(Bild: Mike Kononov/Unsplash)

Mit spitzer Feder

Matri­ar­chat? Patri­ar­chat? Sekretariat!

Her­man Greu­lich, Ikone der Schwei­zer Arbei­ter­be­we­gung, musste schon vor 100 Jah­ren ernüch­tert fest­stel­len: «Am Anfang war das Matri­ar­chat, dann kam das Patri­ar­chat, und jetzt haben wir das Sekretariat.»

Ob abgekupfert oder Eigengewächs: Was der Gründer der ersten sozialdemokratischen Partei der Schweiz mit wachem Blick auf die schon damals wuchernde Bürokratisierung so locker vom Hocker auf den Punkt brachte, hat einen ernsten gesellschaftlichen Hintergrund. Ob die von seinem Zeitgenossen Johann Jakob Bachofen vertretene These, bei der Taufe aller frühen Kulturen sei das Matriarchat Patin gestanden, zutrifft, sei dahingestellt. Fest steht hingegen, dass das von feministischen Fundis geradezu inbrünstig bis zum Überdruss repetierte Mantra, das Patriarchat sei für alle Übel der Welt verantwortlich, mit der Realität nichts zu tun hat. Was auch nur entfernt in den Ruch des «Patriarchalischen» zu geraten droht, wird umgehend mit einem Bannfluch belegt, dem klassischen kirchlichen Anathem verblüffend ähnlich.

Mit fatalen Folgen: Im Wort «Patriarchat» steckt das Wort «Pater», das wiederum mit Verantwortungsbewusstsein und Fürsorgepflicht zu tun hat. Beispielhaft für diese Haltung stehen in meinem Winterthurer Wohnort die das Stadtbild architektonisch bereichernden Arbeitersiedlungen, die von sozial eingestellten Patrons wie Sulzer und Rieter errichtet wurden. Dieser Geist der sozialen Verantwortung hat sich inzwischen weitgehend verflüchtigt. Stattdessen fallen McKinsey- und PricewaterhouseCoopers-Typen wie Heuschrecken in Unternehmen ein, durchforsten mit ihren auf Effizienz- und Profitmaximierung getrimmten Checklisten die hinterste Ecke, um Firmen für den gnadenlosen Konkurrenzkampf fit zu trimmen. Das Resultat ist fast immer das gleiche: Vorwiegend älteres Personal wird auf die Strasse gestellt, die Heuschrecken verschwinden mit einem fetten Bonus im Sack auf der Suche nach dem nächsten Opfer so schnell, wie sie gekommen sind. Verantwortung für die «Gesundschrumpfung» bleibt dann anderen überlassen.

Was bleibt, ist der Ruf nach dem Staat, der das Ganze wieder ins Lot bringen soll (vgl. Swissair, UBS & Co.). Der Preis: Eine durch und durch bürokratisierte, anonyme Arbeitswelt, wo sich Einzelmasken um den je lukrativeren Job balgen. Wenn auch nur in abgewandelter Form, so doch allemal eindrücklich liefern die Deutsche Bischofskonferenz und das Zentralkomitee (nomen est omen) der deutschen Katholiken ein anschauliches Beispiel eines aus Regionalkonferenzen, Synodalforen, Synodalpräsidium und Synodalversammlung zusammengeschweissten Bürokratiemonsters – «Synodaler Weg» genannt.

Wohl keiner hat dieses düstere Szenario so treffend vorausgeahnt und beschrieben wie Max Horkheimer, Mitbegründer der Frankfurter Schule und der Kritischen Theorie, in der er den Vernunftbegriff der Aufklärung einer radikalen Kritik unterzog. Auszüge aus seinem Interview mit Helmut Gumnior: «Durch die sich entfaltende Macht der Technik, das Wachstum der Bevölkerung, die unaufhaltsame Umstrukturierung der einzelnen Völker in straff organisierte Gruppen, durch schonungslosen Wettbewerb zwischen den Machtblöcken, scheint mir die totale Verwaltung der Welt unausweichlich geworden zu sein. Mit der Wissenschaft und der Technik hat sich der Mensch die ungeheuren Kräfte der Natur unterworfen. Wenn diese Kräfte nicht zerstörerisch wirken sollen, müssen sie von einer wirklich rationalen Zentralverwaltung in Obhut genommen werden. Ich glaube, dass die Menschen dann in dieser verwalteten Welt ihre Kräfte nicht werden frei entfalten können [...] Die Menschen dieser Welt werden automatisch handeln: bei rotem Licht stehen, bei Grün marschieren. [...]

Die Individualität wird eine immer geringere Rolle spielen [...] die totale Transformation wirklich jeden Seinsbereichs in ein Gebiet von Mitteln führt letzten Endes zur Liquidation des Subjekts, das sich ihrer bedienen soll.

Und diese Welt wird langweilig sein, denn man wird das Theologische abschaffen. Damit verschwindet das, was wir ‹Sinn› nennen, aus der Welt. Zwar wird grosse Geschäftigkeit herrschen, aber eigentlich sinnlose, also langweilige.»

Und, so ist hinzuzufügen: Was bleibt nach diesem ebenso düsteren wie realistischen Befund des Philosophen Max Horkheimer noch übrig? Das Sekretariat!


Niklaus Herzog
swiss-cath.ch

E-Mail

Lic. iur. et theol. Niklaus Herzog studierte Theologie und Jurisprudenz in Freiburg i. Ü., Münster und Rom.


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    Hansjörg 30.01.2023 um 11:06
    Niemand will ein Matriarchat, niemand will ein Patriarchat, sondern nur Gleichberechtigung und Gleichwertigkeit aller Menschen.
  • user
    Daniel Ric 30.01.2023 um 08:16
    Sehr schöne Analyse. Auch der grosse österreichische Ökonom Schumpeter hat prophezeit, dass die Zukunft aus einer rein verwalteten Wirtschaft bestehen wird. Manager werden grosse Unternehmen verwalten und das Unternehmertum verdrängen. Die Tragik der Moderne ist, dass die individuelle Freiheit als Ziel proklamiert wurde, in Wahrheit jedoch Systeme entstanden, in denen die persönliche Verantwortung auf ein Minimum reduziert wurde. Politiker verstecken ihre Entscheide hinter der Meinung von Experten, Unternehmer hinter mathematischen Modellen, Bürger hinter der Meinung der sogenannten Mehrheit. Sogar die Kulturwelt schafft es nicht mehr, einen richtigen Stil zu fördern, sondern sucht ihr Heil in kurzlebigen Trends. Die grosse Erwartungshaltung, welche Algorithmen entgegengebracht wird, hat mit der Hoffnung zu tun, dass die persönliche Verantwortung vollends überflüssig wird, sobald Computer die perfekte Entscheidung für uns treffen können. Wie naiv diese Hoffnung ist, müsste in einem eigenen Text erläutert werden, der den Rahmen dieses Kommentars sprengen würde. Jedenfalls lässt sich das harte Urteil aussprechen, dass der Mensch in den letzten 150 Jahren immer mehr die Freiheit, die Gott ihm gab, abzulegen versucht. Leider macht unsere katholische Elite in der Deutschschweiz hier mit, indem man sich nicht mehr der zentralen Frage stellt, ob man das Evangelium annehmen und verkünden möchte, sondern dieses durch vermeintliche Erkenntnisse der Wissenschaft und der progressiven Theologie relativiert wird. Willkürlich werden dabei Zusammenhänge postuliert - wie beispielsweise zwischen Zölibat und Missbrauch - die bei genauerer Betrachtung nicht zutreffen bzw. nicht in dem grossen Ausmasse zutreffen, wie dies behauptet wird. Es ist an der Zeit, dass Laien und Klerus wieder ihre persönliche Freiheit samt Verantwortung zu tragen bereit sind und das Evangelium unverkürzt annehmen und verkünden.