Fahne des Vatikanstaats. (Bild Elevatorrailfan/Wikimedia Commons)

Hintergrundbericht

Nica­ra­guas Bruch mit dem Vati­kan ist ein extre­mer Schritt

Der Vati­kan bricht nie­mals diplo­ma­ti­sche Bezie­hun­gen zu Staa­ten ab. Wenn die Gegen­seite das tut, ist das ein Alarm­si­gnal der beson­de­ren Art. Ein Blick in die Geschichte.

Es ist eine symbolträchtige Reaktion, die im Vatikan grösstes Unbehagen auslöst: Nicaragua hat die diplomatischen Beziehungen zum Heiligen Stuhl ausgesetzt. Die Regierung des zentralamerikanischen Landes, das seit 2006 vom Sandinisten-Führer Daniel Ortega und seiner Familie geführt wird, habe den Heiligen Stuhl aufgefordert, seine Vertretung im Land zu schliessen, hiess es am Montag aus dem Vatikan. Um einen vollständigen Abbruch der Beziehungen handele es sich jedoch nicht.

Dass der Schritt ein Indikator für die extreme politische Lage in Nicaragua ist, zeigt ein Blick in die jüngere Geschichte: Nur wenige Länder kappten in Phasen des Umbruchs ihre diplomatischen Leitungen in den Vatikan, und stets ging es dabei um sehr viel.

Frankreich enteignete die Kirche
«Ein sehr bekannter Fall ist Frankreich», sagt der Augsburger Kirchenhistoriker Jörg Ernesti, der unter dem Titel «Friedensmacht» ein Buch über die vatikanische Aussenpolitik seit 1870 veröffentlicht hat. Nach dem Sturz von Napoleon III. häuften sich in der liberalen Dritten Republik Frankreichs die anti-kirchlichen Gesetze. Zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen kam es 1904. Auslöser war das Beharren Roms auf der Ernennung der Bischöfe durch den Papst.

Der Abbruch der Beziehungen «war für den Vatikan eine ziemliche Katastrophe, weil damals aus Frankreich die weltweit meisten Missionare stammten und das Land auch eine Schutzmacht für die Christen in Palästina war», erklärt Ernesti. Ein Jahr später verabschiedete das Parlament in Paris ein Gesetz zur strikten Trennung von Staat und Kirche. Frankreich war nun ein radikal laizistischer Staat, die Kirche wurde fast völlig enteignet.

Unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs und dank der Friedensbemühungen von Papst Benedikt XV. gelang es dem Heiligen Stuhl, die Beziehungen zu Paris wiederzubeleben. Ab 1921 konnte mit dem späteren Kardinal Bonaventura Cerretti erneut ein Nuntius nach Frankreich entsandt werden.

Die USA, der ehemalige Ostblock und China
Ein weiteres Beispiel sind die USA, die 1867, wenige Jahre nach dem Bürgerkrieg, ihre diplomatischen Verbindungen zum Vatikan aussetzen. Ein Anlass war der von Papst Pius IX. verfasste «Syllabus errorum» – das «Verzeichnis der Irrtümer», in dem sich das Kirchenoberhaupt ablehnend über Freiheitsrechte und Liberalismus äussert.

«Das hat bei vielen Staaten für Irritationen gesorgt», sagt Ernesti. Erst 1984 nahmen die USA unter Präsident Ronald Reagan – einem konservativen Protestanten – ihre diplomatischen Beziehungen zum Heiligen Stuhl wieder auf.

Reagan verband mit dem polnischen Papst Johannes Paul II. das Ziel, die sowjetische Herrschaft über Osteuropa zu Fall zu bringen.

Dass kommunistische Staaten ihre Beziehungen zum Vatikan abbrachen, war nach dem Zweiten Weltkrieg der Normalfall. Nach und nach kappten die Ostblock-Staaten ihre diplomatischen Drähte in den Vatikan und unterdrückten die katholische Kirche mehr oder weniger brutal. Erst als die kommunistische Herrschaft bröckelte, wendete sich das Blatt.
Schon im Juli 1989 nahm Polen als erstes Land des damals noch bestehenden Ostblocks wieder diplomatische Beziehungen mit dem Vatikan auf.

Kompliziert sind die Beziehungen zu China. Nach der kommunistischen Revolution hatte die Volksrepublik China den diplomatischen Vertreter des Vatikans 1951 ausgewiesen. Es blieb eine vatikanische Repräsentanz auf der Insel Taiwan, die im Päpstlichen Jahrbuch weiterhin als Vertretung des Heiligen Stuhls in China bezeichnet wird. Mit den Machthabern in Peking gibt es nur inoffizielle Beziehungen. Immerhin konnte 2018 ein geheimes Abkommen in Kraft treten, das Bischofsernennungen in wechselseitigem Einvernehmen regelt.

In Nicaragua sind der jetzigen Eskalation diplomatische Einschnitte vorangegangen. Das Ortega-Regime, das Regierungskritikerinnen und -kritiker verfolgt und eine Reihe an Organisationen im Land verboten hat, löste auch die Caritas auf. Unbequeme Priester und ein Bischof sitzen im Gefängnis, andere gingen ins Exil. Die Lage ähnelt damit der in Kuba nach der kommunistischen Machtübernahme in den frühen 1960er-Jahren, als Hunderte Geistliche das Land verlassen mussten und der Nuntius ausgewiesen wurde. Allerdings brach das Castro-Regime die Beziehungen zu Rom nie komplett ab.

Schweiz–Vatikan: Eine noch sehr junge Beziehung
Obwohl die Schweiz sich seit 1506 durch die Päpstliche Schweizergarde im Vatikan engagiert, unterhält sie erst ab 1991 durch einen «Botschafter in Sondermission» offizielle diplomatische Beziehungen zum Heiligen Stuhl. Zuvor lief der Kontakt über die Apostolische Nuntiatur des Heiligen Stuhls in Bern. Diese wurde 1586 in Luzern eröffnet und ist die älteste ständige Vertretung des Vatikans nördlich der Alpen. Durch den Kulturkampf kam es 1873 zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen, die erst 1920 wieder aufgenommen wurden.

2004 wurde mit dem Schweizer Botschafter in Prag ein ausserordentlicher und bevollmächtigter (nichtresidenter) Botschafter beim Heiligen Stuhl ernannt. Von April 2010 residierte der Schweizer Botschafter für den Heiligen Stuhl in der Schweiz, ab 2014 in Ljubljana (Slowenien).

2022 richtete die Schweiz eine Botschaft beim Heiligen Stuhl in Rom ein, die am 5. Mai 2022 vom damaligen Bundespräsidenten Ignazio Cassis eröffnet wurde.

Aber erst im Frühjahr 2023 wird der Schweizer Botschafter von Ljubljana nach Rom wechseln.

Im Vorfeld hatte die Präsidentin der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS), Rita Famos, die Pläne des Bundesrats kritisiert. Sie befürchtete eine «konfessionelle Schieflage»: «Die Beziehungen des Bundes zur katholischen Kirche würden gestärkt, während wir Protestanten keine offizielle Verbindung zum Bund haben», erklärte Rita Famos gegenüber der NZZ.

Noch 2012 war ein Vorstoss der FDP-Nationalrätin Doris Fiala (ZH) im Parlament gescheitert, die eine Vertretung im Vatikan gefordert hatte.


KNA/Redaktion


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    Martin Meier 23.03.2023 um 12:44

    Frau Famos übersieht etwas: Die Schweiz unterhält nicht zur katholischen Kirche diplomatische Beziehungen, sondern zum Vatikanstaat, einem völkerrechtlich anerkannten eigenen und unabhängigen Staat.