikern. Ihren Wertekompass haben sie längst verloren. Dass aber Symbole des christlichen Glaubens ohne Gegenwehr verschwinden können und sich führende Katholiken und Reformierte stattdessen lieber für betende Muslime bei der Armee in die Schlacht werfen: Das verstehe, wer will.
Originalbeitrag auf Corrigenda
Kommentare und Antworten
Bemerkungen :
Es wurde erwartet, dass die beiden den Gottesdienst mitgestalten würden. Der Schulleiter hat ihnen jedoch verboten (!), dabei mit den Kindern das Vaterunser zu beten.
«Wenn wir ohne das Kreuz gehen, wenn wir ohne das Kreuz aufbauen und Christus ohne Kreuz bekennen, sind wir nicht Jünger des Herrn: Wir sind weltlich, wir sind Bischöfe, Priester, Kardinäle, Päpste, aber nicht Jünger des Herrn.» Selbst unser Heiliger Vater scheint sein programmatisches Wort an die Kardinäle nach seiner Wahl vergessen zu haben.
http://www.vatican.va/content/francesco/de/homilies/2013/documents/papa-francesco_20130314_omelia-cardinali.html
Besuchen Sie einmal die Gebets- und Sühnenacht in der Kirche "Maria Lourdes" in Zürich-Seebach (immer am Herz-Jesu-Freitag). Dort können Sie bei der Kreuzwegandacht bei jeder Station das "Wir beten Dich an, Herr Jesus Christus ..." hören und mitbeten. Wer wirklich christlich unterwegs ist, weiss sehr wohl, dass wir nur durch das Kreuz erlöst worden sind.
Als dies meinem inzwischen längst verstorbenen Schatz noch möglich war, waren wir auch einige Male in der Kirche "Maria Lourdes" in Zürich-Seebach zur Sühnenacht, aber auch in Fribourg. Intensiver wurde dann meine Beziehung zum Kreuzesmysterium, als ich versuchte eine eigene Kreuzwegbetrachtung zu schreiben. Diese wurde schliesslich nicht publiziert. Erschienen ist dagegen «Gottes Kraft und Gottes Weisheit – eine kleine Kreuzesmystik». Das Büchlein stiess aber auf sehr wenig Interesse.
Das erwähnte Zitat von unserem Heiligen Vater hat vor einiger Zeit wieder mein Interesse für diesen Aspekt unseres Glaubens neu geweckt. Kürzlich fiel mir auch plötzlich auf, wie sehr die Kreuzwegandachten in unserern Kirchen weitgehend verschwunden sind. Auch dass in meiner Jugend noch bei jedem Heiligen Messopfer ein Kreuz auf oder hinter dem Altar stand, so, dass der Priester in Richtung des Kreuzes zelebrierte. Auch diese Erinnerung an den Opfercharakter der Heiligen Eucharistie verschwand stillschweigend mit dem Paradigmenwechsel von der Erlösungstheologie zur Befreiungstheologie, von der Gottzentriertheit der Kirche meiner Jugend zur Menschzentriertheit von heute.
Ja, wenn wir nicht mit dem Kreuz gehen, wo eine (neue, andere) Kirche ohne das Kreuz aufgebaut werden soll, und das Kreuz zum mehr oder weniger sinnentleerten Logo des Christentums verkommt, brauchen wir uns über den heutigen Zustand von Kirche und Welt nicht zu wundern.