Papst Franziskus. (Bild: © Mazur/catholicnews.org.uk/flickr, CC BY-NC-ND 2.0 Deed)

Weltkirche

Mas­sive Kri­tik an Papst Franziskus

Die jüngs­ten Äus­se­run­gen von Papst Fran­zis­kus zu Frie­dens­ver­hand­lun­gen in Russ­lands Angriffs­krieg gegen die Ukraine haben inter­na­tio­nal viel Kri­tik und wenig Zustim­mung aus­ge­löst. Vor allem in Ost­eu­ropa mel­de­ten sich Regie­run­gen zu Wort und wie­sen die Worte des Paps­tes vehe­ment zurück.

Papst Franziskus gab Anfang Februar dem Schweizer Sender RSI ein Interview, das am 20. März ausgestrahlt wird. «VaticanNews» hat den Wortlaut bereits am vergangenen Samstag veröffentlicht. Die Antwort des Papstes stiess international auf Unverständnis und Entsetzen.

Der Journalist Lorenzo Buccella fragte: «In der Ukraine gibt es diejenigen, die den Mut zur Kapitulation, zur weissen Fahne fordern. Aber andere sagen, dass dies die Stärksten legitimieren würde. Was sagen Sie dazu?» Papst Franziskus antwortete wörtlich: «Das ist eine Interpretationsweise. Aber ich denke, dass der stärker ist, der die Situation erkennt, der an das Volk denkt, der den Mut zur weissen Flagge hat, zu Verhandlungen. Und heute kann man mit der Hilfe der internationalen Mächte verhandeln. Das Wort ‹verhandeln› ist ein mutiges Wort.» Und später in einem allgemeinen Zusammenhang: «Wenn man sieht, dass man besiegt wird, dass die Dinge nicht gut laufen, muss man den Mut haben, zu verhandeln. Du schämst dich, aber wie viele Tote wird es am Ende geben? Verhandle rechtzeitig, suche ein Land, das vermittelt.»

Dazu schrieb der lettische Präsident Edgars Rinkevics auf der Online-Plattform X: «Man darf vor dem Bösen nicht kapitulieren, man muss es bekämpfen und besiegen, damit das Böse die weisse Fahne hisst und kapituliert.» Auf derselben Plattform parierte der polnische Aussenminister Radoslaw Sikorski die Äusserungen des Papstes wie folgt: «Wie wäre es, zum Ausgleich Putin zu ermutigen, den Mut zu haben, seine Armee aus der Ukraine zurückzuziehen? Dann wäre sofort Frieden, Verhandlungen bräuchte man nicht.»

Der ukrainische Aussenminister Dmytro Kuleba schrieb ebenfalls am Sonntag auf X, der Stärkste sei derjenige, «der im Kampf zwischen Gut und Böse auf der Seite des Guten steht, anstatt zu versuchen, sie auf eine Stufe zu stellen und es ‹Verhandlungen› zu nennen». Kuleba erinnerte summarisch an das Verhalten des Vatikans gegenüber dem Dritten Reich und schrieb: «Ich dränge darauf, die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen und die Ukraine und ihr Volk in ihrem gerechten Kampf um ihr Leben zu unterstützen.»

Mit Blick auf die Zukunft schrieb Wolodymyr Selenskyjs Aussenminister: «Wir hoffen weiterhin, dass der Papst nach zwei Jahren verheerenden Krieges im Herzen Europas die Gelegenheit finden wird, der Ukraine einen apostolischen Besuch abzustatten, um über eine Million Katholiken, über fünf Millionen griechisch-katholische Christen, alle Christen und alle Ukrainer zu unterstützen.»

Ähnlich wie Dmytro Kuleba hatte zuvor der ukrainische Botschafter beim Heiligen Stuhl, Andrij Jurasch, mit einem historischen Vergleich argumentiert. Er fragte auf X, ob es im Zweiten Weltkrieg jemandem ernsthaft in den Sinn gekommen sei, mit Hitler über Frieden zu sprechen und die weisse Fahne zu schwenken, um ihn zu befrieden. Mit Blick auf Moskau und Putin fügte er hinzu, die Lektion aus der Geschichte sei: «Wenn wir den Krieg beenden wollen, müssen wir alles tun, um den Drachen zu töten!»

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj dankte am Sonntagabend in seiner täglichen Videoansprache allen Geistlichen, die an der Frontlinie die ukrainischen Streitkräfte mit Gebeten, Gesprächen und Taten unterstützten und das Leben und die Menschlichkeit schützten. Ohne den Papst zu erwähnen, fügte Selenskyj offenbar an ihn gerichtet hinzu: «Das ist, was die Kirche ist: zusammen mit den Menschen sein, nicht zweieinhalbtausend Kilometer entfernt, irgendwo, um virtuell zu vermitteln zwischen jemandem, der leben will, und jemandem, der dich zerstören will.»

Der Gesamtukrainische Rat der Kirchen und Religionsgemeinschaften kritisierte die Papst-Äusserung mit noch deutlicheren Worten. Wenn sich die Ukraine «der Gnade des Feindes» ergeben würde, habe das «nichts mit Frieden zu tun», sondern bedeute den «Sieg der Sklaverei über die Freiheit», betonte das Gremium ebenfalls am Sonntagabend. «Vor dem triumphierenden Bösen zu kapitulieren, kommt einem Zusammenbruch der universellen Idee der Gerechtigkeit gleich, einem Verrat an den grundlegenden Leitlinien, die uns in den grossen spirituellen Traditionen vermacht wurden.» Deshalb segne man die Gläubigen bei der Verteidigung ihres Landes und werde dies auch weiterhin tun. Ebenso werde man weiter «für den Sieg über den Feind und einen gerechten Frieden» beten.

Dem Rat gehören 15 Glaubensgemeinschaften – christliche, jüdische und muslimische – sowie die ukrainische Bibelgesellschaft an. Damit repräsentiert er nach eigenen Angaben mehr als 95 Prozent der religiösen Gemeinden des Landes.

In Rom distanzierte sich der deutsche Botschafter beim Heiligen Stuhl, Bernhard Kotsch, klar vom Vorschlag des Papstes und twitterte: «Russland ist der Aggressor und bricht internationales Recht! Deshalb fordert Deutschland Moskau auf, den Krieg zu stoppen, und nicht Kyjiw (Kiew)!»

Aus New York, wo er dort lebende ukrainische Gemeinden besuchte, meldete sich Kiews griechisch-katholischer Grosserzbischof Swjatoslaw Schewtschuk zu Wort. Er erklärte in einer Ansprache, die Ukraine sei verwundet, aber unbesiegt. Sie werde wieder aufstehen. Wenn Russland die Ukraine weiter erobere, vergrössere sich die Todeszone. Der Geistliche erinnerte an das Massaker an ukrainischen Zivilisten in Butscha bei Kiew 2022.

Auch die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock zeigte sich konsterniert: Man könne manche Dinge nur verstehen, wenn man sie selbst gesehen habe. Konkret nannte sie Kindergärten, die in der Ukraine angegriffen und Jugendliche, die von Russen verschleppt wurden. «Wo ist da der Papst?» lautet ihre  rhetorische Frage. Mut heisse, sich an die Seite der Menschen in der Ukraine zu stellen und alles zu tun, damit sich dieses Land verteidigen könne. Von einer russischen Gesprächsbereitschaft sei nirgends etwas zu sehen – im Gegenteil.

Bezeichnend sind Reaktionen der russischen Staatspropaganda auf die Äusserungen des Papstes. Dort erklärte die Sprecherin des Aussenministeriums, Maria Sacharowa, Franziskus habe eigentlich nicht Kiew, sondern dem Westen geraten, Verhandlungen zu beginnen. Leider habe der Westen das ukrainische Volk und den Weltfrieden geopfert, um seine Ziele zu erreichen. Nun bitte der Papst «den Westen, seine Ambitionen aufzugeben und einen Fehler zuzugeben», sagte Sacharowa laut der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Tass; sie fügte hinzu, Russland habe nie Verhandlungen blockiert. Tatsächlich hatte Russlands Präsident anfangs 2022 eine diplomatische Offensive westlicher Politiker ignoriert und seitdem jedes Gesprächsangebot ausgeschlagen.

Versuch einer Relativierung
Vatikansprecher Matteo Bruni bemühte sich um Schadensbegrenzung. Der Papst habe «vor allem zu einem Waffenstillstand aufrufen und den Mut zu Verhandlungen wiederbeleben» wollen.

Es war vor allem die Rede von der «weissen Fahne», die zu Recht Kopfschütteln und Entsetzen hervorruft. Völkerrechtlich ist in der Haager Landkriegsordnung von 1899 festgeschrieben, dass derjenige, der kapitulieren will, sich durch eine weisse Fahne kennzeichnet und damit geschützt ist.

Doch auch eine andere Aussage von Papst Franziskus im gleichen Interview ist fragwürdig: «Zum Krieg gehören immer zwei. Die Unverantwortlichen sind diese beiden, die den Krieg führen.» Im Falle der Ukraine gilt dies nicht: Für eine Invasion braucht es nur eine Kriegspartei, hier Russland, das am 24. Februar 2022 eine militärische Invasion gegen das souveräne Nachbarland startete.

Es ist nicht das erste Mal, das Papst Franziskus mit seinen Äusserungen weltweites Kopfschütteln auslöst. Während er immer wieder die vielen unschuldigen Opfer auf beiden Seiten beklagt, vermeidet er konstant eine eindeutige Verurteilung des russischen Angriffs. Nach Kiew wolle er erst reisen, nachdem er Moskau besucht und Wlaidmir Putin getroffen habe, erklärte er gegenüber der italienischen Zeitung «Corriere della Sera».
Im vergangenen August sprach er in einer Videokonferenz mit russischen Jugendlichen. Dabei sagte er: Vergesst nie euer Erbe. Ihr seid die Erben des grossen Russlands. Das grosse Russland der Heiligen, der Könige, des grossen Russlands von Peter dem Grossen, von Katherina der Grossen.» Dass Wladimir Putin mit seinem Angriffskrieg genau dieses imperiale Russland wieder aufbauen will, scheint der Papst nicht zu realisieren. Auf entsprechende Kritik meinte er, er hätte sich nur auf die Kultur des Landes bezogen.
In seiner Weihnachtsansprache Ende 2023 nannte er die Rüstungsindustrie «Händler des Todes» und kritisierte, dass der Ukraine-Krieg dazu genutzt werde, um neue Waffen zu testen.

Papst Franziskus leidet bestimmt unter den vielen Kriegen, die derzeit auf der Welt herrschen, und seine Sehnsucht nach Frieden ist ehrlich, doch solche geschichtsblinden, realitätsfernen Äusserungen sind kontraproduktiv und tragen alles andere als zu dem von ihm gewünschten Frieden bei. Und für die ukrainischen Bischöfe wird es immer schwieriger, den täglich unter dem Krieg leidenden Gläubigen die Aussagen des Papstes zu vermitteln.


KNA/Redaktion


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    Peter Schweizer 14.03.2024 um 21:42
    Unsoziale Forderung des Papstes?
    Mit seiner Forderung nach Verhandlungen und einem Stopp des Tötens zerstört der Papst Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie! Das ist unsozial würden Zyniker sagen. In diesem Krieg wollen die USA "bis zum letzten Ukrainer" kämpfen. Es geht nicht darum der Ukraine zu helfen. Es geht darum Russland zu schwächen. Als Hauptgegner sehen sie später allerdings China. Das ist die offizielle US Strategie. Das Minsker Abkommen wurde – inzwischen offiziell zugegeben – nur abgeschlossen, um für die Aufrüstung der Ukraine gegen Russland Zeit zu gewinnen. Die Rüstungsindustrie boomt heute, die Ukrainer liefern die Toten und alle Schuld kann den Russen zugeschoben werden. Deshalb muss der Krieg jetzt weitergehen. Wer die Zusammenhänge durchschaut muss dem Papst Recht geben. Es macht keinen Sinn noch mehr Geld und Tote in ein aussichtsloses Projekt zu stecken. Das ist nicht nur unwirtschaftlich, sondern auch dumm und vor allem unethisch.
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    Pirmin Meier 12.03.2024 um 19:28
    Diese Kritik, besonders Strack-Zimmermann und Baerbock, steht in keinen Proportionen auch im Vergleich zu den Forderungen nach Frieden in Vietnam vor ca. 66 Jahren; die Forderung wurde akzeptiert, obwohl sie umstritten war, als legitimes Anliegen. Noch was: nach dem Vietnamkrieg mit Flüchtlingen ehrlich gesagt von ganz anderer Qualität als die aus der Ukraine, interessierte sich niemand mehr für Vietnam; dies wäre indes bei der Ukraine nach Kriegsende mit Sicherheit nicht der Fall. Vietnam ist übrigens eine kommunistische Diktatur.
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    Stefan Fleischer 11.03.2024 um 16:16
    Ceterum censeo
    Da war unser Landesvater, der Heilige Bruder Klaus, der bessere Diplomat, als er den hoffnungslos zerstrittenen Eidgenossen klar machte:
    «Friede ist allweg in Gott, denn Gott ist der Friede.»
    • user
      Meier Pirmin 13.03.2024 um 14:01
      Die Pointe der "Friedensarbeit" von Bruder Klaus war, dass er zumal die Scharfmacher in Ob- und Nidwalden, besonders seine eigenen Obwaldner Landsleute, mit seiner Friedensbotschaft zu zähmen versuchte, was die Vertreter der Städteorte sowie auch der Habsburger Herzog Sigismund, der die Ranftkapelle reich bedachte, sehr wohl realisierten. Für die Bergler gehörte ab dem Zürichkrieg bis zu Marignano und noch später die kriegerische Lösung von Problemen quasi zum Brauchtum. Auch den Entlebuchern, die sich von Luzern freimachen wollten, begegnete Bruder Klaus zurückhaltend. Sie beriefen sich dann später lieber auf Tell. Für den Philosophen Troxler war Bruder Klaus noch im 19. Jahrhundert zu sehr "juste milieu", er kritisierte den Frieden von Stans, der übrigens die regierenden Voll-Eidgenossen zu gegenseitiger Unterstützung gegen Aufstände im Innern vertraglich verpflichtet, u.a. die Rechtsgrundlage beim Vorgehen im Bauernkrieg 1653. Bruder Klaus hat den Frieden selbst einer unvollkommenen kritisierbaren Ordnung gegenüber vorgezogen. Dies galt nachweisbar auch dem Umgang mit Mailand, was der Herzog zu schätzen wusste gemäss seinem Gesandten Imperiali, für den Bruder Klaus einen Besuch wert war. Warum? Weil er friedliche Lösung vorzog, was den militärisch für sich allein schwachen Mailändern entgegenkam. So, dass sie mit der Zeit ihre Verteidigung bis Marignano und später den Eidgenossen überliessen, dafür ausser Sold auch die Bildung in Mailand und Pavia finanzierten, schon seit Bruder Klaus Zeiten gab es Stipendien für die Schweizer. So wie der König von Frankreich den Sohn von Bruder Klaus und andere Obwaldner gratis in Paris studieren liess. Gegenleistung waren die Soldverträge.