Erwin Tanner-Tiziani, Direktor von Missio Schweiz. (Bild: © Missio Schweiz)

Interview

«Ohne Selbst­mis­sion gibt es keine Fremdmission»

Im Okto­ber fei­ert die Katho­li­sche Kir­che den Mis­si­ons­mo­nat, am 22. Okto­ber den Welt­mis­si­ons­sonn­tag. Im Inter­view mit «swiss​-cath​.ch» erklärt Erwin Tan­ner, Direk­tor von Mis­sio Schweiz, warum Mis­sion heute noch ein Thema ist und was die Auf­gabe von Mis­sio Schweiz ist.

Warum ist Mission auch heute ein Thema?
Wenn wir mit dem Ernst machen wollen, was in der Apostelgeschichte in Kapitel 1, Vers 8 steht, nämlich Zeugen für Jesus Christus zu sein, hier und bis an die Grenzen der Erde, dann ist Mission im Sinne des Auftrags, die Frohbotschaft Gottes zu verkünden und danach zu leben und zu handeln, ein zeitlebens geltender Dauerauftrag. Angesichts der Tatsache, dass die hiesige Gesellschaft sich in rasantem Tempo von der Kirche entfernt und in der Kirche selbst starke Tendenzen bestehen, das eigene Glaubensgut zu neutralisieren, ist dieser Auftrag persönlicher und dringlicher denn je geworden. Darum passt das diesjährige Motto zum Monat der Weltmission («Brennende Herzen, begeisterte Schritte», Lk 24,13-35) ausgezeichnet und lädt uns Gläubige ein, Feuer und Flamme für das Evangelium zu sein und mit Begeisterung und Entschlossenheit dafür einzutreten im Hier und Jetzt und anderswo auf der Welt.

Wie muss man sich Mission heute vorstellen?
Zum einen und vorerst geht es darum, sich selbst immer wieder mit Gott in Berührung zu bringen und auf seine Stimme zu hören, und dann zum anderen darum, auch andere Menschen mit Gott in Berührung zu bringen, sei es zum ersten Mal oder aufs Neue. Mission ist also ein Vorgang, der bei sich selbst als Besinnungs- und Bekehrungsprozess beginnt und auf andere Menschen ausstrahlen und sie für ein Leben und Handeln nach den Grundsätzen, wie sie sich in der Heiligen Schrift und der kirchlichen Überlieferung finden, begeistern soll. Mission ist also kein den Willen und den Menschen brechender Prozess des Unterjochens, sondern ein die Würde und Freiheit eines jeden Menschen und die Geschwisterlichkeit aller Menschen achtender Prozess des Anbietens, des Begleitens, Unterstützens und Lernens auf dem Heilsweg zu Gott.

«Missio» kennen wir in der Schweiz vor allem durch die «Sternsinger». Welche anderen Tätigkeiten übt «Missio» weiter aus?
Missio Schweiz setzt sich – entsprechend diesem Missionsverständnis – auf der Grundlage des Evangeliums und der Lehre der Kirche im Auftrag des Heiligen Vaters zum einen für die Förderung des weltkirchlichen Bewusstseins und Engagements der Katholikinnen und Katholiken in der Schweiz ein und zum anderen bittet Missio die Gläubigen um Mittel zugunsten bedürftiger Ortskirchen des Globalen Südens. Mit den Spenden aus der Schweiz können so lebenswichtige Vorhaben im Bereich der Seelsorge, der Aus- und Weiterbildung, der Wohltätigkeit und des Gemeinwohls finanziert werden. So erarbeitet Missio etwa für die Pfarreien und Ordensgemeinschaften die Materialien für den Monat der Weltmission im Oktober und sammelt am Sonntag der Weltmission zusammen mit den anderen Missio-Stellen in rund 120 Ländern auf der ganzen Welt für die pastorale und soziale Arbeit in über 1100 Diözesen, denen es an Lebensnotwendigem fehlt. Daneben beteiligt sich Missio auch an universitären und kirchlichen Aus- und Weiterbildungsprogrammen und pflegt den interkulturellen Austausch mit den Ortskirchen des Globalen Südens.

Wie kann verhindert werden, dass Mission eine «Einbahnstrasse» ist?
Indem wir uns stets vor Augen führen, dass wir als Getaufte Teil einer weltweiten Glaubens-Gemeinschaft und als Geschöpfe Teil der einen von Gott geschaffenen Menschheitsfamilie sind, beugen wir dem Bau einer Einbahnstrasse von hier in die übrige Welt vor. Wir sitzen alle im gleichen Boot, dessen Segel der Heilige Geist für uns alle schwellen lässt – damit wir gemeinsam vorankommen – und welches Jesus Christus mithilfe von uns als Bootsinsassen durch die Wellen lenkt – damit wir gemeinsam ans vorgesehene Ziel gelangen.

Angesichts des Glaubensverlustes in der Schweiz stellt sich die Frage, ob nicht wir wieder missioniert werden müssten?
Mit der Abkehr der Menschen von der Kirche, ihrem personellen Mangel, dem Zusammenfallen ihrer Strukturen und Institutionen und der mangelhaften Weitergabe des Glaubens geht nicht unbedingt sofort ein persönlicher Glaubensverlust der einzelnen Gläubigen einher. Hingegen hat sich der Glaube vieler Gläubigen von der kirchlichen Lehre entfremdet und ist stark individualistisch geworden. All das stellt die Kirche vor enorme Herausforderungen, so in Bezug auf ihre Weiter-Existenz und ihre Mission in dieser Welt. Um diese Herausforderungen bewältigen zu können, bleibt der Kirche nur eines: auf die Menschen zuzugehen, mit ihnen das Gespräch zu suchen und sie einzuladen, sich (wieder) dem Ruf Gottes zu öffnen und auf ihn zu hören, dann auch auf die Stimmen der anderen Mitmenschen oder Mit-Gläubigen zu hören, sich schliesslich darauf einzulassen und sich so gemeinsam im Geist des Evangeliums verwandeln zu lassen. Denn ohne Selbstmission gibt es keine Fremdmission!
 

Erwin Tanner, *1967, Dr. iur. utr. et lic. theol., ist seit 2022 Direktor von Missio Schweiz (Päpstliche Missionswerke in der Schweiz). Von 2011 bis 2021 war er Generalsekretär der Schweizer Bischofskonferenz.

Missio Schweiz (Päpstliche Missionswerke in der Schweiz) ist der Schweizer Zweig der Päpstlichen Missionswerke. Ihr Zweck besteht in der Förderung des weltkirchlichen Bewusstseins und Engagements der Katholikinnen und Katholiken in der Schweiz und der Mittelbeschaffung für finanziell noch nicht selbsttragende Diözesen weltweit (www.missio.ch).


Rosmarie Schärer
swiss-cath.ch

E-Mail

Rosmarie Schärer studierte Theologie und Latein in Freiburg i. Ü. Nach mehreren Jahren in der Pastoral absolvierte sie eine Ausbildung zur Journalistin und arbeitete für die Schweizerische Kirchenzeitung SKZ.


Kommentare und Antworten

×

Name ist erforderlich!

Geben Sie einen gültigen Namen ein

Gültige E-Mail ist erforderlich!

Gib eine gültige E-Mail Adresse ein

Kommentar ist erforderlich!

You have reached the limit for comments!

* Diese Felder sind erforderlich.

Bemerkungen :

  • user
    Stefan Fleischer 21.10.2023 um 12:27

    Genau!



    "Der christliche Weg zu einer besseren Welt heisst Umkehr!"