Adam und Eva von Lucas Cranach dem Älteren, 1528, Nationalmuseum in Warschau.

Kommentar

Maria 2.0: Zurück auf Feld 1

Die in der deut­schen Kir­chen­re­volte beliebte Initia­tive «Maria 2.0» ist ein gutes Bei­spiel für jene Sucht nach Frei­heit, die in Wirk­lich­keit in die Skla­ve­rei führt. Die betref­fen­den Damen soll­ten sich denn auch in «Eva 2.0» umbenennen.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Corrigenda

Es ist Stimmung in der deutschen katholischen Kirche. Zwar keine gute, aber es ist was los. Wer den Wasserstand des Stimmungstiefs ermessen will, sollte regelmässig die von den deutschen Bischöfen alimentierte Internetseite katholisch.de aufsuchen. Dort enthüllt sich in einer Mischung aus sensationslüsterner Journaille und masochistischem Voyeurismus die ganze Verkommenheit des deutschen Katholizismus.

Kein Tag, an dem nicht die Kirche als geistliche Institution infrage gestellt und in das Rampenlicht soziologischer Verhöre gestellt wird. Berichte von Missbrauchsfällen geben sich in der Stafette um den besten Eyecatcher in der Skandalisierung den Stab aus Kriegsberichterstattungen über den Kampf um Reformen und moderne Reformationen, aus genüsslich präsentierten Kirchenaustrittszahlen und dem stets gegenwärtigen Blick nach Rom auf den sprunghaften und vielgesichtigen Papst und seine ebenso heterogene Mitarbeitertruppe in die Hand.

Die Kirche ist unzerstörbar, obwohl sie auf Menschenfundament errichtet ist
Was dabei in der Regel fehlt, ist die Sichtweise, die das Evangelium auf die Kirche hat. Sie ist gänzlich anders und lässt den modernen Zuschauer, der sich derzeit in der Medienarena an den Makeln der Kirche und ihrem «quälenden Tod vor den Augen der gesellschaftlich Öffentlichkeit» (Thomas Schüller) ergötzt, die Augenbrauen hochziehen. Am vergangenen 29. Juni, dem Fest der Apostel Petrus und Paulus, wurde in der katholischen Welt an diese entscheidende Dimension erinnert: «Du bist Petrus, der Fels», sagt Christus zu dem schlichten Fischer Simon vom See Genezareth, «und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen und die Pforten der Unterwelt werden sie nicht überwältigen» (Mt 16,18).

Darin liegt die entscheidende Gründerabsicht Jesu Christi. Die Kirche ist unzerstörbar, obwohl sie auf einem Fundament errichtet ist, das aus Menschen besteht. Sie ist Schale für Gottes Trank, der durch manchen Sprung in der Schüssel nicht weniger wert wird. Die Welt wird nicht entmaterialisiert, und dennoch wird sie vergöttlicht durch die Menschwerdung Jesu Christi. Gott nimmt Fleisch an, das dadurch weder entbeint noch vergötzt wird.

Die Welt ist der Ort des Heils, seit Christus, der «neue Adam», den Schuldbrief des alten Adam zerrissen hat. Der Erlöser heilt durch sein freiwillig gelebtes und geopfertes Leben den Riss, den die Anmassung des ersten Menschen, wie Gott sein zu wollen, in die Welt getragen hat. Die Heillosigkeit des Irdischen, die in seiner Unfähigkeit liegt, sich selbst der eigenen Vergänglichkeit zu entledigen, wird aufgehoben, indem das Irdische einen irdischen Weg findet, in das Ewige zu gelangen. Und das ist: die Kirche!

Eine Spur zum Paradies
Natürlich ist dies eine Zumutung. Das bestreitet niemand, am wenigsten derjenige, der sich selbst als Gottmensch der Welt zumutet. Der Fall in die Versuchung, selbst Gott zu sein, hatte Adam und Eva des geschenkten Paradieses beraubt und sie zur Strafe ihrer ebenfalls geschenkten und missbrauchten Freiheit dazu verurteilt, künftig im Schweisse ihres Angesichts ihr Brot zu essen.

Der neue Adam, Christus, der ganz und gar Mensch ist und ganz und gar Gott, nimmt diesen Fluch hinweg. Er verzaubert nicht die Erde zum Spieleparadies, aber er legt in ihr eine Spur, damit die Menschen mitsamt ihren Schwächen und Belastungen und vor allem mitsamt ihren drückenden Freiheiten, die heute Glück und morgen Abgrund bedeuten, einen erneuten Zugang zu dem Paradies erlangen, das nicht in dieser Welt liegt.

Vielleicht ist es sogar das eigentliche, erbsündliche Missverständnis, zu vermuten, dass der Mensch, wenn er vom Baum der Erkenntnis gegessen hat, sich selbst zum Herrn über Gut und Böse machen kann. Die teuflische Einrede verspricht ja genau dies: Ihr werdet sein wie Gott. Die Vertreibung aus dem Paradies ist die Quittung für diese Anmassung. So war es zumindest die Sichtweise in der Menschengeschichte mit Gott über die Jahrhunderte hinweg. Zwar ergriffen in den verschiedenen Epochen – vor allem seit der Aufklärung – eine Reihe von alternativen Erlösern die Fahne und proklamierten, wie Immanuel Kant, Karl Marx, Friedrich Nietzsche oder Michel Foucault, den Ausgang aus dem Elend als Umzug aus dem geschenkten Gottesgarten in das eigene Gärtlein der Selbstfindung und -verwirklichung.

Der alte Trug, dem die Menschen aufsitzen
Aber: «Die Strafe dessen, der sich sucht, ist, dass er sich findet» (Nicolás Gómez Dávila). Ja, in der Tat: es ist der alte Trug, dem die Menschen aufsitzen, wenn sie der Schlange gehorchen, nach dem Erkennen Gottes zu greifen und – mal konstruierend, mal dekonstruierend, mal produzierend und mal richtend oder gar vernichtend – nach dem Bauplan der Wirklichkeit zu greifen. Die Sache geht immer schief. Denn am Ende sieht der Mensch tatsächlich immer nur sich selbst in dem ihm von allen Seiten vorgehaltenen Spiegel.

Es gehört darum unter den gegenwärtigen Tragödien, die sich in der katholischen Kirche unseres Landes abspielen, zu den am weitreichendsten, dass sich in ihr gewaltige Mehrheiten entschieden haben, der Versuchung zu erliegen, Gott auf Augenhöhe zu begegnen und darin dem uralten Revolutionsmuster zu verfallen, das dem Menschen stets das Paradies kostet. Unter dem Vorwand der Krisenbewältigung lösen sie die eigentliche, die vernichtendste Krise aus.

Immer wieder geht es um das alte Bedürfnis nach Autonomie. Man will selbst die Regeln bestimmen, nach denen gelebt und geglaubt wird und sich keinem Gott unterordnen, der eine Kirche gegründet hat, die den Anspruch des Heilsinstruments hat, obwohl sie aus in der Regel recht unheiligen Menschen besteht. Gerade in dieser Sucht nach Freiheit liegt aber der Grund für die Sklaverei, in die Menschen geraten, wenn sie sich von der Wahrheit befreien, die Gott ist.

Christliches Paradoxon: Im Gehorsam liegt die Freiheit
Die in der deutschen Kirchenrevolte prominente Initiative «Maria 2.0» ist dafür das beste Beispiel. Unter dem Vorwand, die Botschaft Jesu authentisch zu leben, flüstert die Schlange den Aktivistinnen ein, das Lebensgefühl sei der Gott, den Jesus ihnen zeige. Und tatsächlich: Nach dem Biss in den Apfel sehen die Damen die Welt anders. Vordergründig bekämpft man männerbündische Machtstrukturen, die bislang verhindert haben, dass es zur Freiheit kommen konnte. In Wahrheit aber erliegt man der für Frauen und Männer gleichermassen gefährlichen Abnabelung von dem, was Gott – ohne den Menschen und sein Lebensgefühl dabei gefragt zu haben – als Wirklichkeit ins Werk gesetzt hat.

Von daher ist die Titulierung gänzlich schlecht und ihrerseits verführerisch bis betrügerisch gewählt. Denn «Maria» ist der Name derer, die durch das unbedingte und vollkommen unautonome «Ja» zum Willen Gottes seine Mutter geworden ist. Das Paradoxon der christlichen Religion besteht eben gerade in der Einsicht, dass im Gehorsam die Freiheit liegt und in der Abkehr von den menschheitsgeschichtlich uralten Selbsterlösungsbedürfnissen das Finden des eigenen Ich. Denn das Ich kann immer nur so sehr es selbst sein, wie es bereit ist, in der Ordnung zu leben, die Gott im Garten Eden aufgestellt hat.

Das ist harte Kost für Menschen, die den Auszug aus dem Paradies weniger als Folge eines Sündenfalls, denn als begrüssenswerte Folge einer Revolution empfinden, bei der der Mensch sich und seine Bedürfnislage hat durchsetzen können. Deswegen wäre es an der Zeit, den Namen der Initiative umzubenennen. Allein um der Authentizität willen.

Die Kirchenreformation 2.0 ist keine Überraschung
Denn was man ist und sein will, ist ja «Eva 2.0» – jene Frau mit gesteigertem Bedürfnis nach Durchsetzung ihres Willens Gott gegenüber. Die Reformatorinnen sind sich ja schliesslich darin einig, dass es ein offensichtlicher Fehler war, so zu sein, wie Maria, die fraglos das tut, was Gott sagt und deswegen in der christlichen Tradition die «neue Eva» genannt wird, die im Gegensatz zur alten Eva gehorsam ist und deswegen den «neuen Adam», Christus, zur Welt bringt, der die autonome Welt wieder mit Gott verbindet, soweit sie es möchte.

Die Kirchenreformation 2.0, die sich derzeit in der katholischen Kirche Deutschlands entfesselt, ist aber keine Überraschung. Sie ist vielmehr das Ergebnis einer jahrzehntelang erfolgreich kirchenamtlich unterstützten Autonomiebewegung, die die Kirche als Kirche abschaffen will. Und dafür die Freiheit des alten Adam und seiner Gefährtin fordert, wie Gott zu sein. Dieser neue Sündenfall innerhalb der Kirche, den neuen gegen den alten Adam zurückzutauschen, wird nicht ohne Folgen bleiben, wenn man ihn weiter als lebensnah und zeitgemäss hofiert.

Denn auch wenn die Damen der Initiative «Maria 2.0» den Namen der Gottesmutter gekapert haben, es ändert nichts daran, dass sie als «Eva 2.0» agieren und durch ihre penetrante Werbung dafür, in den Apfel der Lebenswirklichkeiten zu beissen, den Menschen unserer entgotteten Tage das Paradies aufs Neue verschliessen. Man muss vermuten: aus Unwissenheit darüber, was die Kirche ist. Weswegen die Hoffnung bleibt, die Gertrud von le Fort in ihren «Hymnen an die Kirche» (1924) besingt:

«Ich möchte mein Haupt eine Stille lang in deinen Schoss legen! Ich möchte eine Hoffnung lang in deinen Armen rasten! Aber du bist keine Herberge am Wege, und deine Tore öffnen sich nicht nach aussen: Keiner, der dich fahren lässt, hat dich erfahren! Du sprichst zu den Zweifelnden: ‹Schweiget›, und zu den Fragenden: ‹Kniet nieder!› Du sprichst zu den Flüchtigen: ‹Gebt euch preis›, und zu den Flügelnden: ‹Lasst euch fallen!› An dir wird jede Wanderschaft lahm, und jede Wallfahrt findet an dir nach Hause. Darum flüchten meine Tage vor dir hin, wie der Windstoss hinflüchtet vor der Stille. Aber ich weiss, dass ich dir nimmermehr entkomme, denn wahrlich, so wie du verfolgst, kann nur Gott verfolgen!»
 

Originalbeitrag auf Corrigenda


Corrigenda


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    Gabriela Ulrich 07.07.2023 um 18:43
    Sehr geehrter Herr Dahinden

    Auf der Website www.mariazweipunkt.de, Materialien unter Maria 2.0 in Aktion ist unter Impuls "Jesus ist nicht katholisch" die Aussage, Jesus sei kein Christ gewesen publiziert. Ich finde es gut, dass Ihnen diese Aussage stört. Mir geht es genau so. Für mich ist es nicht nachvollziehbar, dass Bischöfe in Deutschland und in der Schweiz nichts gegen Thesenanschlag 2.0, Materiealien oder Statuten unternehmen. Wenn in den Bistümern einfach Vereine geduldet werden, die gar nicht katholisch sind, ist das ein falsches Signal. Vereinigungen, die sich gegen die Kirche Jesu Christi wenden, schaden immer der Einheit der Kirche. Die Kirche ist so nicht glaubwürdig.
  • user
    Gabriela Ulrich 06.07.2023 um 10:56
    Ja der Titel Maria 2.0 ist, wie der Beitrag von Corrigenda darlegt, wirklich irreführend. Wie im Thesenanschlag 2.0 steht: Denn die offiziell gelehrte Sexualmoral ist lebensfremd und diskriminierend. Sie orientiert sich nicht am christlichen Menschenbild und wird von der Mehrheit der Gläubigen nicht wahrgenommen. Passt zu Eva 2.0. Weiter steht: In unserer Kirche ist die zölibatäre Lebensform keine Voraussetzung für die Ausübung eines Weiheamtes. Die Abschaffung der Kirche bestätigt sich Impuls "Jesus ist nicht katholisch" von Maria 2.0: Immer dann, wenn Tradition und Lehre wichtiger genommen werden, als die Frage danach wie Jesus wirklich gelebt hat. Und es ist so: Jesus war weder katholisch noch evangelisch, kein Christ. Er war ein Gläubiger Jude.
    Diese Reformatorinnen halten sich absolut nicht an die Lehre der Kirche und an die Tradition. Der Name der Gottesmutter Maria wird von ihnen missbräuchlich verwendet. Ausserdem lehnen sie die Hierarchie der Kirche ab. Der Reformatorinnen können auch mit Heiligung der Frauen nichts anfangen. Das heisst, dass von diesen Frauen kein Wille da ist, Christus nachzufolgen. Da die Organisation Maria 2.0 die Lehre und die Tradition der Kirche ablehnt, steht sie im völligen Wiederspruch mit der Einheit der Kirche. Es gibt nun einmal Organisationen, wie die Maria 2.0, wo die Statuten, gemäss Thesenanschlag 2.0 nicht der Kirche entspreche, weshalb die römische-katholische Kirche sie aberkennen muss. Das ist bis heute nicht geschehen! Die Bischöfe in Deutschland und auch in der Schweiz sind ihrer Hirtenaufgabe betreffend Maria 2.0 bez. Eva 2.0 absolut nicht nachgekommen. Eine solche Nachlässigkeit ist nicht tolerierbar. Darum bete ich um einen guten, heiligmässigen Bischof als Nachfolger, der die Ordnung Christi wiederherstellt.
    • user
      Michael Dahinden 07.07.2023 um 14:38
      Sehr geehrte Frau Ulrich,
      Sie haben Recht, aber doch stört einen die Aussage, Jesus sei kein Christ gewesen. Muss das wirklich sein? Gewiss verkündigen grosse Peofessoren dasselbe, aber es ist halt anders. Im übrigen volle Zustimmung zu Ihnen.