Symbolbild. (Bild: Tingey-injury-law-firm/Unsplash)

Hintergrundbericht

Mis­sion impos­si­ble? Nicht für Bischof Bonnemain!

Zur­zeit läuft eine kir­chen­in­terne Vor­un­ter­su­chung gegen vier Mit­glie­der der Schwei­zer Bischofs­kon­fe­renz. Unter­su­chungs­lei­ter Bischof Bon­ne­main ist befan­gen. Die ihm auf­ge­zwun­ge­nen exter­nen Fach­leute ver­zö­gern das Ver­fah­ren: ein Trauerspiel.

«Jetzt muss der Staat das Heft in die Hand nehmen – und zwar subito»: So lautete landauf landab die Parole. Als Bannerträgerin dieser ultimativen Forderung positionierte sich SP-Frontfrau Jacqueline Fehr, Vorsteherin de Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich. Von Sobli-«Wirtschaftsredaktor» Raphael Rauch mit Suggestivfragen aufmunitioniert, schoss Fehr sofort los: «Wir brauchen keine kircheninterne Pseudo-Gerichtsbarkeit. Es gibt die Staatsanwaltschaft und die Gerichte.»[1] Ohne Gewaltenteilung bleibe die Kirche eine «Hochrisikozone», die Kirche tendiere dazu, «alles zu vertuschen und zu verdecken», ereiferte sich die nicht mehr aus dem Empörungsmodus findende Zürcher Regierungsrätin. Das musste ausgerechnet Jacqueline Fehr gesagt haben! Sie, die wegen eines Datenskandals in ihrer Direktion zusätzlich zu einer Strafuntersuchung eine parlamentarische Untersuchungskommission (die stärkste parlamentarische Waffe) am Hals hat. Der Grund: Hochsensible Daten aus ihrer Direktion wurden nicht sachgerecht entsorgt, sondern landeten bei einem verurteilten Drogenhändler aus dem Zürcher Rotlichtmilieu. Obwohl Fehr von diesem Skandal bereits im November 2020 wusste, informierte sie die Öffentlichkeit erst zwei Jahre später – auf externen Druck hin. Zusätzlich steht der Verdacht im Raum, dass damit im Zusammenhang stehende Akten während der Amtszeit der Direktionschefin Fehr illegal entsorgt wurden.

Auslöser dieses Rundumschlags war eine Undercover-Aktion des obsessiv auf Denunziationen fixierten Nicolas Betticher. Dieser hatte Insider-Vorwürfe ungefragt an das Autorenteam der Pilotstudie zu sexuellen Missbräuchen im Umfeld der Katholischen Kirche gesandt. Ein Schreiben gleichen Inhalts richtete er im Mai 2023 zuhanden des Vatikans an den Apostolischen Nuntius in Bern, Dr. Martin Krebs. Darin unterstellte Betticher gemäss «Tages-Anzeiger» vom 12. September 2023 gleich sechs Bischöfen, Missbräuche vertuscht zu haben. Einer sei sogar selbst übergriffig geworden. Es handelte sich de facto um die fünf Bischöfe Charles Morerod, Peter Bürcher, Jean-Claude Périsset, Alain de Raemy, Jean-Marie Lovey und den Abt von Saint-Maurice, Jean César Scarcella.

Klassischer Fall von Befangenheit
Der Vatikan ordnete daraufhin eine sogenannte kanonische Voruntersuchung an und beauftragte Bischof Joseph Maria Bonnemain mit deren Durchführung – ein Unding, dass ein Bischof mit der Untersuchung allfällig kirchenstrafrechtlich relevanter Vorwürfe gegen seine eigenen Mitbrüder und Mitglieder der gleichen Bischofskonferenz mandatiert wird. Ein klassischer, geradezu paradigmatischer Fall von Befangenheit. Papst Franziskus hatte am 7. Mai 2019 «ad experimentum» einen Erlass in Kraft gesetzt (definitiv bestätigt am 30. April 2023), mit welchem er die universalrechtlichen Bestimmungen zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs drastisch verschärfte. Für obgenannte Konstellation sieht dieser Erlass einen eigenen Paragraphen vor: «Der Metropolit ist gehalten, unparteiisch und frei von Interessenskonflikten zu handeln. Falls er meint, sich in einem Interessenskonflikt zu befinden oder nicht imstande zu sein, die notwendige Unparteilichkeit zur Gewährleistung der Integrität der Untersuchung zu bewahren, ist er verpflichtet, sich zu enthalten und den Umstand dem zuständigen Dikasterium zu melden» («Vos estis lux mundi» Art. 13 § 6).
Einer, der sich in casu von dieser Vorschrift besonders angesprochen fühlen müsste, ist Bischof Bonnemain. Doch weit gefehlt! Wie regierte der mit dieser Aufgabe Beehrte selbst? Wie gehabt! Als ihm Kardinal Ouellet seine Ernennung zum Bischof von Chur mitteilte, will er daraufhin eine schlaflose Nacht verbracht haben. Dies sei doch eine «mission impossible», raunte er in den Telefonhörer. Schliesslich habe er aber doch zugesagt, denn er hätte den Gläubigen eine weitere Verzögerung der Nachfolgeregelung von Bischof Huonder nicht zumuten können. Jetzt, wo eine erneute «mission impossible» bevorstand, reagierte Bischof Bonnemain mit dem gleichen Reflex. Auf die Frage von Sobli-«Wirtschaftsredaktor» Raphael Rauch: «Herr Bischof, wie schlafen Sie zurzeit?» antwortete der Kirchenmann: «Sehr unruhig. Es geht mir nicht gut. Einerseits möchte ich auf der Seite der Opfer sein. Gleichzeitig fühle ich mich meinen Mitbrüdern im Bischofsamt verbunden. Am liebsten hätte ich den Auftrag von Rom abgelehnt. Den Opfern und der Gerechtigkeit zuliebe habe ich zugesagt. Jetzt muss ich es tun und die Vorwürfe überprüfen.»[2] Da hat Hochwürden aber gewaltig geflunkert, denn Bischof Bonnemain spielt die Rolle der «mater dolorosa» noch so gern. Schliesslich lässt er sich in Interviews unwidersprochen noch so gern als «glaubwürdigster Bischof der Schweiz» titulieren, denn er sei der einzige, dem nicht Vertuschung oder Missmanagement im Missbrauchsskandal der römisch-katholischen Kirche vorgeworfen werde (vgl. Interview in der «Aargauer Zeitung» vom 18. Dezember 2023).

Haltlose Anschuldigungen
Am 10. September hatte Sobli-Redaktor Raphael Rauch in einem reisserischen Artikel das Schreiben von Nicolas Betticher publik gemacht: dramaturgisch perfekt just zwei Tage vor der Präsentation der Pilotstudie. Betticher selbst will für diese Indiskretion nicht verantwortlich sein. Betticher scheinheilig: «Nein, ich habe mich immer an das Berufsgeheimnis gehalten. Ich nehme zur Kenntnis, dass mein internes Schreiben den Weg an die Medien gefunden hat. Da es an die Öffentlichkeit gelangt ist, nehme ich dazu aber natürlich Stellung.» Bleibt hinzuzufügen, dass ihn sowohl der SoBli als auch der «Tages-Anzeiger» ausdrücklich als Whistleblower bezeichnet haben.
Tatsächlich hat es Betticher bis heute nicht verwunden, dass ihn Bischof Morerod kurz nach seinem Amtsantritt aus hier nicht genannt sein wollenden Gründen unmissverständlich zu verstehen gab, sich in einer anderen Diözese nach einer Arbeitsstelle umzusehen. Konsequenterweise stehen Bischof Morerod und die in seiner Diözese tätig gewesenen Bischöfe besonders im Fokus seines Rachefeldzuges. Dass die Anschuldigungen gegen zwei von ihnen, nämlich den damaligen Weihbischof Peter Bürcher und den späteren Nuntius und Erzbischof Jean-Claude Périsset, haltlos waren, war unvoreingenommenen Beobachtern von Anfang an klar. Bezeichnenderweise bilden die gegen diese zwei hoch integren Persönlichkeiten erhobenen Vertuschungsvorwürfe denn auch nicht Gegenstand der vom Vatikan angeordneten kanonischen Voruntersuchung. Die Bischöfe Morerod, Bürcher und Périsset wären gut beraten, wenn sie eine Strafklage gegen Nicolas Betticher im Sinne der Ehrverletzungsdelikte gemäss Art. 173ff. des Strafgesetzbuches ins Auge fassen würden. Immerhin hat Bischof Bürcher im Sobli vom 10. September 2023 bereits eine Andeutung in dieser Richtung gemacht.
 


Ein Paukenschlag
Und nun dies: Am Mittwoch, den 20. Dezember 2023, teilte die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Freiburg mit, dass die von Nicolas Betticher gegen Bischof Morerod erhobenen Anschuldigungen sich als strafrechtlich irrelevant erwiesen haben (vgl. die Zeitung «La Liberté» vom 21. Dezember 2023, S. 15). Ebenso sind die von Betticher gegen die Bischöfe Peter Bürcher, Alain de Raemy und Erzbischof Jean-Claude Périsset (ex-Nunitus) erhobenen Anschuldigungen als strafrechtlich gegenstandslos taxiert worden. Generalstaatsanwalt Fabien Gasser erliess deshalb eine Nichtanhandnahmeverfügung. Darüber hinaus lobte er ausdrücklich die ausgezeichnete Zusammenarbeit mit Bischof Morerod schon seit Beginn von dessen Amtsantritt («Fabien Gasser souligne en outre ‹l'excellente collaboration de l'évêché avec la police de sûreté depuis l'entrée en fonction de Mgr Charles Morérod›»).

Das Schweizer Recht kennt kein deutsches Denunziantentum
In summa: Eine deftige Klatsche an die Adresse all jener Kreise, die kaum erwarten konnten, bis die medial zum Abschuss frei gegebenen kirchlichen Amtsträger vom Staat, sprich den Staatsanwaltschaften und Strafgerichten, mit einem veritablen Blattschuss erledigt würden. Grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien wie der Anspruch auf rechtliches Gehör, die Unschuldsvermutung, der Grundsatz «Im Zweifel für den Angeklagten» und die Verjährung scheinen für diese Herrschaften bis dato eine terra incognita zu sein. Der Vollständigkeit halber darf in diesem Zusammenhang ein wichtiger Punkt nicht unerwähnt bleiben: In der Schweiz gibt es im Gegensatz zum deutschen Recht grundsätzlich keine Pflicht, den Strafverfolgungsbehörden strafbare Handlungen anzuzeigen. So das Bundesgericht in seinem Urteil vom 27. November 1991 wörtlich: Wie die Vorinstanz zu Recht annimmt, besteht keine allgemeine Pflicht des Bürgers, den Strafverfolgungsbehörden strafbare Handlungen oder flüchtige Straftäter anzuzeigen. Er muss auch nicht aktiv an der Fahndung mitwirken. Das schweizerische Recht kennt im Unterschied zum deutschen keinen Straftatbestand der unterlassenen Verbrechensanzeige (BGE 117 IV 467ff.).

Und wie hat Whistleblower Nicolas Betticher diese für ihn unangenehme Weihnachtsbotschaft des Freiburger Generalstaatsanwaltes aufgenommen? Gemäss der Zeitung «La Liberté» zeigt er sich «erstaunt», dass Bischof Morerod sein Schreiben an die Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet hatte. Scheinheiliger geht's kaum noch: Über Jahre hatte Betticher Bischof Morerod wiederholt öffentlich die Vertuschung von Missbrauchsfällen vorgeworfen. Und nun, wo der Schuss nach hinten losgeht, zeigt er sich «erstaunt» über dessen gewissenhafte Berichterstattung zuhanden staatlicher Strafverfolgungsbehörden ...

Im November 2023 wurde bekannt, dass zwei Fachpersonen Bischof Bonnemain bei der kircheninternen Voruntersuchung «unterstützen» sollen. Es handelt sich dabei um Brigitte Tag, Professorin für Strafrecht an der Universität Zürich, und Pierre Cornu, Richter am Neuenburger Kantonsgericht. Den Auftrag hatte ihnen die Römisch-Katholische Zentralkonferenz (RKZ), der Zusammenschluss der Kantonalkirchen, erteilt. De facto handelt es sich bei dieser sogenannten Unterstützung um eine ebenso dreiste wie groteske Bevormundung von Bischof Bonnemain, diktiert von einer parastaatlichen, über die Kirchensteuerhoheit verfügende Behörde:

  • Dreist, weil es nicht Sache einer vom Staat kreierten Behörde à la RKZ sein kann, sich in innerkirchliche Belange, wie es die kanonische Voruntersuchung eine ist, einzumischen.
  • Grotesk, weil sich die zur «Unterstützung» beigezogenen Fachpersonen des staatlichen Rechts über keinerlei Kenntnisse des kirchlichen, sprich kanonischen Rechts ausweisen können.

Doch genau solche spezifischen Kenntnisse des Kirchenrechts sind hier gefragt. Wir haben es in casu geradezu mit einem Paradebeispiel des Missbrauchs des Missbrauchs zu tun.

Verfahrensverzögerung dank «fachkundiger Unterstützung»
Die vorläufige Krönung dieses Trauerspiels: «swiss-cath.ch» erkundigte sich unlängst beim Bistum Chur nach dem aktuellen Stand dieser kanonischen Voruntersuchung, denn Bischof Bonnemain hatte im vergangenen Herbst angekündigt, diese Untersuchung bis Ende des laufenden Jahres abschliessen zu wollen. Die Crux dabei: Weil nun nach Auskunft des Bistums Chur die «kompetenten zwei Fachpersonen» in diese Untersuchung involviert seien, dauere das ganze Verfahren halt noch ein paar Wochen länger. Dabei heisst es im  universalkirchlich verbindlichen päpstlichen Erlass «Vos estis lux mundi» in Art. 15 § 1 ausdrücklich: «Die Untersuchungen müssen innerhalb kurzer Zeit und in jedem Fall bis zu der in den Anweisungen gemäss Artikel 11 § 2 angegebenen Frist abgeschlossen werden.»

Bleibt immerhin die Hoffnung, dass die beiden Fachpersonen getreu dem Grundsatz «Schuster bleib bei deinen Leisten» sich nicht in die ihnen fremde Materie des Kirchenrechts einmischen, sondern darauf bedacht sind, dass die Erkenntnisse des Generalstaatsanwalts des Kantons Freiburg und damit des staatlichen Rechts in der noch laufenden kanonischen Voruntersuchung die gebührende Aufmerksamkeit und Wertschätzung erfahren werden. Bischof Morerod hat in diesem Sinne die Entscheidung der Freiburger Justiz vorsorglich dem mit der kanonischen Voruntersuchung beauftragten Bischof Bonnemain zugestellt – «pour qu'elle soit prise en compte» («La Liberté»). Ob diese Rechnung aufgehen oder sich nicht vielmehr als frommer Wunsch herausstellen wird? Angesichts der herrschenden Machtverhältnisse in Helvetiens Gauen ist wohl eher Letzteres zu befürchten.

 


[1] Sonntagsblick vom 17. September 2023
[2] www.blick.ch/schweiz/missbrauch-in-der-kirche-jetzt-spricht-der-sonderermittler-des-papstes-id18927319.html


Niklaus Herzog
swiss-cath.ch

E-Mail

Lic. iur. et theol. Niklaus Herzog studierte Theologie und Jurisprudenz in Freiburg i. Ü., Münster und Rom.


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