Kirche Schweiz

Null­to­le­ranz­stra­te­gie: Wie ernst nimmt es damit Bischof Bonnemain?

Nach der Ver­öf­fent­li­chung der Pilot­stu­die zu sexu­el­lem Miss­brauch in der Katho­li­schen Kir­che in der Schweiz leg­ten sich die Bischöfe auf eine Null­to­le­ranz­stra­te­gie fest. Das Bis­tum Chur inter­pre­tiert diese Selbst­ver­pflich­tung auf eigene Weise.

Schon im Vorfeld der Pilotstudie wurden Vorwürfe gegen mehrere Mitglieder der Schweizer Bischofskonferenz bekannt. Eine entsprechende kanonische Voruntersuchung hatte Bischof Joseph Bonnemain durchgeführt.
Es ist interessant, dass im Zusammenhang mit der Bearbeitung von Missbrauchsfällen in den Medien nie auch nur der Hauch eines Verdachts gegen Bischof Bonnemain aufkam. Dies erstaunt umso mehr, war er doch seit 1989 als Offizial im Bistum Chur tätig und hatte somit mehr als alle seine Bischofskollegen mit der Materie zu tun.

«swiss-cath.ch» wurde über zwei Begebenheiten im Bistum Chur informiert, die geeignet sind, die weisse Weste des Churer Bischofs grau einzufärben.

Im Jahr 2019 wurde beim damaligen Apostolischen Administrator des Bistums Chur, Bischof Peter Bürcher, Anzeige gegen R. M. eingereicht. Dem Priester, der in der Innerschweiz als Pfarrer tätig war, wurde «nicht korrektes» Verhalten gegenüber Gläubigen und Mitarbeitenden vorgeworfen. Bischof Bürcher leitete die Anzeige an das Offizialat weiter, dem damals Joseph Bonnemain vorstand.

R. M. nahm sich eine Auszeit – im Pfarreiblatt sprach er von seelischer und psychischer Erschöpfung – und reiste für ein paar Monate ins Ausland.  Die Tatsache, dass ein Priester, gegen den eine Anzeige vorliegt, so ohne weiteres ins Ausland abtaucht, ist bemerkenswert.
Zurück in der Schweiz erhielt R. M. wieder eine Anstellung, wenn auch nicht als Pfarrer. Er sei für «Andere Aufgaben» zuständig, stand im Personalverzeichnis. Nach kurzer Zeit verliess er die Pfarrei und erhielt eine Anstellung bei einer Organisation. Dort ist er in der Seelsorge für besonders schutzbedürftige Personen tätig.

«swiss-cath.ch» wandte sich mit folgenden Fragen an das Bistum Chur:

  1. Warum wurde diese Anzeige bis heute noch nicht behandelt?
  2. Bis wann ist mit einer Behandlung der Anzeige zu rechnen?
  3. Warum darf R. M. weiterhin im Bistum Chur tätig sein – aktuell sogar mit besonders schutzbedürftigen Menschen – obwohl die Vorwürfe gegen ihn offiziell noch nicht geklärt sind?


Ein anderer Fall betrifft G. S. Er war Priesteramtskandidat des Bistums Chur und wohnte im Priesterseminar St. Luzi. Im Jahr 2019 kam es zu einer Grenzüberschreitung gegenüber einem Studenten. Da anscheinend bereits andere Vorfälle bekannt waren, zog der Bischofsrat die Notbremse und verwies G. S. nicht nur aus dem Priesterseminar, sondern schloss ihn ganz aus dem Kreis der Bistumsstudierenden aus. Das kümmerte aber einen Pfarrer aus der Innerschweiz wenig: Er verschaffte G. S. nach Abschluss seines Studiums im Jahr 2020 eine Anstellung in seiner Pfarrei als «Pastoralen Mitarbeiter». Mit dieser Anstellungsform umging er die Erteilung einer Missio, die für eine Anstellung als Pastoralassistent notwendig gewesen wäre, eine Missio, die G. S. vom Apostolischen Administrator, Bischof Peter Bürcher, nicht erhalten hätte.
Auch das Generalvikariat Urschweiz – damals noch unter der Leitung von Martin Kopp und Brigitte Fischer Züger (heute Co-Leiterin der Stabsstelle Personal des Bistums Chur) – schaute über das Anstellungsverbot im Bistum hinweg, wie aus dem Pfarreiblatt ersichtlich ist: G. S. «wird in Absprache mit dem Generalvikariat der Urschweiz zu 100 Prozent in unserer Pfarrei tätig sein».
G. S. erweckte in seiner Vorstellung im Pfarrblatt den Eindruck, dass er nach wie vor Seminarist des Bistums Chur sei.

Kurz nachdem Joseph Bonnemain Bischof geworden war, erzählte G. S. im Bekanntenkreis, er hätte ein Gespräch mit dem neuen Bischof gehabt und dieser würde ihn zum Priester weihen. Das konnte und wollte zunächst niemand glauben, doch dann durfte G. S. – nun als «Seelsorger in Ausbildung» – den Pastoralkurs des Bistums Chur besuchen – und erklärte wiederum mehrfach, er würde bald geweiht.

Auch in diesem Fall wandte sich «swiss-cath.ch» an das Bistum Chur:

  1. G. S durfte den Pastoralkurs besuchen. Wie kommt es, dass er nun im Bistum Chur tätig sein darf, obwohl offiziell eine Nulltoleranzstrategie verfolgt wird?
  2. G. S. erzählt immer wieder, er werde bald geweiht. Stimmt das?

Die Antwort des Bistums Chur auf unsere konkret formulierten Fragen:

«In beiden Angelegenheiten haben die Verantwortlichen geeignete Abklärungen durchgeführt und entsprechende Massnahmen getroffen.
Dem aktuellen Diözesanbischof ist es ein grosses Anliegen, die Eignung von möglichen Priesteramtskandidaten sorgfältig und professionell abzuklären.
Bekanntlich besteht eine von der SBK im Zuge der Veröffentlichung der Pilotstudie beschlossene Massnahme, darin, qualifizierte, psychologische Assessments für zukünftige Seelsorgende durchzuführen. Diese werden im Bistum Chur bereits heute schon umgesetzt und durchgeführt.»

Eine mehr als seltsame Antwort. Eine Anzeige muss behandelt werden; dies ist gemäss den «swiss-cath.ch» vorliegenden Informationen im Fall von R. M. nicht geschehen. Trotzdem darf er jetzt mit besonders schutzbedürftigen Personen arbeiten – nicht im Auftrag des Bistums, sondern einer Organisation. Es stellt sich die Frage, wer das Verhalten von R. M. überprüft.

Auch im Fall von G. S. macht die Antwort wenig Sinn. Wenn das «Problem» von G. S. mit einer entsprechenden Therapie lösbar gewesen wäre, hätte ihm der Bischofsrat sicher diese Möglichkeit eingeräumt. Dieser hat aber die sehr seltene Entscheidung gefällt, ihn von einer Anstellung im Bistum Chur auszuschliessen. Was ist also den letzten Jahren geschehen, dass G. S. jetzt plötzlich ein Vorzeige-Priesteramtskandidat sein soll?

Im Interview mit der «Schweizer Illustrierten» hatte Bischof Bonnemain erklärt: «Und jene, welche zölibatär leben möchten, müssen stärker überprüft werden. Wir müssen alle Kandidaten gründlich und professionell prüfen und die Bedingungen sehr hoch ansetzen. Sonst bekommen wir wieder Schwierigkeiten.»
Bischof Bonnemain bleibt in diesen beiden Fällen den Nachweis schuldig, dass er sich an den von ihm selbst formulierten Prüfungsraster hält.


Rosmarie Schärer
swiss-cath.ch

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Rosmarie Schärer studierte Theologie und Latein in Freiburg i. Ü. Nach mehreren Jahren in der Pastoral absolvierte sie eine Ausbildung zur Journalistin und arbeitete für die Schweizerische Kirchenzeitung SKZ.


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