(Bild: Christoph Scholz/flickr CC BY-SA 2.0)

Hintergrundbericht

Natio­nal­rat ent­schei­det über Teil­ver­bot von Organspenden

Im Natio­nal­rat steht heute Mitt­woch eine bri­sante Abstim­mung an. Die Par­la­men­ta­rier müs­sen dar­über ent­schei­den, ob Organ­spen­den nach per­ma­nen­tem Herz­kreis­lauf­still­stand ver­bo­ten wer­den sol­len. Diese Art der Spende macht fast die Hälfte aller Organ­ent­nah­men aus.

Der Artikel von Alex Reichmuth erschien zuerst auf «nebelspalter.ch»

Der entsprechende Antrag wurde von der SVP eingebracht (siehe hier). Es geht um Befürchtungen, dass Spender zum Zeitpunkt der Organentnahme noch gar nicht tot sind. Denn die Ärzte warten bei stillstehendem Herz nur gerade fünf Minuten, bis sie mit dem Öffnen des Körpers beginnen.

Was wichtig ist:

  • Der Nationalrat entscheidet heute Mittwoch, ob Organspenden nach permanentem Herzkreislaufstillstand verboten werden.
  • Bei dieser Art des Spendens müssen die Ärzte nur fünf Minuten nach Eintritt des Herzstillstandes warten, bevor sie mit der Organentnahme beginnen.
  • Es tauchen immer wieder Zweifel auf, ob die Spender nach dieser kurzen Wartefrist wirklich tot sind.

«Es ist unklar, ob man nach dieser kurzen Zeit wirklich hirntot ist und man keine Schmerzen mehr spürt», sagt SVP-Nationalrätin Verena Herzog. Sie hat in der zuständigen Nationalratskommission einen Antrag erarbeitet, wonach Organspenden nach permanentem Herzkreislaufstillstand zu verbieten sind. Es gebe Studien, wonach Menschen selbst nach einem 20-minütigem Herzstillstand erfolgreich und ohne wesentliche Hirnschäden reanimiert worden sind.

Es herrscht Zeitdruck
«Nur fünf Minuten zu warten, ist zu kurz», sagt auch SVP-Nationalrätin Therese Schläpfer, die den Verbotsantrag im Plenum vertreten wird. «Ein Beweis, dass jemand nach dieser kurzen Zeit wirklich tot ist, fehlt.» Es dürfe nicht sein, dass der Mensch zu einem lebenden Ersatzteillager werde.

International gesehen führt die Organspende nach permanentem Herzkreislaufstillstand immer wieder zu Diskussionen in Fachkreisen (siehe hier). Es geht um Spender, deren Kreislauf nur noch von Maschinen gestützt wird, die aber eine aussichtslose Prognose haben. Ärzte und Angehörige entscheiden in dieser Situation gemeinsam, die Maschinen abzustellen.

Nach dem Stopp setzt das Herz aus, und der Kreislauf bricht zusammen. Damit werden aber auch die Organe, die transplantiert werden sollen, nicht mehr durchblutet. Mit jeder Minute steigt das Risiko, dass Organe unwiderruflich geschädigt werden und nicht mehr zu gebrauchen sind.

Es herrscht in dieser Situation also Zeitdruck. Gemäss den geltenden Schweizer Richtlinien kann darum schon nach fünf Minuten mit der Organentnahme begonnen werden. Voraussetzung ist, dass zuvor absolut kein Blutfluss mehr durch das Gehirn stattgefunden hat, und zwei Ärzte unabhängig voneinander den Ausfall aller Gehirnfunktionen bestätigt haben.

In Deutschland schon heute verboten
Konkret vergewissern sich die Ärzte, dass die Pupillen des Spenders nicht mehr auf Licht reagieren und die Schmerzreaktionen verschwunden sind. Es gibt aber in Fachkreisen erhebliche Zweifel, dass diese Anzeichen mit dem irreversiblen Ausfall aller Gehirnfunktionen, also dem Hirntod, gleichzusetzen sind.

Man hört immer wieder von Fällen, in denen bei Sterbenden eine Selbstreanimation stattgefunden haben soll. Das bedeutet, dass ein Teil der Gehirnfunktionen nach einem längeren Herzstillstand wieder zurückgekommen ist. Die Fälle sind umstritten. Fakt ist, dass die Organspende nach Herzkreislaufstillstand in Deutschland wegen solcher Unsicherheiten bereits heute verboten ist.

Verena Herzog macht darauf aufmerksam, dass der Kreislauf der Organspender in dieser Situation nach der beschriebenen Todesfeststellung meist wieder maschinell in Gang gesetzt wird. Damit soll gewährleistet werden, dass die Organe, die man entnehmen will, sozusagen frisch bleiben. «Dabei platzieren die Ärzte in der Aorta des Spenders einen Ballon, damit kein Blut ins Hirn gelangt», sagt Herzog.

Auch Therese Schläpfer sieht in diesem Ballon in der Herzschlagader einen Beleg, dass das Hirn eben doch noch nicht tot ist. Ansonsten müsste man ja den Blutfluss nicht extra verhindern, betont sie. Seitens der Stiftung Swisstransplant wird diese Deutung bestritten: Die Verschliessung des Blutgefässes, das zum Gehirn führt, diene nur dazu, den Blutfluss durch die künftigen Spenderorgane zu optimieren. Das hielt letztes Jahr Swisstransplant-Direktor Franz Immer gegenüber dem «Nebelspalter» fest (siehe hier). Allerdings gibt es wissenschaftliche Literatur, gemäss der Ballon eine Selbstreanimation im Gehirn verhindern soll.

Erst seit 2011 erlaubt
Jedenfalls machen Organspenden nach Herzkreislaufstillstand einen immer grösseren Anteil aus. Bis 2011 waren lediglich Organentnahmen erlaubt, bei denen der Spender von selbst einen Hirntod erleidet, und die Maschinen, die den Kreislauf stützen, darum vor der Entnahme nie abgestellt werden müssen. 2016 machten die Organspenden nach Herzstillstand schon 14 Prozent aller Organspenden aus, 2022 34 Prozent.

Im zweiten Quartal dieses Jahres kletterte der Anteil dieser umstrittenen Art des Spendens auf 46 Prozent (siehe hier). Im letzten Frühling fand in der Schweiz erstmals die Transplantation eines Herzens statt, das nach einem Herzstillstand entnommen worden war. Kommt das Verbot im Parlament durch, würde das zu einem erheblichen Rückgang der Zahl der Spenderorgane führen.
 

Originalbeitrag auf «nebelspalter.ch»


nebelspalter.ch


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