Papst Pius XII. um 1951. (Bild: Michael Pitcairn)

Hintergrundbericht

Papst Pius XII. hat nicht geschwiegen

«Pius XII. schwieg eben nicht»: So lau­tet der Titel eines Bei­trags von Sven Felix Kel­ler­hoff, der in der Zei­tung «Welt am Sonn­tag» am 10. Dezem­ber 2022 erschie­nen ist.

Der Autor nimmt Bezug auf neue Recherchen zur päpstlichen Weihnachtsansprache vom 1942, welche die den öffentlichen Diskurs bis dato beherrschende «Schweige-These» widerlegen. Recherchen, die durch die von Papst Franziskus angeordnete Freigabe des Vatikanischen Geheimarchivs bis zum Jahr 1958 ermöglicht wurden.

Eine der Textpassagen dieser Weihnachtsansprache lautet: «Dieses Gelöbnis schuldet die Menschheit den Hunderttausenden, die persönlich schuldlos, bisweilen nur um ihrer Volkszugehörigkeit oder Abstammung willen dem Tode geweiht oder einer fortschreitenden Verelendung preisgegeben sind.» Kellerhoff bilanziert: «Eine so klare Äusserung zur nationalsozialistischen Vernichtungspolitik, wie man sie vom Stellvertreter Christi auf Erden nur erwarten konnte.» Dessen ungeachtet lautet der Befund immer noch: «Vor allem in Deutschland gilt Eugenio Pacelli als ‹Hitlers Papst›» – so der Untertitel des genannten Artikels.

Rolf Hochhuths «Der Stellvertreter»
Wie konnte es zu dieser diffamierenden Zuschreibung kommen, wo doch derselbe Papst in den ersten Jahren der Nachkriegszeit infolge seiner germanophilen Haltung in Deutschland «höchstes Ansehen genoss» (Kardinal Walter Kasper)? Der Sinneswandel hat einen Namen: Rolf Hochhuth. Sein Theaterstück «Der Stellvertreter» wurde am 20. Februar 1963 in Berlin uraufgeführt und löste die «bis anhin grösste und weitestreichende Theaterdebatte in der Bundesrepublik Deutschland aus» (Wikipedia), führte auch international zu heftigen Kontroversen. In diesem Drama in fünf Akten bezichtigt Hochhuth den Papst, durch sein ihm – wie wir heute wissen – zu Unrecht angedichtetes Schweigen den nationalsozialistischen Vernichtungsfeldzug gegen die Juden mitverschuldet zu haben.

Dieses Narrativ wurde in weiten Teilen der deutschen Öffentlichkeit gierig aufgesogen. Nur allzu verständlich, denn das Holocaust-Verbrechen ist in der Menschheitsgeschichte singulär, hatte sich Deutschland damit doch aus dem Kreis der westlichen Zivilisation buchstäblich selbst hinauskatapultiert. Da ist die Versuchung geradezu unwiderstehlich, die damit verbundene Schuld unter Verweis auf nicht deutsches Versagen zwar nicht zu negieren, aber doch stark zu relativieren. Nichts könnte die deutsche Befindlichkeit besser dokumentieren als die Reaktion des Juden Zvi Rix, der mit Blick auf den Holocaust sagte:

«Auschwitz werden uns die Deutschen niemals verzeihen» (Neue Zürcher Zeitung vom 16. September 2017).

Wie tief dieses Trauma auch heute noch nachwirkt, belegt der aus dem grossen Kanton stammende Redaktionsleiter von kath.ch, Raphael Rauch, auf geradezu exemplarische Weise: Anlässlich der heftig geführten Abstimmungskampagne rund um die Konzernverantwortungsinitiative verstieg er sich zur infamen Unterstellung: «Hätte es damals (sprich zur Zeit des Zweiten Weltkrieges) ein Gesetz zur Konzernverantwortung gegeben, wäre es den Schweizer Banken deutlich schwerer gefallen, Hitlers mörderische Maschinerie zu finanzieren.» Die Schweizer Bischofskonferenz als Co-Auftraggeberin von kath.ch entschuldigte sich «zutiefst» für diese Entgleisung, nicht aber Raphael Rauch, der sich rechthaberisch hinter der Kohlhaas-Maske verschanzte.

Ideologischer Unterbau
Der sich nun zur Gewissheit verdichtende Verdacht, dass sich Hochhuths Machwerk «Der Stellvertreter» aus trüben Quellen schöpfte, ist allerdings keineswegs neu. Bereits am 24. Februar 2007 wies Richard Wagner in der Neuen Zürcher Zeitung in seinem Beitrag «Der Stellvertreter – die Debatte um Pius XII. Im Licht eines Geheimdienstgeständnisses» auf die präsumtiven KGB-Verstrickungen von Hochhuth hin. Wagner nimmt darin seinerseits Bezug auf einen Artikel der «National Review», der gegenüber der 1978 zu den Amerikanern übergelaufene General und stellvertretende rumänische Geheimdienstchef Ion Mihai Papeca aussagte, er sei an einer KGB-Geheimaktion beteiligt gewesen, die Material gegen Pius XII. präpariert habe, um es anschliessend Hochhuth für sein Skandal-Theaterstück «Der Stellvertreter» unterzujubeln. Die Absicht hinter dieser Desinformationskampagne war gemäss Richard Wagner folgende: «Als Hauptgegner des Vatikans trat logischerweise die Sowjetunion auf. Ihr war der Katholizismus wegen seiner Universalität ein Dorn im Auge. Die Kommunisten witterten in der römischen Kirche eine der grossen Gefahren für ihre Gleichschaltungspolitik. Im Unterschied zu den anderen Kirchen, die national geführt wurden, konnte man den Katholizismus nicht isolieren.» Dabei, so Wagner weiter, «gilt es eines zu verstehen: Pius XII. wurde in den fünfziger Jahren nicht nur wegen seiner allzu lässlichen Haltung zum Nationalsozialismus angegriffen, sondern auch wegen des vatikanischen Antikommunismus. Es ging um die Vergangenheit, aber es ging ebenso sehr um die Gegenwart, in welcher der kalte Krieg herrschte. Der Irrtum vieler kritischer Intellektueller aber war zu meinen, der wahre Feind stehe rechts. Das machte sie für trübe Materialquellen aus dem Osten empfänglich.»
In der Tat: Es grassierte und grassiert weit über den Kalten Krieg hinaus in Intellektuellenkreisen ein kapitalismuskritisches, ja marxistisches Pathos, oft gepaart mit einem prononciert «anti-römischen Affekt» (Hans-Urs von Balthasar).

Just dieser ideologische Unterbau bildete einen idealen Nährboden für Geschichtsklitterungen à la Hochhuth. Zwar empfand man ein skeptisch-diffuses Unbehagen gegenüber solchen ideologisch aufgeladenen Schalmeienklängen, aber, so räumt Richard Wagner mit ebenso bemerkenswerter wie entwaffnender Offenheit ein:

«Die Thesen über den Vatikan wollte man immer schon gerne glauben.»

Alles klar!


Niklaus Herzog
swiss-cath.ch

E-Mail

Lic. iur. et theol. Niklaus Herzog studierte Theologie und Jurisprudenz in Freiburg i. Ü., Münster und Rom.


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Bemerkungen :

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    Daniel Ric 17.12.2022 um 08:13
    Es ist bedenklich, dass die Moderne es nicht schafft, mit ihren Sünden umzugehen. Anstatt sich mit der Schuld auseinanderzusetzen und die Heilmittel der Kirche zu nutzen, wird die Kirche angegriffen. Fakt ist, dass der Nationalsozialismus eine geistige Verirrung des Abendlandes war, welche eine lange Vorgeschichte hatte. Nationalismus, Eugenik und die Vorstellung einer Herrenrasse haben bereits im 19. Jahrhundert durch die Kolonialländer extrem viel Leid verursacht und Millionen von Menschenleben gefordert. Viele führende Männer des 19. und 20. Jahrhunderts waren beispielsweise glühende Verehrer der Vorstellung, ein Volk dürfe ein anderes knechten und beherrschen. Die belgische Herrschaft in Kongo oder die englische in Irland oder Indien - alles furchtbare Beispiele eines imperialistischen Grössenwahns, der Millionen tötete. Diese Verdrängung historischer Fakten wird deswegen betrieben, um sich nicht eingestehen zu müssen, dass die Moderne mit ihrer Abkehr vom Christentum keineswegs eine humane Gesellschaft vorgebracht hat, sondern immer wieder in die Barbarei zurückfällt. Die letzten 200 Jahre bis in die Gegenwart hinein haben dazu genügend Anschauungsmaterial geliefert.
  • user
    Claudio Tessari 16.12.2022 um 11:43

    Die Kirche hat den Nationalsozialismus sowie den Kommunismus, welcher ja die Wurzel im Sozialismus hat, immer schon verurteilt. Man kann auch klar sehen: Dort wo Katholiken lebten in Deutschland wurde die NSAP nicht gewählt. Ebenfalls muss man auch den historischen Kontext sehen. Es gab zum Beispiel in Italien, Kroatien, Spanien auf der einen Seite den Kommunismus, welcher das Christentum auslöschen wollte, die Christen und die Kirche verfolgte, und auf der anderen Seite den Faschismus, welcher sicherlich auch Fehler hatte, vor allem als man die Rassenideologie übernahm. Und dennoch war der Faschismus sicherlich das geringere Übel.