Symbolbild. (Bild: pxhere.com)

Kommentar

Ostern? Fehl­an­zeige!

Ein ver­stüm­mel­tes Chris­ten­tum greift um sich: Ostern, ver­kürzt auf Kar­frei­tag – nicht nur in den säku­la­ren Medien.

Die Tageszeitung «Blick» eilte stressgeplagten Autofahrern spontan zu Hilfe, um ihnen die Wartezeit vor dem Gotthardtunnel zu vertreiben: «Das grosse Bibel-Quiz zum Karfreitag» nannte der «Blick» sein Kurzweil-Rezept. Es begann gleich mit der Frage: «Wieso war und ist für viele evangelische Christen der Karfreitag der wichtigste Feiertag im Jahr?» Drei Antworten standen zur Auswahl:

  • Sie feiern an diesem Tag die Auferstehung Jesu:
  • Sie gedenken an dem Tag dem Leiden und Sterben Jesu am Kreuz;
  • Sie erinnern sich an dem Tag an das letzte Mahl Jesu mit seinen zwölf Jüngern vor seiner Verhaftung.

Angesichts des schon fast den Tatbestand der intellektuellen Nötigung erfüllenden Fragen-Trios ist es schon fast ein Ding der Unmöglichkeit, mit der Antwort falsch zu liegen.

Dem Ostergeschehen widmet auch Felix Reich, Redaktionsleiter der Zeitschrift «reformiert», in der neuesten Ausgabe seinen Leitartikel. Doch was heisst da Ostergeschehen? Gleich zu Beginn schreibt er: «Die Trauer und auch die Wut von Karfreitag gilt es auszuhalten. Ostern muss warten.» Eine «gewisse Scheu» im Umgang mit dem Martyrium bleibe angezeigt, so Reich weiter, denn «allzu schnell verleiht die Rede von der Aufopferung für eine höhere Sache dem gewaltsamen Tod einen Sinn, überhöht das Leiden». Gewiss, dieser Argumentation ist eine gewisse Berechtigung nicht abzusprechen. Doch muss deshalb gleich ein Stopp-Signal vor Ostern gesetzt werden? Für mich als katholischen Christen ist diese Tabuisierung des Ostergeschehens wie überhaupt die Fixierung auf den «Karfreitag als den wichtigsten Feiertag des Jahres» befremdend und irritierend zugleich. Sind ihre Ursachen in der Theologie der Reformatoren selbst zu suchen? Für Martin Luther und Johannes Calvin ist jedenfalls ein abgrundtief pessimistisches Menschenbild kennzeichnend. Für Johannes Calvin steht fest, dass der Verstand des Menschen so vollständig der Gerechtigkeit Gottes entfremdet ist, dass «alles, was er sinnt und denkt, unfromm, verdreht, hässlich, unrein und sündhaft ist, das Herz ist so tief in das Sündhafte versenkt, dass von ihm nur ein verderbter Hauch ausgehen kann» (Institutio, S. 161f.). Luther seinerseits spricht von der durch die Erbsünde total zerstörten Natur des Menschen («natura humana totaliter deleta»), welche auch die göttliche Gnade nicht zu heilen vermag, sondern lediglich zudeckt.

Die Langzeitwirkungen dieser düsteren Anthropologie sind nicht zu übersehen. Jean-Martin Büttner beschreibt den bekannten Nationalrat Daniel Vischer in einem Nachruf wie folgt: «Sein Vater war ein hoch angesehener liberaler Jurist und Rektor der Uni Basler Uni, seine Mutter Krankenschwester. Die Familie scheint den Sohn weniger geprägt zu haben als die Religion. Vischer empfand den Protestantismus seiner Heimatstadt, diese strenge Kombination aus südbadischem Pietismus und Calvinismus, als ‹unheilvolle Ecke›, wie er der ‹Basler Zeitung› einmal sagte, das Leben kam ihm vor wie ein ‹ewiger Karfreitag›» («Tages-Anzeiger» vom 19. Januar 2017).

Es protestötelet
Ja, dieser ewige Karfreitag, er scheint mir wie ein Signum unserer von Naturkatastrophen, Kriegen und gesellschaftlichen Verwerfungen geprägten Zeit zu sein. So sehr, dass darob das Proprium des christlichen Glaubens, der Sieg des Lebens über den Tod, immer mehr zu entschwinden droht. Auch weite Teile des «corpus catholicum» fallen zunehmend diesem Auflösungsprozess anheim.

Vor mir liegt die aktuelle Ausgabe des Aargauer Pfarrblatts «Horizonte» (23. März 2024). Die Redaktion begnügt sich mit einer Doppelnummer «Palmsonntag / Ostern»: Das hat den nicht zu unterschätzenden Vorteil, dass sich die Redaktion schon frühzeitig in die Osterferien verabschieden kann. Inhaltlich ist vom Ostergeschehen wenig bis nichts zu bemerken. Immerhin steuert Bischof Felix Gmür eine Kolumne bei. Der News-Wert seines Kommentars gipfelt in der Offenbarung, weshalb der Konzertsaal des Kultur- und Kongresszentrums Luzern nicht blau, sondern weiss angestrichen ist: «Claudio Abbado weigerte sich, in einem in der Farbe Blau geplanten Saal das Eröffnungskonzert zu dirigieren. So wurde der Saal schliesslich weiss – zum Glück.»

Dito das Zürcher Pfarrblatt «forum». Bezeichnenderweise haben beide Pfarreiblätter auf ihrer Titelseite Kreuzigungs-, aber keine Auferstehungsszenen abgebildet. Auch das «forum» bringt keinen eigenständigen Beitrag zustande, sondern druckt stattdessen den eingangs erwähnten Artikel von Felix Reich ab («Ostern muss warten») – dies unter der irreführenden Überschrift «Festbeitrag zu Ostern». Die Alternative: In der gleichen Nummer gibt Gastautorin Amira Hafner-Al Jabaji einen ganzseitigen Ratschlag zum Thema «Ramadan im Alltag leben» zum Besten. Schliesslich meldet sich auf der Rückseite auch noch Redaktionsleiter Thomas Binotto zu Wort: In einer Gaga-Sottise der Extraklasse schwärmt er von seiner «innigen Liebe» zum Computer.

So sehr die Betroffenheit über die Arglist unserer Zeit nachvollziehbar ist, so wenig darf der christliche Glaube bei diesem Befund stehen bleiben – im Gegenteil. Gerade in einer krisen- und unheilschwangeren Epoche wie der unseren gilt es, den Kern, die «raison d'être» des Christentums ob gelegen oder ungelegen in aller Öffentlichkeit zu bezeugen: Den Sieg über Sünde und Tod, den der auferstandene Christus stellvertretend für die ganze Menschheit errungen hat. Zweifel an diesem geschichtlichen Ereignis par excellence erfassten auch damals vor fast 2000 Jahren die Jüngerinnen und Jünger Jesu – wie hätte es auch anders sein können. «Jetzt ist alles aus», so das begreifliche Résumé der Emmaus-Jünger. Doch nein: Jesus Christus lebt, sie haben es mit eigenen Augen gesehen und leibhaftig erfahren, und mit ihnen viele andere. Der Apostel Paulus fasst das Ostergeheimnis wie folgt zusammen: «Christus ist für unser Sünden gestorben, gemäss der Schrift, und ist begraben worden. Er ist am dritten Tag auferweckt worden, gemäss der Schrift, und er erschien dem Kephas, dann den Zwölf [...] Als letztem von allen erschien er auch mir» (1 Kor 15,3–5.8). An uns Nachgeborene, an die Christen aller Zeiten, richtet er Worte der Verheissung, aber auch der Warnung: «Durch dieses Evangelium werdet ihr gerettet, wenn ihr an dem Wortlaut festhaltet, den ich euch verkündet habe. Oder habt ihr den Glauben vielleicht unüberlegt angenommen?» (1 Kor 15,2).


Niklaus Herzog
swiss-cath.ch

E-Mail

Lic. iur. et theol. Niklaus Herzog studierte Theologie und Jurisprudenz in Freiburg i. Ü., Münster und Rom.


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Bemerkungen :

  • user
    Stefan Fleischer 03.04.2024 um 18:31
    Die andere Variante ist die Relativierung des Otergeschehens, wie sie in unserem Kirchenblatt erfolgte:

    Focus
    aus Kirchenbatt Solothurn 2024 | 7 oneline Ausgabe
    Ostergeschehen – wie erreicht uns ¬Erlösung ganz ¬persönlich?
    Karl Rahner macht sich immer wieder Gedanken, wie die in der Geschichte bewirkte Erlösung uns heute erreichen kann. Zwei Vorstellungen helfen ihm dabei, das Ankommen der Erlösung bei uns heute verständlich zu machen. Er setzt diesen Grund der Welt bewusst mit dem kollektiven Unbewussten in Beziehung, wie es C.G. Jung versteht. Die Wirklichkeit Jesu, so meint Rahner, sei in seinem Tod in das Reich des Unbewussten eingegangen und wirke von dort her auf uns ein. Dieses Reich des Unbewussten ist das Reich der Bilder, indem es Archetypen, ganz bestimmte Ur- und Leitbilder gibt, die sich in uns im Traum einbilden. Indem sich diese Bilder in uns einformen, geben sie die Leitbilder für unser personales Tagesbewusstsein ab und ändern somit den Ausgangspunkt unseres personalen, wachen Denkens und Handelns.
    In Tod und Höllenabstieg ist Christus in das Unterste der Wirklichkeit hinabgestiegen und hat sich in die wahren und reinen Archetypen eingebildet. Von dort her kann er unsere Psyche heilend und erlösend beeinflussen. Bevor wir uns also ein Bild von Gott machen, berührt Gott uns schon in den archetypischen Bildern, in die sich die Wirklichkeit Jesu Christi in seinem Tod und seiner Auferstehung eingebildet hat.
    Aus: Anselm Grün, das Kreuz, ¬Münsterschwarzacher kleine Schriften Nr. 99, Seite 47.
    • user
      S.Kaisser 08.04.2024 um 17:36
      Sehr geehrter Herr Fleischer, im Kirchenblatt des Kanton Solothurn, aus dem Sie zitieren, lautet der Hauptartikel "Die Auferstehung im Lichte der Evangelien". So kann auf die ganze Ausgabe bezogen nicht von einer Verkürzung oder Relativierung des Ostergeschehens gesprochen werden! Mit freundlichem Gruss S.Kaisser