«Jetzt muss der Staat das Heft in die Hand nehmen – und zwar subito»: So lautete landauf landab die Parole. Als Bannerträgerin dieser ultimativen Forderung positionierte sich SP-Frontfrau Jacqueline Fehr, Vorsteherin de Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich. Von Sobli-«Wirtschaftsredaktor» Raphael Rauch mit Suggestivfragen aufmunitioniert, schoss Fehr sofort los: «Wir brauchen keine kircheninterne Pseudo-Gerichtsbarkeit. Es gibt die Staatsanwaltschaft und die Gerichte.»[1] Ohne Gewaltenteilung bleibe die Kirche eine «Hochrisikozone», die Kirche tendiere dazu, «alles zu vertuschen und zu verdecken», ereiferte sich die nicht mehr aus dem Empörungsmodus findende Zürcher Regierungsrätin. Das musste ausgerechnet Jacqueline Fehr gesagt haben! Sie, die wegen eines Datenskandals in ihrer Direktion zusätzlich zu einer Strafuntersuchung eine parlamentarische Untersuchungskommission (die stärkste parlamentarische Waffe) am Hals hat. Der Grund: Hochsensible Daten aus ihrer Direktion wurden nicht sachgerecht entsorgt, sondern landeten bei einem verurteilten Drogenhändler aus dem Zürcher Rotlichtmilieu. Obwohl Fehr von diesem Skandal bereits im November 2020 wusste, informierte sie die Öffentlichkeit erst zwei Jahre später – auf externen Druck hin. Zusätzlich steht der Verdacht im Raum, dass damit im Zusammenhang stehende Akten während der Amtszeit der Direktionschefin Fehr illegal entsorgt wurden.
Auslöser dieses Rundumschlags war eine Undercover-Aktion des obsessiv auf Denunziationen fixierten Nicolas Betticher. Dieser hatte Insider-Vorwürfe ungefragt an das Autorenteam der Pilotstudie zu sexuellen Missbräuchen im Umfeld der Katholischen Kirche gesandt. Ein Schreiben gleichen Inhalts richtete er im Mai 2023 zuhanden des Vatikans an den Apostolischen Nuntius in Bern, Dr. Martin Krebs. Darin unterstellte Betticher gemäss «Tages-Anzeiger» vom 12. September 2023 gleich sechs Bischöfen, Missbräuche vertuscht zu haben. Einer sei sogar selbst übergriffig geworden. Es handelte sich de facto um die fünf Bischöfe Charles Morerod, Peter Bürcher, Jean-Claude Périsset, Alain de Raemy, Jean-Marie Lovey und den Abt von Saint-Maurice, Jean César Scarcella.
Klassischer Fall von Befangenheit
Der Vatikan ordnete daraufhin eine sogenannte kanonische Voruntersuchung an und beauftragte Bischof Joseph Maria Bonnemain mit deren Durchführung – ein Unding, dass ein Bischof mit der Untersuchung allfällig kirchenstrafrechtlich relevanter Vorwürfe gegen seine eigenen Mitbrüder und Mitglieder der gleichen Bischofskonferenz mandatiert wird. Ein klassischer, geradezu paradigmatischer Fall von Befangenheit. Papst Franziskus hatte am 7. Mai 2019 «ad experimentum» einen Erlass in Kraft gesetzt (definitiv bestätigt am 30. April 2023), mit welchem er die universalrechtlichen Bestimmungen zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs drastisch verschärfte. Für obgenannte Konstellation sieht dieser Erlass einen eigenen Paragraphen vor: «Der Metropolit ist gehalten, unparteiisch und frei von Interessenskonflikten zu handeln. Falls er meint, sich in einem Interessenskonflikt zu befinden oder nicht imstande zu sein, die notwendige Unparteilichkeit zur Gewährleistung der Integrität der Untersuchung zu bewahren, ist er verpflichtet, sich zu enthalten und den Umstand dem zuständigen Dikasterium zu melden» («Vos estis lux mundi» Art. 13 § 6).
Einer, der sich in casu von dieser Vorschrift besonders angesprochen fühlen müsste, ist Bischof Bonnemain. Doch weit gefehlt! Wie regierte der mit dieser Aufgabe Beehrte selbst? Wie gehabt! Als ihm Kardinal Ouellet seine Ernennung zum Bischof von Chur mitteilte, will er daraufhin eine schlaflose Nacht verbracht haben. Dies sei doch eine «mission impossible», raunte er in den Telefonhörer. Schliesslich habe er aber doch zugesagt, denn er hätte den Gläubigen eine weitere Verzögerung der Nachfolgeregelung von Bischof Huonder nicht zumuten können. Jetzt, wo eine erneute «mission impossible» bevorstand, reagierte Bischof Bonnemain mit dem gleichen Reflex. Auf die Frage von Sobli-«Wirtschaftsredaktor» Raphael Rauch: «Herr Bischof, wie schlafen Sie zurzeit?» antwortete der Kirchenmann: «Sehr unruhig. Es geht mir nicht gut. Einerseits möchte ich auf der Seite der Opfer sein. Gleichzeitig fühle ich mich meinen Mitbrüdern im Bischofsamt verbunden. Am liebsten hätte ich den Auftrag von Rom abgelehnt. Den Opfern und der Gerechtigkeit zuliebe habe ich zugesagt. Jetzt muss ich es tun und die Vorwürfe überprüfen.»[2] Da hat Hochwürden aber gewaltig geflunkert, denn Bischof Bonnemain spielt die Rolle der «mater dolorosa» noch so gern. Schliesslich lässt er sich in Interviews unwidersprochen noch so gern als «glaubwürdigster Bischof der Schweiz» titulieren, denn er sei der einzige, dem nicht Vertuschung oder Missmanagement im Missbrauchsskandal der römisch-katholischen Kirche vorgeworfen werde (vgl. Interview in der «Aargauer Zeitung» vom 18. Dezember 2023).
Haltlose Anschuldigungen
Am 10. September hatte Sobli-Redaktor Raphael Rauch in einem reisserischen Artikel das Schreiben von Nicolas Betticher publik gemacht: dramaturgisch perfekt just zwei Tage vor der Präsentation der Pilotstudie. Betticher selbst will für diese Indiskretion nicht verantwortlich sein. Betticher scheinheilig: «Nein, ich habe mich immer an das Berufsgeheimnis gehalten. Ich nehme zur Kenntnis, dass mein internes Schreiben den Weg an die Medien gefunden hat. Da es an die Öffentlichkeit gelangt ist, nehme ich dazu aber natürlich Stellung.» Bleibt hinzuzufügen, dass ihn sowohl der SoBli als auch der «Tages-Anzeiger» ausdrücklich als Whistleblower bezeichnet haben.
Tatsächlich hat es Betticher bis heute nicht verwunden, dass ihn Bischof Morerod kurz nach seinem Amtsantritt aus hier nicht genannt sein wollenden Gründen unmissverständlich zu verstehen gab, sich in einer anderen Diözese nach einer Arbeitsstelle umzusehen. Konsequenterweise stehen Bischof Morerod und die in seiner Diözese tätig gewesenen Bischöfe besonders im Fokus seines Rachefeldzuges. Dass die Anschuldigungen gegen zwei von ihnen, nämlich den damaligen Weihbischof Peter Bürcher und den späteren Nuntius und Erzbischof Jean-Claude Périsset, haltlos waren, war unvoreingenommenen Beobachtern von Anfang an klar. Bezeichnenderweise bilden die gegen diese zwei hoch integren Persönlichkeiten erhobenen Vertuschungsvorwürfe denn auch nicht Gegenstand der vom Vatikan angeordneten kanonischen Voruntersuchung. Die Bischöfe Morerod, Bürcher und Périsset wären gut beraten, wenn sie eine Strafklage gegen Nicolas Betticher im Sinne der Ehrverletzungsdelikte gemäss Art. 173ff. des Strafgesetzbuches ins Auge fassen würden. Immerhin hat Bischof Bürcher im Sobli vom 10. September 2023 bereits eine Andeutung in dieser Richtung gemacht.
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