(Bild: Long Thiên/flickr.com)

Hintergrundbericht

«Möge der Herr mir gnä­dig sein»

Als Papst Fran­zis­kus unmit­tel­bar nach sei­ner Wahl am 13. März 2013 die Men­schen auf dem Peters­platz und den Fern­seh­ge­rä­ten mit einem jovia­len «Buona sera» begrüsste, war klar, dass hier eine neue Art von Papst beginnt. Nur in Weiss geklei­det, ohne Mozetta und Stola, sprach er von sich selbst als Bischof von Rom und wandte sich auch nur an die «Römer». Als Papst bezeich­nete er sich selbst nicht.

Franziskus zieht nicht in den Apostolischen Palast ein, sondern in das vatikanische Gästehaus «Santa Marta». Er brauche Menschen um sich herum, erklärte er diesen Schritt später. Doch auch im Apostolischen Palast hätte es ihm nicht an Menschen gemangelt – Franziskus distanzierte sich mit diesem Schritt von der Kurie. Mit ihr sollte er jahrelang im Dauerclinch liegen. Wer erinnert sich nicht an seine erste Weihnachtsansprache vor den Kurienbischöfen, in der er ihnen in einem undifferenzierten Rundumschlag Geschwätzigkeit, spirituellen Alzheimer und Unsterblichkeitswahn unterstellte? Erst als er im Laufe der Zeit die wichtigsten Posten ohne vorgängige Konsultation durch ihm genehme Personen ersetzt hatte, entspannte sich sein Verhältnis zur Kurie. «Trotzdem verlässt sich Franziskus in erster Linie auf sein mehrheitlich aus Jesuiten bestehendes Küchenkabinett in seiner Residenz, dem Vatikan-Hotel Casa Santa Marta. ‹Der Hof von Santa Marta›, spotten die Vatikanisten; Franziskus hatte öfters den ‹Päpstlichen Hof› und ‹Hofschranzentum› hinter den vatikanischen Mauern kritisiert», wissen Michael Feth und Nino Galetti im Länderberichte der Konrad Adenauer-Stiftung zu berichten.

Als Vorgesetzter ist Franziskus schwierig: Von seinem cholerischen Temperament war öfters zu lesen. Er gilt als misstrauischer Mensch, der am liebsten allein entscheidet. Solche einsam gefällten Entscheide oder die berühmt-berüchtigten «Flugzeuginterviews», in denen er öfters missverständliche Aussagen macht, brachten seine Mitarbeiter immer wieder ins Schwitzen. «Fünf Pressesprecher hat der Papst in zehn Jahren Amtszeit verschlissen», haben Feth/Galetti ausgerechnet.

Widersprüchliche Aussagen
Widersprüchliche Aussagen gehören zum Pontifikat von Papst Franziskus wie die Gauchos zur argentinischen Pampa. Hielt er z. B. zunächst einen Rücktritt wie durch Papst Benedikt XVI. vor ihm als durchaus möglich, meinte er nach dem Heimgang seines Vorgängers, dass ein Papst immer auf Lebzeiten bleiben müsse – was ihn nicht hinderte, jüngst wieder die Rücktrittsoption in Erwägung zu ziehen. Bezüglich Homosexualität erklärte er einerseits, dass dies eine Sünde sei, andererseits hätte er nichts gegen eingetragene Partnerschaften einzuwenden.

Auch mit seinen Schreiben stiftete er oft Verwirrung, stiess Menschen gar bewusst vor den Kopf.
Das Apostolische Schreiben «Amoris Laetitia» (Die Freude der Liebe) aus dem Jahr 2016 befasste sich mit Ehe und Familie. Mit diesem Dokument löste Franziskus eine bis heute ungelöste Krise aus, da dieses unterschiedlich interpretiert wurde. Dabei ging es vor allem um die Frage, ob «Amoris Laetitia» der traditionellen Lehre der Kirche über die Unauflöslichkeit der Ehe und den Eucharistieempfang durch geschiedene wiederverheiratete Katholikinnen und Katholiken widerspricht. Eine Anfrage der Kardinäle Walter Brandmüller, Raymond Burke, Carlo Cafarra und Joachim Meisner, fünf «Zweifel» auszuräumen, die durch die unterschiedlichen Interpretationen entstanden waren, liess Franziskus unbeantwortet.

Auch mit dem Apostolischen Schreiben «Traditionis Custodes» (2021) löste er wiederum eine Krise aus. Durch dieses Schreiben schränkte er die heilige Messe in der ausserordentlichen Form des römischen Ritus stark ein. «Mit ‹Traditionis Custodes› erklärte Papst Franziskus, dass die traditionelle lateinische Messe ein anderer Ritus — nicht eine andere Form — sei. Er schrieb, dass ihre Feier ausgenutzt werde, um innerkirchliche Gräben zu vertiefen, Differenzen zu verstärken und Uneinigkeiten zu provozieren, die der Kirche schaden, ihren Weg blockieren und sie der Gefahr der Spaltung aussetzen», fasst AC Wimmer auf CNA Deutsch zusammen. Mit dem am 21. Februar 2023 veröffentlichten «Reskript» hat Franziskus die Schraube weiter angezogen.

Europa bleibt ihm fremd
Mit Europa wurde Franziskus nie richtig warm. «Der erste Papst aus Lateinamerika offenbart bis heute eine schwierige Beziehung zum Alten Kontinent, den er vor ein paar Jahren schon mal polemisch als ‹unfruchtbare Grossmutter› beschrieben hatte. Man kann getrost unterstellen, dass die nicht gerade schmeichelhafte Bezeichnung sein wahres Denken über den Zustand Europas ausdrückt», so Feth/Galetti.

Der Argentinier Franziskus gilt als Peronist. Das trägt zur Erklärung bei, warum er sich normalerweise bei Menschenrechtsverletzungen von Linksdiktaturen in Schweigen hüllt. Während die Bischöfe in Kuba, Nicaragua und Venezuela sich offen gegen ihre repressiven Regierungen wenden, schweigt der Papst. Erst nach der Verurteilung von Bischof Rolando Álvarez zu 26 Jahren Gefängnis kritisierte Franziskus die Regierung von Nicaragua. Klartext sprach Franziskus hingegen an die Adresse der Militärjunta von Myanmar, deren Militärdiktatur er offen verurteilt.

Ob die umstrittene Geheimvereinbarung zwischen Rom und Peking zur Ernennung von Bischöfen ein Schritt in die richtige Richtung ist oder Franziskus sich von Peking hinters Licht führen liess, wird sich erst noch zeigen. Es muss befürchtet werden, dass Letzteres zutrifft.

Vom Angriff Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 war Franziskus geschockt. Er eilte noch am gleichen Tag zur Russischen Botschaft beim Heiligen Stuhl in Rom. Gleichzeitig sprach er aber in einem Interview mit dem «Corriere della Sera» vom «Bellen der NATO vor der Tür Russlands» und meinte: «Ich kann nicht sagen, ob seine [Putins] Wut provoziert wurde, aber ich vermute, dass sie vielleicht durch die Haltung des Westens begünstigt wurde.» Erst im Verlaufe des grausamen Aggressionskrieges änderte er seine Haltung. Bis heute hofft er auf eine Friedensmission und einen Besuch in Kiew und Moskau.

Im Interview mit der italienischen Tageszeitung «Il Fatto Quotidiano» erklärte er: «Es schmerzt mich, wenn ich daran denke, dass der Hunger in der Welt aufhören würde, wenn ein Jahr lang keine Waffen hergestellt würden, denn die Waffenindustrie ist die grösste Industrie auf dem Planeten. Am 8. Dezember habe ich auf der Piazza di Spagna geweint, als ich an das Drama dachte, das das ukrainische Volk gerade durchmacht. […] Im Februar war ich in Afrika, in der Demokratischen Republik Kongo und im Südsudan, und ich habe die Schrecken der Konflikte in diesen beiden Ländern mit der Verstümmelung von Menschen gesehen. Eine Sache, die mich sehr schmerzt, ist die Globalisierung der Gleichgültigkeit.»

Mit der gemeinsamen Erklärung von Abu Dhabi 2019, von Franziskus und dem Gross-Imam der Al-Azhar Universität in Kairo (der höchsten sunnitischen Instanz in Glaubensfragen) unterschrieben, sichern sie sich gegenseitigen Respektes für den Glauben des Anderen und die Betonung des Rechts auf freie Religionsausübung zu. Gleichzeitig schweigt Franziskus zum Regime in Iran.

Ein Herz für Migrantinnen und Migranten
Prägend für Franziskus war sein Einsatz für die Migrantinnen und Migranten; sein erster Besuch führte ihn bekanntlich auf Lampedusa, vor dessen Küste viele Flüchtlinge ertrunken waren. Unmissverständlich forderte er während der vergangenen Jahre immer wieder die Aufnahme aller Flüchtlinge; Gründe zu ihrer Ablehnung wollte er nicht gelten lassen. Erst in letzter Zeit räumte er ein, dass die Aufnahmekapazitäten der Länder begrenzt sind.

Mit seiner Kurienreform hat Franziskus viel Positives bewirkt. Er setzte sich dafür ein, dass auch Laien wichtige Position innerhalb der Dikasterien erhalten. Auch ging er entschieden gegen die Korruption vor. Im Interview mit «Il Fatto Quotidiano» meinte Franziskus, dass er in den vergangenen Jahren am meisten unter der wirtschaftlichen Korruption innerhalb und ausserhalb des Vatikans gelitten hätte. Er hätte sich immer mit aller Kraft gegen die Vertuschung von sexuellen Übergriffen eingesetzt. Dabei sei der Weltgipfel über Pädophilie im Klerus im Februar 2019 entscheidend gewesen. «Wie dies jedoch der Fall sein kann, da dabei das zentrale Thema Homosexualität, auf die 80 Prozent der Missbrauchsfälle zurückgehen, ausgeklammert blieb, bleibt eines der zahlreichen Rätsel des derzeitigen Pontifikats», meint Giuseppe Nardi auf Katholisches.

2018 liess Papst Franziskus den Katechismus der Katholischen Kirche (KKK) betreffend der Lehre der Kirche zur Todesstrafe ändern. Die Todesstrafe widerspreche dem Evangelium, weil sie das Leben eines Menschen beende; jedes Menschenleben aber sei heilig in den Augen Gottes, der letztlich der einzige wahre Richter sei, erklärte Franziskus. Neu heisst es bei KKK 2267: «Deshalb lehrt die Kirche im Licht des Evangeliums, dass ‹die Todesstrafe unzulässig ist, weil sie gegen die Unantastbarkeit und Würde der Person verstösst›, und setzt sich mit Entschiedenheit für deren Abschaffung in der ganzen Welt ein.»

Auch wenn es um das Fazit seiner ersten zehn Jahre als Papst geht, äussert sich Franziskus ambivalent. So erklärte er gegenüber «Il Fatto Quotidiano», die Kirche sei «kein Unternehmen, auch keine Nichtregierungsorganisation, und der Papst kein Geschäftsführer, der am Ende des Jahres über die Runden kommen muss». Gleichzeitig wünscht er sich, dass der Herr ihm einst gnädig sein werde. «Papst zu sein ist keine leichte Aufgabe.» So oder so stehe aber fest, dass es «der Herr ist, der darüber Bilanz zieht, wenn er es will». Da hat Papst Franziskus zweifelsohne recht.

 


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Bemerkungen :

  • user
    Ser AD 14.03.2023 um 22:21
    Eine Meisterleistung ist obiger Artikel nicht. Es werden ohne sichtbare Struktur verschiedene Ebenen vermischt. Das sieht man z.B. am topos "Todesstrafe": sie verstosse gegen die Würde der menschlichen person. Kein Wort von der übernatürlichen Berufung. "Personwürde" ist ein existentialistischer Begriff des Zweiten Vatikanums. Dafür muss man nicht Reklame machen.

    In einem Medium das sich "katholisch" will, erwarte ich etwas mehr Differenzierung in theologischen Fragen.
    • user
      Redaktion 15.03.2023 um 07:19
      Sehr geehrter Ser AD

      Der Beitrag soll keine theologische Würdigung darstellen, sondern die wichtigsten Punkte des bisherigen Pontifikats von Franziskus knapp und in verständlicher Sprache zusammenfassen.
      Als katholisches Medium fühlen wir uns dem Lehramt der Katholischen Kirche verpflichtet – und dazu gehört auch der Katechismus der Katholischen Kirche.

      Rosmarie Schärer, Redaktion
      • user
        ser AD 15.03.2023 um 08:37
        @ Frau Schärer
        Ich habe auch keine theologische Würdigung erwartet. Aber Sie mischen einfach verschiedene Stimmen zusammen, wie cholerisches Testament, dubia, Rundumschlag, Franziskus (als wäre er unser Kollege), Katechismus und vieles mehr.

        Ich würde gerne einen eigenständigen Text lesen, wo man nicht die REsten alter Tage serviert bekommt.

        Der Chef der Kirche ist der Papst, und nicht irgend ein Vorname, wie es die modernen Familien von den KIndern zu den Eltern handhaben.

        Inhaltlich kann ich nichts kritisieren.
        • user
          Daniel Ric 15.03.2023 um 10:20
          Das Problem ist, dass die Diskussionen rund um den Papst immer sehr emotional geführt werden. Der Artikel hat meines Erachtens differenziert aufgezeigt, welche Themen Papst Franziskus und die Kirche in den letzten Jahren beschäftigt haben und wie es schwierig ist, allen Erwartungen gerecht zu werden. Als Katholik muss man nicht immer polarisieren, sondern versuchen, objektiv Sachverhalte zu schildern. Das ist hier gelungen.
  • user
    Daniel Ric 14.03.2023 um 08:17
    Der Artikel ist differenziert und zeigt auf, wie schwierig es für einen Papst ist, allen Erwartungen gerecht zu werden. Ich möchte hier auch anregen, den Begriff "Krise" in seiner ursprünglichen Form zu verstehen. Die Krise zwingt uns zu einer Entscheidung. Daher muss man es nicht negativ bewerten, wenn hier steht, dass Papst Franziskus die Kirche in Krisen geführt hat. Die Kirche war bis anhin vor allem sehr westlich geprägt, obwohl die meisten Katholiken ausserhalb Europas und Nordamerika leben. Es ist gut, dass Papst Franziskus sein spezifisch lateinamerikanisches Denken in die Kirche einbringt. Auch wurde Papst Franziskus mit Problemen konfrontiert, die schon lange in der Kirche vorhanden sind. Die Frage, wie mit Geschiedenen umzugehen ist, die in einer neuen Beziehung leben, ist nicht erst mit Papst Franziskus relevant geworden. Man kann es gut oder schlecht finden, wie er versucht hat, hier eine pastorale Lösung zu finden, aber er hat es zumindest versucht. In anderen Fragen war Papst Franziskus sehr strikt. Die Abtreibung hat er stets verurteilt und trotz grossem Druck hat er am Zölibat festgehalten. Auch bei der Frage, ob eine Frauenordination möglich ist, hat Papst Franziskus die Lehre seiner Vorgänger bekräftigt. Gross anrechnen muss man Papst Franziskus, dass er sich stets für den Frieden eingesetzt hat. Mit seiner Haltung im Krieg in der Ukraine tritt er in die Fussstapfen Papst Benedikt XV., der in den Wirren des Ersten Weltkrieges eine der wenigen Stimmen war, die für Frieden eintrat. Auch heute ist es der Heilige Vater, der das Kriegsgebrüll verurteilt und versucht, differenziert zu agieren. Damit hat die Katholische Kirche unglaublich an moralischer Autorität gewonnen.