Symbolbild. (Bild: Marcelo Leal/Unsplash)

Hintergrundbericht

Nie­der­lande erlau­ben ab Februar Ster­be­hilfe auch für Kinder

Die Nie­der­lande wei­ten die aktive Ster­be­hilfe im neuen Jahr auch auf unheil­bar kranke Kin­der aus. Seit der Lega­li­sie­rung im Jahr 2002 haben sich die Gren­zen immer wei­ter verschoben.

Seit 2002 ist die aktive Sterbehilfe in den Niederlanden legal. Ab Februar 2024 geht das Land einen weiteren Schritt: Künftig können auch schwer leidende Buben und Mädchen unter zwölf Jahren unter bestimmten Voraussetzungen legal getötet werden.

Laut Innenministerium betrifft die Regelung eine «kleine Gruppe» von fünf bis zehn Kindern pro Jahr, «bei denen die Möglichkeiten der Palliativmedizin nicht ausreichen, um ihr Leiden zu lindern». Damit folgt das Land seinem Nachbarn Belgien, das 2014 als weltweit erstes Land ein Gesetz verabschiedet hatte, das Sterbehilfe bei Kindern erlaubt.

Bereits bisher können niederländische Jugendliche, die älter als zwölf Jahre sind, Sterbehilfe beantragen. Bis zum Alter von 16 Jahren ist die Zustimmung der Eltern erforderlich. Seit 2005 dürfen auch missgebildete Neugeborene straffrei getötet werden, wenn gewisse Bedingungen eingehalten werden.

Domino-Effekt
Von Anfang an gab es Warnungen vor einer «schiefen Ebene». Als die Niederlande 2002 als erstes Land weltweit aktive Sterbehilfe legalisierten, äusserten Kritiker Befürchtungen vor einer schleichenden Normalisierung. Der Trend ist seither eindeutig: Nicht nur, dass Belgien im selben Jahr nachzog und Luxemburg 2009 folgte – selbst das katholisch geprägte Spanien hat 2021 sowohl aktive Sterbehilfe als auch Beihilfe zum Suizid erlaubt, Portugal folgte im Mai 2023.

Auch innerhalb der Niederlande haben sich Grenzen sukzessive verschoben. Die Zahlen steigen: 2022 kamen 8720 Menschen durch aktive Hilfe von Ärzten zu Tode, darunter 4412 Männer und 4308 Frauen. Das entspricht einem Anstieg von 13,7 Prozent gegenüber 2021. Insgesamt entfielen 2022 rund 5,1 Prozent aller 169 938 Sterbefälle auf Tötung auf Verlangen (2021: 4,6 Prozent).

Auch die Diagnosen haben sich ausgeweitet: So ist laut Gesetz aktive Sterbehilfe nur bei schweren, unheilbaren und unerträglichen Krankheiten zugelassen. Inzwischen akzeptieren Ärzte jedoch auch «Lebensmüdigkeit» oder Altersgebrechen als Grund. Laut einem Urteil des Obersten Gerichtshofs von 2020 ist die Tötung von schwer dementen Patienten sogar dann zulässig, wenn sie zuvor eine entsprechende Patientenverfügung formuliert haben, aber sich zum Zeitpunkt der geplanten Tötung gegen die Todesspritze wehren.

Das mit Abstand häufigste Leiden für den Todeswunsch war 2022 eine Krebserkrankung (57,8 Prozent). Besonders starke Anstiege gab es bei zwei Gruppen: So wurden 288 demenzerkrankte Menschen getötet – ein Plus von 34 Prozent gegenüber 2021. Ebenfalls überdurchschnittlich gestiegen ist die Zahl der Getöteten mit einer «Häufung von Altersbeschwerden» (plus 23,5 Prozent).

Aus Sicht des Vorstandsvorsitzenden der «Deutschen PalliativStiftung», Thomas Sitte, ist die Ausweitung der aktiven Sterbehilfe auf Kinder eine inakzeptable Entscheidung – aber zugleich folgerichtig. Auch in Deutschland rechnet Thomas Sitte wegen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Suizidbeihilfe über kurz oder lang mit der Zulassung der aktiven Sterbehilfe, wie er der «Katholischen Nachrichten-Agentur» (KNA) sagte.

Der Palliativmediziner hat selbst von Eltern seiner kleinen Patienten verzweifelte Bitten auf Sterbehilfe gehört: «Eine Tötung dieser Kinder war niemals notwendig», unterstreicht er aber. «Es war immer als Lösung möglich, eine künstliche Lebenserhaltung nicht fortzuführen und vorhandenes Leiden palliativ zu lindern.»

Auch die «Deutsche Stiftung Patientenschutz» sieht Warnungen vor einer schleichenden Gewöhnung an aktive Sterbehilfe bestätigt. «Die Niederlande zeigen mit diesem Schritt, dass sich eine Gesellschaft mit der organisierten Tötung von Menschen arrangieren kann», sagte Vorstand Eugen Brysch der KNA. Die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe sei anfangs immer damit begründet worden, Sterbewillige zu schützen und einen Graubereich zu verhindern.

Mittlerweile, so Brysch, gehe es immer weniger um Beistand für kranke und lebensmüde Menschen. Er verwies darauf, dass das Nachbarland bei der Versorgung mit Hospiz- und Palliativdiensten für Kinder schlecht aufgestellt sei.

Aktive Sterbehilfe, d. h. die gezielte Tötung zur Verkürzung der Leiden eines anderen Menschen, ist in der Schweiz strafbar.

Die indirekte aktive Sterbehilfe ist im StGB nicht ausdrücklich geregelt, gilt aber als grundsätzlich erlaubt. Dabei werden zur Linderung von Leiden Mittel (z. B. Morphium) eingesetzt, die als Nebenwirkung die Lebensdauer herabsetzen können. Der möglicherweise früher eintretende Tod wird in Kauf genommen.
Die passive Sterbehilfe – der Verzicht auf die Aufnahme oder den Abbruch von lebenserhaltenden Massnahmen – ist ebenfalls gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt, wird aber als erlaubt angesehen.

Erlaubt ist die Beihilfe zum Selbstmord (assistierter Suizid), sofern diese nicht aus «aus selbstsüchtigen Beweggründen» geleistet wird.
Gemäss dem «Bundesamt für Statistik» starben 2022 1594 Schweizerinnern und Schweizer durch assistierten Suizid (649 Männer und 945 Frauen; davon 190 unter 65 Jahren).[1]

 


[1] https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/aktuell/neue-veroeffentlichungen.assetdetail.29125048.html


KNA/Redaktion


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