Logo der UNRWA. (Bild: RomanDeckert, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

Hintergrundbericht

Palästinenser-​Hilfswerk krankt an einem Geburtsfehler

Das UN-​Hilfswerk für Palästina-​Flüchtlinge UNRWA befin­det sich seit sei­ner Grün­dung vor 75 Jah­ren im Span­nungs­feld des unge­lös­ten Nah­ost­kon­flikts. Nach dem bru­ta­len Über­fall der Hamas vom 7. Okto­ber 2023 steht das Hilfs­werk end­gül­tig vor einer Zerreissprobe.

Es ist ein schlimmer Verdacht: Israels Armee und der Geheimdienst Schin Bet erklärten am Wochenende, sie hätten in Gaza unter dem Hauptquartier des UN-Hilfswerks für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) ein Tunnelsystem der Terrororganisation Hamas entdeckt – und Waffen in Mitarbeiterbüros. Erst vor zwei Wochen wurde der Vorwurf laut, UNRWA-Angehörige könnten an den bestialischen Hamas-Angriffen vom 7. Oktober 2023 beteiligt gewesen sein. Mehr noch: Gemäss einem Bericht der Neuen Zürcher Zeitung vom 12. Februar 2024 soll das Serverzentrum der Terrororganisation Hamas mit dem Stromnetz des UN-Hilfswerks verbunden gewesen sein.

Der Schweizer UNRWA-Generalkommissar Philippe Lazzarini verwahrte sich gegen die jüngsten Anschuldigungen unter anderem mit dem Hinweis, das Personal habe das Hauptquartier angesichts der israelischen Bombardierungen und Evakuierungsanordnungen in Gaza schon am 12. Oktober geräumt.
Nach Bekanntwerden des früheren Verdachts hatte Lazzarini die Betreffenden umgehend entlassen und eine Untersuchung eingeleitet.
Dennoch antwortete Israels Aussenminister Israel Katz mit herber Generalkritik: «Wir haben seit Jahren gewarnt: UNRWA verlängert das Flüchtlingsproblem, behindert den Frieden und dient als ziviler Arm der Hamas in Gaza.» Nach den jüngsten Enthüllungen forderte er umgehend den Rücktritt von UNRWA-Generalkommissar Philippe Lazzarini.

Spielball der Interessen
Das Hilfswerk der Vereinten Nationen, zuständig für 5,7 Millionen palästinensische Geflüchtete in Nahost, ist israelischen Regierungen seit langem ein Dorn im Auge. Allein für Gaza weist der letzte UNRWA-Jahresbericht ein Budget von 570 Millionen US-Dollar aus. Das Gesamtbudget beträgt 880 Millionen Dollar. Damit werden auch Schulen, Spitäler und weitere soziale Dienstleistungen im Westjordanland, Libanon, in Jordanien und Syrien unterstützt.

Von den über 12 000 Mitarbeitern im Gazastreifen stammen gut 99 Prozent aus der örtlichen Bevölkerung. Damit die Hilfe funktioniert, arbeitet die Organisation mit der lokalen politischen Führung zusammen, also mit der Hamas.

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu warf dem Hilfswerk deshalb vor, von der Hamas «total unterwandert» zu sein, und forderte zuletzt dessen Abschaffung. Am Sonntag billigte der zuständige israelische Parlamentsausschuss laut Berichten einen Gesetzentwurf, der das Ende der UNRWA-Tätigkeiten in Jerusalem zum Ziel hat. Schon am Mittwoch soll er zur ersten Lesung ins Plenum kommen.

Zwar prangert UNRWA in ihren Jahresberichten regelmässig Eingriffe der radikalen Islamisten in ihre Räumlichkeiten und Tätigkeiten an; umgekehrt werden aber auch immer wieder Anschuldigungen laut, die UN-Organisation überlasse ihre Strukturen politischen Akteuren der Palästinenser und mache sich zu deren Sprachrohr.

Ein besonderer Kritikpunkt betrifft die Schulen, die einen erheblichen Teil des UNRWA-Engagements ausmachen. Obwohl das Bildungssystem unter dem Patronat der Vereinten Nationen steht, sucht die De-facto-Regierung im Gazastreifen Einfluss auf Lehrpläne und Schulbücher – unter anderem mit der Vermittlung eines Feindbildes von Israel und den Juden. Seit Jahren bekommen UNRWA und deren Geldgeber, etwa die EU, deswegen gehörig Druck aus pro-israelischen Kreisen. Erst am 12. September 2023, also kurz vor dem Terrorangriff auf Israel, richteten mehrere Europaabgeordnete eine Anfrage an die EU-Kommission, was sie gegen diese Erziehung zu Antisemitismus unternehme.

Gegründet für ein Ziel, das einer Quadratur des Kreises gleichkommt
Die enge Vernetzung mit ihrer Klientel ist Charakteristikum und Geburtsfehler der UNRWA. Als einzige Organisation der Vereinten Nationen wurde sie für eine spezifische Flüchtlingsgruppe in einer bestimmten Region gegründet. Sie sollte sich um die mehreren Hunderttausend Palästinenser kümmern, die im Zuge der Staatsgründung Israels und des Kriegs 1948 geflüchtet waren oder vertrieben wurden.

Mit Resolution 302 vom 8. Dezember 1949 gaben die Vereinten Nationen der neuen Agentur den Auftrag, in Zusammenarbeit mit lokalen Regierungen Hilfsprogramme umzusetzen und zugleich auf eine Zeit hinzuarbeiten, in der internationale Unterstützung nicht mehr nötig sein würde. Es ging demnach um Integration der Palästinenser in die Aufnahmeländer – was wiederum in Spannung zu UN-Resolution 194 steht: Diese räumt den Geflüchteten ein Recht auf Rückkehr beziehungsweise Entschädigung ein.
Ein solches Recht sieht das israelische Recht für Israelis vor, die im 1948er Krieg verlorenes Land selbst dann einklagen können, wenn sie keine persönlichen Bindungen daran haben. Palästinensern bleiben jegliche Rückforderungsrechte im israelischen Rechtssystem versagt.

Während die Palästinenserfrage politisch ungelöst blieb, hatte UNRWA mit dem Mandat humanitärer Hilfe kaum mehr als die Rolle eines Lückenbüssers; offiziell der Neutralität verpflichtet, bewegte sie sich seit jeher in einem hoch politisierten Feld widerstreitender nationaler Interessen. Dass die Projektfinanzierung auf staatlichen und privaten Spenden beruht, setzt UNRWA zusätzlichen Abhängigkeiten aus und verhindert teilweise langfristige Planung.

Schweiz halbiert Hilfsgelder
2018 sorgte Bundesrat Ignazio Cassis mit seiner Aussage, die UNRWA sei nicht Teil der Lösung, sondern des Problems, für Aufruhr und musste von allen Seiten Kritik einstecken. Nach den letzten Enthüllungen um das Hilfswerk steht seine Aussage in einem anderen Licht.

Das Aussendepartement (EDA) erklärte knapp, es habe von der neuesten Entdeckung zur Kenntnis genommen und warte auf mehr Informationen.

In der Wintersession 2023 entschied das Parlament, den bisherigen Beitrag an das UNRWA von 20 Millionen Franken zu halbieren. Dabei hat der Bundesrat das letzte Wort, er muss aber die beiden Aussenpolitischen Kommissionen konsultieren. Im März 2024 will die Aussenpolitische Kommission Philippe Lazzarini, den Leiter des Hilfswerks, anhören und dann über die Zahlung entscheiden.

Der FDP-Präsident Thierry Burkart hatte Bundesrat Cassis schon früher aufgefordert, die Zahlungen einzustellen. Nun erhält er Unterstützung durch den Zürcher SVP-Nationalrat Mauro Tuena. Dieser findet, die Schweiz müsse jetzt ein klares Zeichen setzen. Andere Politikerinnen wie die St. Galler SP-Nationalrätin Claudia Friedl oder die Zürcher GLP-Nationalrätin Corina Gredig wollen zunächst die Ergebnisse der Untersuchung abwarten.

Auch das Internationalen Komitees vom Roten Kreuz IKRK muss sich immer wieder Kritik gefallen lassen, da es einseitig Pro-Palästina sei. So wirft Israel dem Hilfswerk vor, es bemühe sich zu wenig um die israelischen Geiseln, die sich noch in den Händen der Hamas befinden. Brisant: Neuer Generaldirektor des IKRK wird der Schweizer Pierre Krähenbühl. Dieser war der Vorgänger von Philippe Lazzarini als Leiter des UNRWA. Er musste 2019 zurücktreten, da er zu wenig über die Vorgänge in der UNRWA-Zentrale wusste.
Die Tatsache, das seit Jahren Schweizer an der Spitze des in die Handlungsunfähigkeit schlitternden Palästina-Hilfswerks UNRWA stehen, wirft ein ausgesprochen schlechtes Licht auf die Personalpolitik des Eidgenössischen Departementes für auswärtige Angelegenheiten.


KNA/Redaktion


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